Behandlungsfehler in Deutschland Pfusch bei Zahnarzt und OP

Düsseldorf · Die deutschen Patienten werden kritischer. Deutlich häufiger als bisher haben sie ihre Krankenkasse um Hilfe gebeten, weil sie Ärzte-Pfusch vermuteten. Der Medizinische Dienst bestätigte jeden vierten Verdachtsfall. Die meisten Fehler geschehen im Krankenhaus. Aber auch bei Zahnärzten und in Pflegeheimen.

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Behandlungsfehler sind der Horror eines jeden Patienten. Selten, aber immer wieder hat das Versagen von Ärzten böse Folgen. So wie im Fall eines kleinen Mädchens in Thüringen. Dessen Narkosearzt machte gleich drei schwer wiegende Fehler. Das Kind hatte nach der ambulanten Operation an den Polypen einen akuten Sauerstoffmangel erlitten. Drei Tage später starb es an schwersten Hirnschäden.

Dieser Fall ging vor Gericht, nachdem Gutachter Behandlungsfehler bestätigt hatten. Bei Kassenpatienten übernimmt diese Aufgabe in der Regel der Medizinische Dienst der Krankenversicherungen (MDK). Am Dienstag stellt der Verband seine Jahresbilanz (PDF) vor. Kernaussage: Immer häufiger beschweren sich Patienten, das Vertrauen in die Medizin hat gelitten.

Viele Fehler vermeidbar

In 14.600 Fällen wurde der MDK eingeschaltet — 2000-mal öfter als im Vorjahr. In jedem vierten Fall bestätigte sich der Verdacht. In absoluten Zahlen wurden somit 3700-mal Patienten Opfer von Ärzte-Fehlern. Im Vergleich zum Jahr davor sank damit die Zahl der Fälle leicht. Ob dies ein Trend oder eine zufällige Schwankung sei, bleibe abzuwarten, so die Gutachter.

"Viele Behandlungsfehler wären vermeidbar", sagt Stefan Gronemeyer, Chef des GKV-Spitzenverbandes (MDS). "Wir müssen endlich dahin kommen, dass auch in Deutschland die längst bekannten Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit flächendeckend und konsequent umgesetzt werden.

Hohe Dunkelziffer

Zumal die Dunkelziffer der Behandlungsfehler weitaus höher ausfallen dürfte, wie auch die Medizin-Experten annehmen. Zuletzt hatte eine AOK-Studie die Zahl der Behandlungsfehler allein in Krankenhäusern auf 190.000 taxiert. Jeder Zehnte mit tödlichen Folgen.

Die Bandbreite der Ursachen reicht von Infektionen, die sich Kranke zusätzlich im Krankenhaus holen, über verkehrte Medikamente bis hin zu Einzelfällen von vergessenem OP-Material im Inneren des Patienten. Ärztevertreter weisen immer wieder darauf hin, dass in der Regel nicht einfach Pfusch eines Arztes dahintersteckt. Organisationsmängel, mehr komplizierte Eingriffe und auch der Mut vieler Operateure zum Risiko zählen zu den Ursachen.

Statistik mit Tücken

Auch die aktuelle Statistik des MDK weist nun Krankenhäuser als den Ort aus, an dem die meisten Fehler passieren. Knapp 70 Prozent der Vorwürfe richteten sich demnach gegen Hospitäler, meistens wegen misslungener Operationen. Insbesondere nach dem Einsatz von Knie- oder Hüftgelenksprothesen haben viele den Eindruck, dass etwas schief gelaufen ist - und lassen die Therapie mit zuletzt mehr als 1000 Fällen überprüfen. Mit mehr als der Hälfte der Fälle liegt bei der Quote der Bestätigungen eines Fehlerverdachts jedoch die Pflege vorn.

Der Rest der Vorwürfe verteilt sich auf ambulante Behandlungen bei niedergelassenen Ärzten. Gemessen an der Zahl der Behandlungen sind Krankenhäuser freilich nicht zwingend der riskanteste Ort für Patienten. Das liegt an den Tücken der Statistik: In der Klinik werden auch die weitaus meisten Behandlungen durchgeführt, eine höhere Zahl an Fehlern wäre damit keinesfalls überraschend.

Keine Aussagen über Risikofelder

Gemessen an der Zahl der Vorwürfe liegt vielmehr der Schluss nahe, es könne weitaus gefährlicher werden, zum Zahnarzt zu gehen oder in einem Pflegeheim zu leben. "Im Verhältnis zur Zahl der Vorwürfe werden die meisten Behandlungsfehler in der Pflege und in der Zahnmedizin bestätigt", bestätigte Astrid Zobel, Leitende Ärztin Sozialmedizin des MDK Bayern. Die Statistik weist 1277 Beschwerden über die Folgen eines Zahnarztbesuchs aus, in sogar jedem dritten Fall wurden sie bestätigt.

Doch mahnt MDK-Expertin Zobel bei der Interpretation der Daten zur Vorsicht: "Eine hohe Zahl an Vorwürfen bedeutet nicht automatisch eine hohe Zahl an Behandlungsfehlern." Daraus könne nicht geschlossen werden, welcher Bereich nun besonders risikobehaftet sei.

Fortschritte in den vergangenen Jahren

Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, gab ebenfalls etwas zu bedenken: "Angesichts von fast 700 Millionen Behandlungsfällen im ambulanten Bereich und mehr als 18 Millionen Fällen in den Kliniken jährlich bewegt sich die Zahl der festgestellten ärztlichen Behandlungsfehler im Promillebereich."

AOK-Vorstand Uwe Deh führt die wachsende Beschwerde-Freudigkeit auf Fortschritte in den vergangenen Jahren zurück. "Die Mauer des Schweigens ist niedriger geworden", sagte er. "Es gibt auch weniger Berührungsängste etwa in den Kliniken, Fehler in anonymen Meldesystemen zu melden." Doch das Risiko sei immer dann groß, wenn eine Behandlung komplex sei und es viele Beteiligte gebe. "Und bei hochriskanten Medizinprodukten wie Implantaten in den Blutgefäßen oder zum Gelenkersatz brauchen wir endlich Studien, die Nutzen und Sicherheit zeigen."

Ab 26. Mai will eine Kommission aus Vertretern von Bund, Ländern und Koalitionsfraktionen eine Klinikreform aushandeln, die auch auf mehr Qualität abzielt. Ein Ziel ist, dass Klinikabteilungen mit unterdurchschnittlichen Behandlungserfolgen geschlossen werden können. Krankenhäuser sollen je nach Qualität besser oder schlechter bezahlt werden können.

(pst)
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