Tückisches Schmerzgedächtnis Wie sich unser Rücken an Schmerzen erinnert

Düsseldorf · Unser Rücken ist ein perfektes Beispiel dafür, dass Schmerzen oft eine "Erinnerungsspur" im Nervensystem schaffen. Damit sie nicht chronisch werden, ist rasche Hilfe wichtig.

Rückenschmerzen - das tückische Schmerzgedächtnis
Foto: Vera Weber

Der Schmerz im Rücken kommt plötzlich, und er ist eine Kapazität, die sich nicht ignorieren lässt. Mit seiner Macht zwingt er einen zu überaus seltsamen Verdrehungen des Körpers, denn wir wollen doch nur das eine: diesen Schmerz vermeiden.

Wer je einen Hexenschuss erlitt, der kennt das Phänomen der anatomisch kuriosen Schonhaltung. Dabei ist längst sicher: Genau diese Schonhaltungen geben dem Schmerz immer wieder neue Nahrung. Sie füttern ihn, indem sie seine (manchmal nur noch vermutete Gegenwart aufrechterhalten.

Regelmäßig ist bei vielen Patienten der Hexenschuss bereits verhallt, wenn sie trotzdem weiterhin in gebückter, ängstlicher Haltung verharren. Warum? Sie haben es so gelernt und es mit ihrem Körper zahllose Male geübt. Solche Etüden merkt sich der Körper.

Wir sprechen hier nicht vom wirklich schlimmen Bandscheibenvorfall, der auch neurologische Defizite wie Taubheitsgefühle und Lähmungen bewirkt und bei dem schnell gehandelt werden muss, möglicherweise sogar chirurgisch.

Wir meinen vielmehr die kleinen Blockaden, Verrenkungen, Muskelkrämpfe oder Einengungen des Ischiasnervs, die sich durch eine ruckartige Bewegung einstellen; meistens dann, wenn wir uns aus der gebeugten Haltung aufrichten. Zuweilen sind auch andere Bereiche schmerzhaft verspannt oder verzogen, etwa in der Zone des Iliosakralgelenks (ISG).

Es lassen sich sogar einzelne Muskeln identifizieren, die - im überanstrengten oder gar gezerrten Zustand - einem auf die Nerven gehen, etwa die berüchtigten Quadratus-Lumborum-Muskeln: Sie befinden sich seitlich der Lendenwirbelsäule (LWS) und verbinden Becken und Brustkorb miteinander und mit der LWS.

Der Quadratus lumborum gilt unter Heilkundigen als fieser Bursche, weil er sich als widerständig erweist und häufig Widerworte gibt. Er meldet sich zu Wort, auch wenn er nicht gefragt ist. Und dann schmerzt er.

Der Patient findet es sogleich am angenehmsten und bequemsten, das Gewicht auf ein Bein zu verlagern und den Oberkörper zu einer Seite zu neigen. Aber solche Schonhaltungen produzieren ihrerseits wieder Schmerzen, da der Körper in eine ihm unvertraute Haltung gezwungen wird.

Auch das Iliosakralgelenk gilt unter Orthopäden als notorischer Missetäter. Es ist eine (in Wahrheit nur minimal gelenkige) Verbindung zwischen dem Kreuzbein, das sich am Ende der Wirbelsäule befindet, und den zu beiden Seiten platzierten Darmbeinschaufeln.

An dieser Stelle können auch einfache Bewegungen eine Blockade hervorrufen, und schon ist die Beweglichkeit im ISG nicht mehr so wie im Normalfall. Weil bei solchen Blockaden die Bänder stark angespannt sind, ist das mit Schmerzen verbunden. Und weil dabei die Darmbeinschaufel auf der einen Seite anders steht als auf der anderen Seite, kommt es zudem automatisch zu einem leichten Beckenschiefstand.

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Foto: shutterstock/ Sebastian Kaulitzki

Die Schmerzen auch in diesem Fall treten auf einer Seite auf, weswegen der Leidende automatisch versucht ist, diese Seite zu entlasten. Genau dadurch bewegt man sich aber asynchron und unsymmetrisch; auch die Muskulatur will einen vor dem Schmerz bewahren, auch sie verspannt sich - und das löst weitere Schmerzen aus.

Die können im Bereich der Lendenwirbelsäule durchaus auch nach oben und unten, etwa in die Leistenregion, ausstrahlen. Übrigens ist es sehr oft so, dass man nicht beide, sondern nur eine Seite falsch belastet, meist durch eine dauerhaft falsche, manchmal aber auch ruckhafte Bewegung im Moment, etwa beim Beugen und Drehen, oder wenn man etwas hochhebt. Beidseitige Probleme sind selten.

Die Entstehung von Schmerz ist eine ziemlich leicht zu erklärende Sache. Bei Schmerzen etwa im Lendenwirbelbereich nehmen spezielle Schmerz-Rezeptoren die Reize wahr und leiten sie über Nervenbahnen an das Rückenmark weiter.

In den Nervenzellen des Rückenmarks entscheidet sich, ob es zu einer Chronifizierung kommt. Über bestimmte Rezeptoren und Ionenkanäle an den Nervenzellen werden akute Schmerzreize an das Gehirn weitergeleitet. Der Schmerz ist hier ein Warnsignal.

Das Problem ist nicht nur der akute Schmerz, sondern dessen Speicherung auf einer sogenannten "Gedächtnisspur". Werden spezifische Rezeptoren, die für Schmerzen empfindlich sind, durch ein akutes Schmerzgeschehen ständig gereizt, werden entsprechende Signale fortwährend an die Neuronen des peripheren Nervensystems übertragen.

Wenn diese Neuronen sich in Dauererregung befinden und folgerichtig häufig "feuern", führt das über längere Zeit zu zellulären Veränderungen an den Verknüpfungspunkten der Nerven, den Synapsen.

So bildet sich schier unaufhaltsam eine "Erinnerungsspur", die sich als spezifisches Schmerzgedächtnis im Rückenmark ausbildet. Die Schmerzempfindung kann als chronischer Schmerz selbst dann bestehen bleiben, wenn der Auslöser der akuten Schmerzreaktion nicht mehr vorhanden ist.

Die Konsequenz aus diesen neurologischen und neuropsychologischen Erkenntnissen ist zwingend, dass Patienten ihre Schmerzen möglichst rasch und effektiv behandeln sollten; ein Schmerzgedächtnis darf erst gar nicht entstehen. Und eine vorausschauende Schmerztherapie kann die peinigende Entstehung eines Schmerzgedächtnisses wirksam verhindern.

So hat die Medizin verschiedene Möglichkeiten, etwa an eine Blockade des Iliosakralgelenks heranzugehen. Das funktioniert über die einfache Schmerztherapie, eventuell mit einer Spritze, oder mit Medikamenten, die man über zwei, drei Tage auch etwas höher dosieren kann.

Viel besser ist es aber, Funktionsstörungen durch Bewegungsübungen zu beheben. Oft ist es ja so, dass die Muskulatur ein bis zwei Tage braucht, um wieder locker zu werden.

Bei diesen Bewegungsübungen - man kann es nicht oft genug sagen - ist Physiotherapie das Beste, das ein Patient bekommen kann. Hier lernt er auch genau, wie er sich am besten bewegt, um gewisse Probleme von vornherein zu vermeiden - und natürlich um den Rücken zu schonen, seine Rückenmuskulatur dauerhaft zu stärken und die Wirbel somit zu entlasten.

Auf Deutsch: Er muss lernen, mit seinem Rücken heilsam umzugehen. Danach sollte er beginnen, regelmäßig etwas für die Muskulatur zu tun, etwa durch Sport.

Von Ruhe und Schonung auf der Couch, die früher verordnet wurden, raten Mediziner heutzutage ab. Wer sich nämlich zu sehr schont, kann den Wecker danach stellen, dass bald die nächste Schmerzattacke kommt.

(w.g.)
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