Schutz vor Krebs Warum Sie Ihr Kind gegen HPV impfen lassen sollten

Berlin/Düsseldorf · Es ist ein Traum von Wissenschaftlern, eine Impfung gegen Krebs zu finden. Immerhin: Vor Gebärmutterhalskrebs kann man schon heute Frauen auf diese Weise schützen. Doch nicht mal die Hälfte der Zielgruppe macht Gebrauch davon.

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Foto: dpa, Bodo Marks

Gebärmutterhalskrebs wird durch eine Infektion mit Viren ausgelöst, die oft Jahrzehnte zurückliegt. Eine Impfung in jungen Jahren könnte davor schützen, sagen Krebs- und Impfexperten. Sie sind davon ebenso überzeugt wie davon, auch neuerdings ansteigende Erkrankungszahlen bei beispielsweise Anal- und Rachenkrebs positiv zu beeinflussen. Die Voraussetzung: zwei Impfungen gegen Humane Papillomviren (HPV) im Abstand von sechs Monaten bei heranwachsenden Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren.

  • 80 Prozent der Erwachsenen infizieren sich mit HPV

"Dieser Zeitpunkt ist so gewählt, um möglichst vor dem ersten Geschlechtsverkehr die Immunisierung zu erreichen", sagt Martin Terhardt, Kinder- und Jugendarzt aus Berlin und Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO). Denn HPV überträgt sich durch Sex. Dabei ist die Ansteckung der Normalfall, sagt Ralph Köllges, Impfexperte des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendmediziner (BVKJ): "Rund 80 Prozent der Erwachsenen infiziert sich im Laufe ihres Lebens damit".

  1. Kaum eine Impfung könnte so viele Leben retten

Bei rund 80 Prozent der Betroffenen heilt die Infektion von selbst wieder aus. Bei 20 Prozent aber bleibt sie. "Diese Fälle werden chronisch und führen zu Genitalwarzen oder Krebs", sagt Köllges und macht das an weiteren Zahlen fix: "600 Krebsvorstufen und 20 Gebärmutterhalskarzinome werden in Deutschland jeden Tag diagnostiziert. Diese 20 Frauen brauchen meist eine Totaloperation und bekommen eine Chemotherapie und dennoch sterben täglich vier bis fünf von ihnen. Mit einer Schutzimpfung könnte man das zu fast 90 Prozent verhindern." Auch Terhardt ist sich sicher: "Es gibt kaum eine Impfung, die so viele Leben auf Dauer retten kann wie die HPV-Impfung."

Für besonders effektiv hält das Robert-Koch-Institut die Impfung in Verbindung mit der Früherkennungsuntersuchung beim Gynäkologen: "Mit einer Impfquote von 50 Prozent der 12-jährigen Mädchen könnten im Verlauf von 100 Jahren 100.000 Gebärmutterhals-Neuerkrankungen und ca. 24.000 Todesfälle verhindert werden", heißt es in den aktuellen Empfehlungen der STIKO. Doch in Deutschland machen nur 45 bis 50 Prozent der Mädchen davon Gebrauch. Die andere Hälfte verzichtet auf die Schutzmöglichkeit, die die Krankenkassen bis zur Volljährigkeit, manche sogar darüber hinaus, bezahlen würden. Experten führen das unter anderem darauf zurück, dass Jugendliche seltener beim Kinderarzt sind und beim Hausarzt und Gynäkologen noch nicht angekommen sind.

  1. Impfung bringt Schutz vor den gefährlichsten High-Risk-Viren

Verunsicherung herrscht zudem über die Notwendigkeit einer Auffrischungsimpfung im späteren Leben sowie den grundsätzlich erreichbaren Schutz durch eine Impfung. Derzeit geht man davon aus, dass nach der abgeschlossenen Grundimmunisierung keine weitere Auffrischung nötig ist. Immunisieren kann man derzeit maximal gegen sieben Hochrisiko-Viren, die zu vermehrtem Zellwachstum und Vorstufen von Krebs führen, sowie zwei so genannte "Low-Risk-HP-Viren", die ungefährliche aber störende und hartnäckige Genitalwarzen verursachen. In Summe aber gibt es weit mehr als 140 HPV-Typen.

  1. Auftreten von Genitalwarzen wird um 90 Prozent reduziert

70 Prozent aller Gebärmutterhalskarzinome lassen sich dabei auf die High-Risk-Typen 16 und 18 zurückführen, die in den drei auf dem Markt befindlichen Impfungen Cervarix, Gardasil und dem neusten Impfstoff Gardasil9 enthalten sind. Den ersehnten Rundum-Schutz hat man damit zwar nicht, wohl aber einen erheblichen. "Aus australischen Studien weiß man nämlich, dass die Impfung gegen HPV innerhalb von nur zwei Jahren zu einer Halbierung der Krebsvorstufen geführt hat", sagt Ralph Köllges. Das Auftreten von Genitalwarzen ließ sich um 90 Prozent senken.

  1. Auswirkungen auf andere durch HPV verursachte Krebserkrankungen

Aus Erfahrungen anderer Länder wie Australien oder Großbritannien, in denen schon länger und mit höheren Quoten geimpft wird, gehen die Experten davon aus, dass sich auch Krebserkrankungen wie Mundraum und Rachenkrebs durch eine frühzeitige Impfung reduzieren ließen. Denn in jüngerer Zeit beobachtet man durch veränderte Sexualpraktiken die Zunahme von Tumoren am Anus, Gebärmutter, Scheide oder Penis. Außerdem nehmen HPV-Infektionen im Mundraum zu und damit verbunden Krebs in Mundhöhle, Speiseröhre oder im Rachen.

  1. Unbegründete Angst vor der HPV-Impfung

Es herrscht Skepsis vor der Wirksamkeit und Sicherheit: "Immer wieder werden Meldungen über Nebenwirkungen veröffentlicht, die Mädchen und Eltern Angst machen", sagt Terhardt. In der Vergangenheit wurden einzelne Todesfälle in Zusammenhang mit der Impfung gebracht. Nach aktuellem Kenntnisstand haben sie jedoch nichts mit etwaigen HPV-Impfungen zu tun. "Plötzliche Todesfälle kommen leider auch im Jugendalter vor. Entscheidend ist: Nach Einführung der Impfung sind es nicht mehr geworden", betont Terhardt.

Erst im Juli 2015 schloss die Europäische Arzneimittelagentur erneut eine Überprüfung von HPV-Impfstoffen ab. Sie erfolgte im Hinblick auf zwei seltene Syndrome, darunter ein Schmerzsyndrom. Auch hier ergab sich kein Hinweis auf eine Zunahme der Gesamthäufigkeit bei geimpften Mädchen. Die unerwünschten Wirkungen seien nachgewiesener Maßen moderat: "Es kann zu Schmerzen, Rötungen, Schwellungen oder in seltenen Fällen Taubheitsgefühl rund um die Einstichstelle kommen. Seltener treten Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel und in einzelnen Fällen eine Kreislaufschwäche bis hin zur Ohnmacht auf", sagt der Experte der STIKO. Dies seien mögliche Nebenwirkung fast aller Impfungen. "Aber es gibt keine Nebenwirkungen, vor denen man Sorge haben müsste", sagt Martin Terhardt.

Kinder- und Jugendmediziner Köllges geht dennoch kein Risiko ein: "Ich würde jede mögliche Nebenwirkung dem Paul-Ehrlich-Institut melden. Das können darüber hinaus auch die Patienten selber tun. Dort werden mögliche Fälle registriert, beobachtet und ausgewertet."

(wat)
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