Alltagsmedizin erklärt Warum ein angeschlagener Zeh so schrecklich weh tut

Düsseldorf · Es ist ein Schmerz, der uns mitten ins Mark trifft. Dabei ist sich den Zeh zu stoßen eine Bagatellverletzung ebenso wie die, sich mit einem Blatt Papier in den Finger zu schneiden. Wir erklären, warum es dort dennoch so weh tut und wie der Schmerz am schnellsten wieder vergeht.

Der Schmerz, den jeder schon einmal beim ungebremsten Zusammenstoß des kleinen Zehs mit einer Kante gespürt hat, ist nicht sinnlos, findet Wissenschaftler Chris Geiser.

Der Schmerz, den jeder schon einmal beim ungebremsten Zusammenstoß des kleinen Zehs mit einer Kante gespürt hat, ist nicht sinnlos, findet Wissenschaftler Chris Geiser.

Foto: Shutterstock/Suzanne Tucker

Es sind die Kanten dieser Welt, die gerade so weit in unser Leben hineinragen, dass wir uns mit dem Zeh an ihnen stoßen können. Momente, in denen geflucht wird, was das Zeug hält.

Diese Aufgabe haben unsere Körperenden

Chris Geiser, Professor für Sportwissenschaften an der Hochschule für Gesundheitswissenschaften in Milwaukee, glaubt fest daran, dass es biologische Gründe für die quälenden Schmerzen gibt. Gegenüber der britischen News-Seite Metro erzählt er, die Spitzen unserer Zehen seien ebenso wie die Fingerspitzen eine Schnittstelle zur Außenwelt. Mit ihnen ertasteten unsere ungeschützter lebenden Urahnen noch viel intensiver als wir in heutiger Zeit alles, was es beim Vorankommen zu ertasten gab. Als feinfühlige Enden unseres Körpers nehmen sie wahr, wenn es rutschig ist, etwas scharfkantig und gefährlich ist, glatt, heiß oder kalt.

Spürbar wird das durch viele Nervenenden, die dort dicht zusammenlaufen und als Informationsübermittler Reize der Außenwelt weitertragen. Wenn der Mensch also seine Fehltritt auf diese derbe Weise zu spüren bekommt, dann nur deshalb, weil der evolutionäre Schutzmechanismus noch immer perfekt funktioniert. Ähnlich wie er es übrigens auch am Schienbein tut. Genauso wie die Zehen, ist es weder von Fett- noch von Muskelgewebe umgeben und fängt die volle Wucht eines Aufpralls mit Haut und Knochen ab.

Wie Fingerkuppen zu Schmerzantennen mutieren

Zu elektrisierenden Schmerzantennen werden auch Fingerkuppen, deren Haut und Gewebe ein feiner Papierschnitt durchtrennt. Obwohl die Wunde meist viel kleiner ist als der Schnitt, den ein scharfes Küchenmesser hinterlassen würde, pocht der Schmerz in ihr. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Während eine Messerklinge im besten Fall scharf ist und so gerade und tiefe Wunden hinterlässt, ist Papier damit verglichen eher stumpf. Zwar reicht das aus, um sich einen üblen und klaffenden Schnitt zuzufügen, doch knickt eine Papierkante beim Schneiden eher um und hinterlässt so keine glatt geschnittene Hautwunde, sondern eine zerrissene.

Das zerstört mehr Nervenzellen, als es bei einem Messerschnitt der Fall wäre. Besonders übel ist das an genau diesem Ort des Geschehens: der Fingerkuppe. In ihr laufen ebenso wie auch in den Zehen zahlreiche Schmerzrezeptoren und Nervenenden zusammen. Im besseren Falle, in dem wir Dinge durchs Ertasten wahrnehmen, bringt uns das wertvolle Informationen über Gegenstände. Blinde oder sehbehinderte Menschen verlassen sich unmittelbar auf diesen Sinn. Die meisten hingegen erinnern sich latent an ihr evolutionäres Erbe, wenn ihnen ein nicht tiefreichender und darum auch kaum blutender Papierschnitt zusetzt.

Warum ein Papierschnitt mehr schmerzt als ein Messerschnitt

Das macht ihn wiederum noch schmerzhafter. Denn die Wunde, die ein Messer hinterlässt, blutet meist stark. Dann aber verkleben die betroffenen Gefäße durch die Blutgerinnung und die Wunde ist geschlossen. Beim Papierschnitt aber bleibt die klaffende Miniwunde der Luft ausgesetzt. Das macht den Schmerz intensiver. Manchmal zieht er bis in den Arm hinein.

Um das zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Schnittwunde unter fließendem Wasser abzuwaschen oder im besseren Falle zu desinfizieren. Außerdem hilft hier auch das, was in Kindertagen bei bloßem Anblick in Mutters Hand den Schmerz vergehen ließ: ein Pflaster. Denn das deckt die Wundfläche ab und schützt sie vor äußeren Einflüssen, die zusätzlich die Nervenenden ärgern.

Auch an anderer Stelle im Körper ist es ein Nerv, der Alarm schlägt, wird er in falscher Weise behandelt. Eine unbedachte Bewegung und schon ist es, als liefe vom Ellbogen aus ein Stromschlag durch den Arm. Musikantenknochen nennt der Volksmund hierzulande eine Stelle unterhalb des Gelenks, an der sich weder ein Knochen befindet, noch etwas, das Musik machen könnte. Allenfalls ist es der Betroffene selbst, der durch ein wenig melodisches Aufheulen für eine musikalische Untermalung des Missgeschicks sorgt.

Vorsicht, ungeschützter Nerv

Der Schmerz, den der sogenannte Nervus ulnaris bis in den Ringfinger und kleinen Finger schickt, ist unterhalb des Gelenks zu finden, von dem der Schmerz auch als Kribbelgefühl durch den Körper schießt. Er läuft entlang der Ellbogenspitze dicht unter der Haut. Genau unterhalb unserer Ellbogenspitze lässt sich eine kleine Delle ertasten, in der der Nervenstrang recht ungeschützt liegt.

Im Normalfall werden über den Nerv am Ellbogen Informationen vom kleinen Finger und vom Ringfinger ans Hirn gesendet. Durch einen unbedachten Schlag oder einen Anstoßen überreizt man den an sich schmerzunempfindlichen Nerv. Er sendet dann wie wild geworden Signale ans Gehirn, die dort in Fehlinterpretationen wie Schmerz, Taubheitsgefühl und Kribbeln wahrgenommen werden.

Alarm schlägt derselbe Nerv auch, wenn man sich zu lange genau auf die verheerende Stelle stützt. Das lange Aufstützen auf eine Tischplatte mit den spitzen Ellbogen kann zu einem unangenehmen Reizwirrwarr führen. Der Arm kribbelt, schmerzt oder die Finger werden vorübergehend taub.

Solch wechselnde Empfindungen kommen dadurch zustande, dass Nervenfasern, die unterschiedliche Aufgaben haben gleichzeitig gereizt werden: Die, die für den Tastsinn zuständig sind und zum Beispiel auch die, die Schmerzempfinden aufnehmen.

Immerhin hat so viel tiefgehende Empfindung offensichtlich allerlande die Kreativität angeregt. So findet man den nüchtern als Nervus ulnaris betitelten im Volksmund auch als Mäusle, in Österreich als damisches Aderl oder narrisches Bein und bei den Briten als "funny bean".

(wat)
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