IGe-Leistungen im Check Akupunktur — Nadelstiche, die heilen?

München/Düsseldorf · IGe-Leistungen sind umstritten. Oft fürchten Patienten, dass sie etwas bezahlen, was sie nicht brauchen - oder das schlicht nicht wirklich hilft. Eine solche Leistung ist Akupunktur. Der IGel-Monitor hat sie als positiv eingestuft. Aber was bringt die Nadeltherapie wirklich? Und wann zahlt sie doch die Kasse?

Durch die Nase Luft zu holen — einer der normalsten Vorgänge. Milliarden von Menschen tun das täglich unzählige Male. Nur bei Schnupfen wird es schwierig. Schwer ist es für Sabine Kollmann immer. Tag für Tag, Atemzug für Atemzug spürt sie wie ihre Nasenatmung allergiebedingt eingeschränkt ist. Kommt ein Infekt hinzu, sind die Nebenhöhlen dermaßen dicht, dass ihr sogar das Schlucken schwer fällt.

Allergologen spüren verschiedene Milben und Schimmelpilze als Auslöser für das Problem auf. Eine Operation im Nasenraum schafft Erleichterung, doch nur wenige Monate nach dem Eingriff spürt die Dreißigjährige, dass sich die Situation wieder verschlechtert. Weder der Hals-Nasen-Ohrenarzt noch der Operateur machen ihr Hoffnung auf Besserung. Ohne die ständige Einnahme eines Antiallergikums und die längerfristige Anwendung eines Kortison-Nasensprays sind die Beschwerden so heftig, dass sie die Lebensqualität der jungen Frau erheblich einschränken.

Wie finden Sie einen guten Akupunkteur?
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Hoffnung gibt ihr eine niedergelassene Ärztin, die ihre Patienten nach der Traditionell Chinesischen Medizin behandelt und eine Akupunktur vorschlägt. Sabine Kollmann entscheidet sich für diese Therapie, nach der sich jährlich rund 1,5 Millionen Patienten in Deutschland behandeln lassen. Diese geht zurück auf eine alternative Heilmethode, die den Menschen in China schon seit Jahrtausenden hilft. "Vor über 2000 Jahren machte man die Erfahrung, dass das Drücken mit scharfen Gegenständen — wie zum Beispiel Steinen — auf bestimmte Körperteile eine schmerzlinderen Wirkung hatte", erklärt Jingdong Li, Leiter des Zentrums für Traditionelle Chinesische Medizin Düsseldorf, den Ursprung des Verfahrens. Heute wird es von rund 40.000 Heilpraktikern und Ärzten in Deutschland genutzt.

Ähnlich wie andere alternative Behandlungsverfahren steht dabei der Mensch in seiner Ganzheit im Vordergrund. Krank wird man nach Vorstellung der traditionell chinesischen Medizin nur dann, wenn der Energiefluss im Körper gestört ist. Der führt über 700 Punkte an die Hautoberfläche und fließt durch zwölf definierte Leitbahnen, die sogenannten Meridiane. Jeder dieser Leitbahnen ist ein bestimmtes Organ zugeordnet. Durch den Reiz eines feinen Nadelstichs kann nach Vorstellung der TCM fehlgeleitete oder gestörte Energie wieder in den richtigen Fluss gebracht werden.

Sabine Kollmann weiß darüber noch wenig, doch mit der Hoffnung auf Linderung sitzt sie nach nur wenigen Tagen im Behandlungszimmer der Ärztin, um die Nadeltherapie auszuprobieren. Im Moment allerdings löst allein die bloße Vorstellung daran ein unwillkürlich abstoßendes Schütteln in ihr aus. Doch die Beschwerden sind so groß, dass sie einer Behandlung zustimmt, bei der ihr mit leichtem Druck und feiner Drehung Nadeln in teils obere Hautschichten und teils tiefer liegende Körperareale gebohrt werden. Tatsächlich spürt sie den Einstich der haarfeinen Nadeln jedoch kaum. Verteilt über ihren Körper — vom Kopf bis zu den Füßen — sollen sie rund 30 Minuten dort verbleiben und eine Wirkung entfalten, die selbst Akupunkteure nicht bis ins Detail erklären können.

Als wissenschaftlich erwiesen gilt, dass der Reiz, den der Nadelstich setzt, in verschiedenen Körperbereichen die Ausschüttung von Botenstoffen und Hormonen wie Serotonin und Endorphine ankurbelt. "Mit dem Kernspintomographen konnte man auch Wirkungen im Gehirn nachweisen", sagt Dr. Dominik Irnich, Leiter der Interdisziplinären Schmerzambulanz am Klinikum der Universität München. Doch auch wenn die Wirkmechanismen zum Teil erklärbar sind, ist "das komplette System nicht aufgedeckt", fügt er an.

Dabei mangelt es nicht an Studien: Neben Akupunkturgesellschaften haben sich Forscher und Mediziner aus verschiedensten Fachbereichen mit dem Thema beschäftigt und selbst einzelne Krankenkassen haben Einschätzungen zu der Frage abgegeben, wogegen Akupunktur wirklich hilft.

Die Weltgesundheitsorganisation listet von Nasennebenhöhlenentzündungen angefangen über Asthma und Schmerzerkrankungen wie Arthritis oder Kopfschmerzen und Migräne in Summe rund 40 Krankheiten auf, bei denen die Therapieform helfen soll. Die Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur erwähnt neben Kopfschmerzen auch Schmerzen in der Hals- und Brustwirbelsäule, Asthma auch die chronische Darmerkrankung Morbus Crohn auf, gegen die die Nadelbehandlung helfen soll, wie auch Tinnitus oder Herzbeschwerden.

Selbst Allergiker und Heuschnupfen-Patienten kommen auf das Nadelverfahren zurück, weil es ihnen Linderung oder sogar Heilung bringt. Wissenschaftler der Berliner Charité waren im Jahr 2010 im Auftrag der Techniker Krankenkasse auf die Suche nach wissenschaftlichen Beweisen für die Wirksamkeit der Nadeltherapie gegangen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Erfolgsrate bei Heuschnupfen bei 90 Prozent lag und selbst Asthmatiker in 82 Prozent der Fälle Besserung verspürten. Neun von zehn Allergikern ging es selbst ein halbes Jahr nach der Behandlung noch deutlich besser. Das bestätigt auch der chinesische Heilpraktiker Jingdong Li. "Ich rate den Patienten dann im darauffolgenden Jahr dazu, einige Wochen vor der Pollenzeit die Behandlung wieder aufzunehmen. Manchmal werden sie ganz beschwerdefrei."

Kritiker führen an, dass Verfahren mache sich den Placebo-Effekt zu Nutze. Dänische Wissenschaftler kamen bei einer großen Metastudie im Jahr 2009 zu dem Schluss, die Nadeln zeigten selbst bei Rückenschmerzen und OP-Schmerz Wirkung, wenn sie gar nicht genau an den bekannten Akupunkturpunkten gesetzt wurden. Li machen solche Erkenntnisse keine Bauchschmerzen: "Bei allen Therapieerfolgen — auch schulmedizinischen — können positive Wirkungen unter anderem auf Placebo-Effekte zurückzuführen sein." Hier lesen Sie, bei welchen Erkrankungen Placebos sogar nachweislich helfen.

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Eine groß angelegte Metastudie, die ein internationales Wissenschaftlerteam rund um Andrew Vickers vom Memorial Sloan-Klettering Cancer Center in New York anstellte, nahm im Jahr 2012 die Patientendaten von insgesamt 29 Einzelstudien unter die Lupe. In Summe waren es beinahe 18.000 Patienten, die aufgrund von Schmerzen an der Schulter, am Rücken oder Knie sowie chronischen Kopfschmerzen mit Akupunktur oder einer Scheinakupunktur behandelt wurden. Dabei zeigte sich, dass das Nadelverfahren klar der Scheinakupunktur und auch der Nicht-Behandlung von Patienten überlegen war.

Von den Krankenkassen anerkannt und auch in einem gewissen Umfang übernommen wird Akupunktur seit dem Jahr 2007 als Schmerzbehandlung bei chronischen Rückenschmerz und Kniegelenksarthrose, sofern die Beschwerden seit mindestens einem halben Jahr bestehen. Voraussetzung hierfür ist, dass nach Informationen der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur die Behandlung von einem qualifizierten Arzt mit Kassenzulassung und der Zusatzbezeichnung Akupunktur durchgeführt wird, der zudem eine Abrechnungsbefugnis hat. Da aber alle darüber hinausgehenden Nadelbehandlungen sofern nicht eine private Zusatzversicherung einspringt zu den so genannten Selbstzahler oder IGe-Leistungen gehören, bewertet der IGel-Monitor sie zum Beispiel in Hinblick auf die Migräneprophylaxe. Dabei wird sie als "Tendenziell positiv eingeschätzt", da sie "ebenso gut lindert wie Medikamente".

Um die Frage nach der Wirksamkeit mit einem klaren "Ja" zu beantworten, brauchen viele Patienten, wie auch Sabine Kollmann keine Studie. Schon während der ersten Behandlung, bei auch Nadeln an den Nasenflügeln und zwischen den Augenbrauen sitzen, bemerkt sie, wie sie plötzlich wieder besser Luft bekommt. Rund eine Stunde Zeit nimmt sich die TCM-Ärztin bei ihrem ersten Treffen. Sie untersucht sie körperlich, fragt nach schulmedizinischen Diagnosen, nach Vorlieben bei Speisen, ob ihr eher warm oder kalt ist und wann sich ihre Probleme verschlechtern. Verdutzt streckt sie ihre Zunge heraus, als die Ärztin darum bittet und ihr erklärt, dass sie anhand der Form, Färbung und der Beschaffenheit, Hinweise für die Diagnose und spätere Behandlung sammelt.

Jingdong Li, Leiter des Zentrums für Traditionelle Chinesische Medizin Düsseldorf erläutert, warum diese aus schulmedizinischer Sichtweise ungewöhnliche Diagnose für die Traditionell Chinesische Medizin hingegen eine entscheidende Rolle spielt: "Die Zungendiagnostik spielt in der TCM eine besonders wichtige Rolle, denn Ärzte sehen sie als Verbindung von Körperinnerem und der Außenwelt. Risse, Schwellungen oder gestaute Venen, aber auch die Farbe des Zungenbelags deuten auf bestimmte Krankheiten hin." So kann der Arzt oft innerhalb kurzer Zeit beurteilen, wie gut der Energiefluss ist und in welchem Stadium eine Erkrankung steckt. "Bei einem weißen, dünnen Belag ist die Krankheit noch nicht weit fortgeschritten. Anders sehe das hingegen bei einem gelben, dicken Belag aus.

Daneben spielt auch das Ertasten des Pulses, das mit mehreren Fingern an drei Punkten oberhalb des Handgelenks erfolgt eine zentrale Rolle. "Erfahrene TCM-Ärzte unterscheiden insgesamt 28 Pulsqualitäten", erläutert Li. Auch hier sind durch die Tiefe und Häufigkeit des Pulses an einem der drei Punkte wieder Rückschlüsse auf Organschwächen möglich. Das zu erlernen, ist alles andere als leicht, sagt der Düsseldorfer Heilpraktiker, der in seinem Heimatland eine Ausbildung in Chinesischer Medizin gemacht hat.

"Dort gibt es in jedem Krankenhaus eine schulmedizinische Abteilung und eine Abteilung für Traditionell chinesische Medizin", erläutert er. Einer der wesentlichen Unterschieden zu Deutschland liege in der Zahl der Krankheiten, die man mit Hilfe der Akupunktur behandle. In China sind es über 300 Krankheiten. In Deutschland hingegen beschränkt man sich eher auf funktionelle Erkrankungen wie Rückenschmerz, Tennisarm oder Fersensporn.

Doch auch Europa spielt für neuere Errungenschaften der Akupunktur eine Rolle: Die westliche Akupunktur basiert zwar auf TCM, hat aber neue Einflüsse hinzugebracht. "Dazu zählt zum Beispiel die Ohr-Akupunktur, die erstmals in den 1957-er Jahren beschrieben wurde, die Schädelakupunktur nach Yamamoto oder die Handakupunktur", sagt Dr. Dominik Irnich, der neben seiner Tätigkeit am Uniklinikum München auch Leiter des Fortbildungszentrums der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur ist. In der Theorie bilden all diese Mikrosysteme auf kleinsten Körperregionen die Gesamtheit der menschlichen Organe ab. Dort zu behandeln zeigt oft besonders schnell Wirkung. Zu den westlich verwurzelten Verfahren gehört auch die Triggerpunkt-Akupunktur. Sie nutzt das Wissen rund um die Triggerpunkte der Muskeln und Faszien und ihrer Bedeutung bei Beschwerden des Bewegungssystems oder als Ausdruck innerer Funktionsstörungen. Vom chronischen Schmerzpatienten bis zum Leistungssportler finden sich diese sogenannten "myofasziale Triggerpunkte", die optimal mit Akupunkturnadelungen aufgelöst werden können.

Grundlage einer Akupunktur, egal welcher Art sei jedoch immer eine ausgiebige schulmedizinische Diagnostik. Denn die Nadeltherapie könne zwar heilen, was gestört sei, aber nicht mehr das reparieren, was zerstört sei, sagt Irnich und führt aus: "Es nutzt nichts, Magenschmerzen zu akupunktieren, wenn ein Tumor dahinter steckt." Bei der Suche nach einem qualifizierten Akupunkteur sollte man deshalb immer darauf achten, dass neben einer gründlichen Anamnese auch eine körperliche Untersuchung stattfindet. Eine Puls- und Zungendiagnose können diese Untersuchung ergänzen, sind aber wissenschaftlich nicht ausreichend in ihrer Aussagekraft untersucht.

"Ein guter Akupunkteur nimmt sich Zeit für den Patienten, er hört zu, versteht und erfasst ihn, seine Stärken und Schwächen, seine Situation", erläutert der Leiter des Fortbildungszentrums Irnich. Ein Indiz für seine Qualifikation ist zudem die Anzahl der Ausbildungsstunden, die er absolviert hat. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, lesen Sie hier weiter.

Neben solch diplomierter Qualifikation gibt es jedoch auch andere Aspekte, die eine Rolle bei der Ärztesuche spielen. Jingdong Li geht mit allen Sinnen auf Spurensuche. Mit der Nase nimmt er im Spurensuche-Puzzle Gerüche wahr, die am Patienten auffallen; mit den Ohren achtet er auf akustische Hinweise: wie laut ist die Stimme, rumort der Bauch und mit den Händen nimmt er fühlend Kontakt auf.

Sich darauf einzulassen, ist für manchen vielleicht befremdlich, für andere aber die Erlösung. Besonders dann, wenn sie sich durch die konventionelle Medizin nicht gut versorgt fühlen. Bei Sabine Kollmann war das so. Am Ende hat sie gute Erfahrungen mitgenommen. Sie konnte für zwei Jahre ohne Antiallergikum auskommen und das Kortison-Nasenspray absetzen. Dann nahm sie die Akupunkturbehandlung erneut auf.

(wat)
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