Wunderwaffe verliert ihre Wirkung Das passiert, wenn Antibiotika versagen

Berlin/Düsseldorf · Durchfall und Harnwegsinfekte sind zwar unangenehm, aber eigentlich eine Lappalie. Wir überstehen sie dank der Einnahme von Antibiotika. Wissenschaftler aber schlagen Alarm: Die viel verordnete Wunderwaffe gegen Bakterien verliert ihre Wirkung. So könnten schon kleine Verletzungen tödlich sein. Lesen Sie hier, wie Pharmaforscher daran arbeiten, dass die Menschheit einen Aufschub bekommt.

Diese Reservemedikamente liegen in den Panzerschränken der Ärzte
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Diese Reservemedikamente liegen in den Panzerschränken der Ärzte

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Foto: dpa, lus fux cdt

Lungenentzündungen, Blutvergiftungen, Durchfallerkrankungen und Harnwegsinfekte - das sind einige von insgesamt sieben Krankheiten, gegen die nach Meinung der Weltgesundheitsorganisation WHO Antibiotika immer weniger ausrichten können. Der Grund: Trotz der Gabe der bakterienabtötenden Medikamente überleben einige der Erreger, weil es ihnen gelingt, sich vor den für sie giftigen Substanzen zu schützen. Sie entwickeln eine sogenannte Resistenz.

So entstehen Resistenzen

Selbst sehr aggressive Antibiotika töten in den meisten Fällen nicht alle Erreger ab. Probleme macht das eine Prozent bakterieller Sonderlinge, das überlebt. Es besitzt besondere genetische Eigenschaften und hat nach dem medikamentösen Auslöschen ähnlicher Keime viel Platz, um sich auszudehnen. Nicht nur das: Mit Hilfe spezieller Mechanismen gelingt es den mutierten Erregern auch, ihre Resistenzgene an andere Erregergruppen weiterzugeben.

Also werden dringend neue Antibiotika gebraucht, die gegen die Problemkeime etwas ausrichten können. Das scheint nicht einfach zu sein. Nach bahnbrechenden Erfolgen in der Pharmaforschung und der Entdeckung erster Therapeutika gegen todbringende Krankheiten wie Syphilis im Jahr 1910 oder Typhus und Lungenentzündungen im Jahr 1936 haben sich über viele Jahrzehnte die Erreger auf diese und viele nachfolgende bakterienvernichtende Arzneimittel eingestellt. Sie sind mutiert und haben sich einen neuen Schutzschild zugelegt, dem bestehende Antibiotikaklassen nichts mehr anhaben können.

80 Antibiotika und keins hilft

"Noch in den 1980er- und 90er-Jahre kamen viele neue Antibiotika auf den Markt und es sah so aus, als hätte man gegen so ziemlich alle Keime etwas gefunden", sagt Dr. Rolf Hömke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Im nachfolgenden Jahrzehnt geschah darum auf dem Markt wenig. Doch dann wurden die Probleme immer drängender: Gegen Keime wie MRSA — multiresistente Staphylococcus-Erreger — die nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) Wundinfektionen und Entzündungen der Atemwege hervorrufen können, richten immer mehr Antibiotika nichts mehr aus und das, obwohl es rund 80 Antibiotika gibt, die gegen viele Bakterienarten wirksam sind.

Wenn es den Erregern nicht mehr an den Kragen geht, dann sieht es für den Menschen schlecht aus: Laut BfR kommt es in Sachen MRSA "zu verlängerten Krankenhausaufenthalten und erhöhten Todesraten". Ähnlich problematisch ist auch die Behandlung der Lungenerkrankung Tuberkulose geworden. Abwehrfähig gegen die altbewährte Wunderwaffe sind auch immer häufiger die Erreger von Geschlechtskrankheiten geworden. Auch bei Krankheitserregern wie Staphylokokken, Kolibakterien und Darmkeimen zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Resistenzen.

WHO: Kleine Verletzungen werden zur Todesgefahr

Es sind bedrohliche Visionen, die die Weltgesundheitshüter für unsere Zukunft prognostizieren: Häufig auftretende Krankheiten, deren Behandlung heute Dank der Gabe von Antibiotika meist kein Problem sind, könnten wieder zur Todesgefahr werden. "Gewöhnliche Infekte und kleine Verletzungen, die viele Jahrzehnte beherrschbar waren, werden wieder tödlich werden", prophezeit es Dr. Keiji Fukuda, Mediziner auf dem Spezialgebiet der Influenzaforschung und stellvertretender Direktor für Gesundheitssicherheit bei der WHO.

"Die wachsende Resistenzgefahr hat dazu geführt, dass sich die Pharmaforschung verstärkt hat", sagt Dr. Rolf Hömke. "In diesem Jahr sind gleich vier neue Antibiotika herausgekommen: zwei gegen den Klinikkeim MRSA, zwei gegen multiresistente Tuberkulose". Darüber hinaus befinden sich drei weitere Antibiotika im Zulassungsverfahren und fünfzehn Breitbandantibiotika in ihrer letzten Zulassungsphase sowie vier Antikörperpräparate, die gegen ganz spezielle Krankheiten helfen. Die kommenden Medikamente richten sich unter anderem gegen Keime, die verantwortlich für Lungenentzündung und Blutinfektionen sind, den Darmkeim Clostridium difficile, der schwere Durchfälle verursachen kann und resistente Tripper-Bakterien.

Warum Grund zur Nervosität besteht

Wenn diese Medikamente auf den Markt kommen, werden sie in den Panzerschränken der Kliniken und Ärzte verschwinden, als Reservemedikamente. Sie sind die neue Hoffnung, den Kampf gegen unbeherrschbar gewordene Krankheiten wieder aufnehmen zu können.

Vorübergehend jedenfalls. Denn Entwarnung geben auch die Pharmaforscher nicht. Mittelfristig könne man zwar problematische Resistenzen abfangen, "aber man sieht ja, in welchem Takt neue Resistenzen hinzukommen", sagt Dr. Rolf Hömke. Es bestehe darum durchaus Grund zur Nervosität.

Zumal die neuen Antibiotika zum Teil auf alten Wirkstoffklassen beruhen. Das heißt, sie greifen auf bereits lange zugelassene und gut verträgliche Antibiotika zurück. Gezielt haben die Pharmaforscher ihre Molekülstruktur so verändert, dass die bestehende Resistenz nicht mehr greift. Auf diese Weise kann die Forschung unwirksam gewordene Medikamente für eine begrenzte Zeit "retten". Doch irgendwann werden auch sie wieder ihre Schlagkraft verlieren.

Die Zahl der Antibiotika ist nicht unendlich

"Antibiotika lassen sich nicht nach Belieben nachliefern", warnt Birgit Fischer, die Hauptgeschäftsführerin des vfa. Darum sei es dringend nötig die Bildung und Verbreitung weiterer Resistenzen zu vermeiden. Das kann nur weltweit gelingen und nicht ausschließlich über nationale oder EU-weite Maßnahmen, wie sie die Politik bereits auf den Weg gebracht hat. In immer mehr Krankenhäusern greifen Schulungsmaßnahmen, die das Klinikpersonal dafür sensibilisieren, Verbreitungswege gefährlicher Keime zu kennen und sie in der täglichen Hygiene zu unterbinden. Auch der Patient selbst steht vielerorts vor seiner Aufnahme in eine Klinik im Visier. Per Abstrich wird er engmaschig auf eventuell bereits vorliegende Infektionen untersucht und diese behandelt, bevor Erreger in den Behandlungszentren einen bakteriellen Flächenbrand auslösen.

Das jedoch im Auge zu behalten reicht nicht aus. Immer noch gibt es Länder, in denen einige Antibiotika rezeptfrei zu bekommen sind: "Spanien, Rumänien, Griechenland, Bulgarien oder Malta gehören dazu", sagt Dr. Rolf Hömke. Das birgt die Gefahr eines falschen Einsatzes. Erkältungen werden beispielweise in 80 bis 90 Prozent der Fälle von Viren verursacht, ohne dass es eine zusätzliche bakterielle Besiedelung gibt", sagt Arzneimittelexperte Prof. Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Wer dennoch zu den harten Pillen greift, fördert die Bildung von Resistenzen.

Resistenzen vorbeugen: Das kann der Einzelne tun

Einen falschen Einsatz allerdings verursachen nicht nur Patienten, die selbsttätig zur Schachtel mit dem Breitbandantibiotikum greifen. Auch Ärzte verordnen diese Mittel, wenn sie gar nicht nötig sind. "Fast 30 Prozent der Antibiotika-Verordnungen im vergangenen Jahr waren mit Blick auf die Diagnose fragwürdig", ergab eine Analyse der Arzneimitteldaten der DAK.

Ebenso problematisch ist die Einnahme über eine zu kurze Zeit sowie eine zu schwache Dosierung. Wenn man Antibiotika braucht, dann sollte man sie in voller Dosis bis zum Ende der vom Arzt verordneten Zeitdauer nehmen. Wenig erwähnt, aber wirkungsvoll ist zudem die Impfung gegen Erreger bakterieller Infektionskrankheiten. Diese sind derzeit zum Beispiel gegen Meningokokken möglich, die Hirnhautentzündungen auslösen oder Pneumokokken, die zu einer schweren Lungeninfektion führen können und die in Deutschland jährlich für rund 12.000 Todesfälle verantwortlich sind.

(wat)
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