Neue Verfahren in der Zahnmedizin Wie Karies ohne Schmerzen und Bohren verschwindet

London/Boston · Karies ist eine der häufigsten vermeidbaren Krankheiten auf der Welt. Bei 2,3 Milliarden Menschen frisst er sich durch den Zahnschmelz und ist Grund für Schmerzen und kreischendes Bohren. Forscher sind darum neuen Verfahren auf der Spur, mit denen sie die Zahnfäule schmerzfrei heilen können.

 Karies macht jedem früher oder später zu schaffen, dann muss der Zahnarzt bohren. Neue Verfahren könnten diese Prozedur unnötig machen.

Karies macht jedem früher oder später zu schaffen, dann muss der Zahnarzt bohren. Neue Verfahren könnten diese Prozedur unnötig machen.

Foto: Lighthunter /Shutterstock.com

Es pocht und schmerzt: Wenn sich Karies tief in den Zahn gefressen hat, dann gibt es kein Entrinnen mehr. Nach der Betäubungsspritze folgt kreischendes Bohrergeheule, um die faulen Stellen aus der Zahnsubstanz zu entfernen. Nur so können Zahnärzte heute die noch nicht von Karies befallene Zahnsubstanz retten. Die entstandenen Löcher werden mit künstlichen Materialien wie Kunststoff oder Keramik verschlossen.

Britische Forscher, so berichtet jetzt das zahnärztliche Institut des King's College in London, entwickeln derzeit ein Verfahren, mit dem Kariesgeplagten vollkommen schmerzfrei geholfen werden könnte. Es baut auf die Remineralisierung der Zähne. Mit Hilfe von Strom sollen dabei die Mineralien, die dem Zahn fehlen, wieder zugeführt werden, ohne dass der Griff zum Bohrer notwendig wird oder eine künstliche Zahnfüllung notwendig würde.

Karies im Frühstadium heilbar

Neu ist die Idee, angegriffenen Zähnen von außen die fehlenden Mineralien zuzuführen nicht. Denn schon heute wird in der Zahnmedizin präventiv auf diese Weise gearbeitet. Das funktioniert, weil sich die Zahnfäule in mehreren Stufen entwickelt. Durch Plaques, die sich durch schlechte Putztechniken auf dem Zahn bilden und auch durch die Zusammensetzung des Speichels, kann es dazu kommen, dass den Beißerchen Mineralien wie Phosphat und Kalzium entzogen wird. Bei der Zahnkontrolle kann der Arzt das an sehr weißen, kreidigen Stellen auf dem Zahnschmelz sehen. In dieser Phase ist die beginnende Initialkaries, wie sie medizinisch genannt wird, noch umkehrbar. Durch eine intensive Therapie mit Fluoridanwendungen kann die Zahnfäule noch geheilt werden.

Der Zahnarzt trägt dazu hoch fluoridhaltiges Gel auf die betroffenen Stelle auf. Zu Hause kann der Patient mit Präparaten wie Elmex Gelée oder Tooth Mousse oder speziellen Zahnspüllösungen die Entkalkung des Zahnes selbst weiterbehandeln und die Karies stoppen. Die in den speziellen Fluoridierungs-Produkten enthaltenen Mineralien stärken den Zahnschmelz und schützen dadurch die Zähne gegen schädliche Säuren im Mund, die zum Beispiel durch Zucker aus der Nahrung oder Säuren aus Saftschorlen entstehen.

Löcher in Zähnen ohne Bohrer behandeln

Kann in diesem frühen Stadium die Entmineralisierung der Zähne nicht gestoppt werden, entstehen mit der Zeit größere Schäden, die sich als Hohlraum zeigen. In diesem Stadium können bislang allein der Bohrer und künstliche Zahnfüllungen Abhilfe schaffen. Mit dem neuen Verfahren der britischen Forscher, das sich Electrically Accelerated and Enhanced Remineralisation (EAER) nennt, soll der natürliche Reparaturprozess, der heute bereits im Anfangsstadium der Zahnerkrankung im Visier ist, angeregt werden. Durch das Zuführen von Kalzium- und Phosphat-Mineralien soll der Zahn selbst zur Reparatur des Defekts angeregt werden.

In einer ersten Phase wird die äußere Zahnschmelzschicht des Zahns vorbereitet. In der weiteren Behandlung werden durch einen geringen gepulsten Stromimpuls Mineralien in den beschädigten Zahn befördert, um die beschädigte Zahnsubstanz zu remineralisieren. Der Stromimpuls ist so gering, dass er vom Patienten nicht wahrgenommen wird. Nach Einschätzung eines der Entwickler vom King's Kollege, soll das neue Verfahren nicht teurer sein, als eine herkömmliche Kariesbehandlung, wie sie derzeit ausgeführt wird. Außerdem soll das Gerät auch zum Aufhellen von Zähnen zum Einsatz kommen können. Finden sich Investoren für das Vorhaben, könnte das neue Zahnbehandlungsgerät nach Einschätzung der Forscher in drei Jahren auf den Markt gebracht werden.

Impfung gegen Karies

Zeitgleich arbeiten Wissenschaftler in den USA und Indien an einer Impfung gegen die ansteckende Zahnerkrankung. Sie nimmt nicht die Abläufe im Zahnschmelz in den Fokus, sondern den Erreger. Streptococcus mutans nennt sich das Streptokokken-Bakterium, das in der Haputsache für ein Ungleichgewicht der entkalkenden, sauren und neutralisierenden Komponenten im Speichel verantwortlich ist.

Schon seit den 60-er Jahren versuchen Wissenschaftler dieses Bakterium durch eine Impfung auszuschalten und den Körper dazu anzuregen eigene Antikörper gegen es zu entwickeln. Am Forsyth-Institute in Boston arbeitet man schon seit Jahren daran, einen Eiweiß-Stoff zu entwickeln, der schon Kindern per Nasenspray verabreicht wird, um den Organismus dazu anzuregen, im Speichel Antikörper gegen den Karieserreger zu bilden.

Diese Antikörper richten sich gegen ein Enzym, das es den Karies-Streptokokken ermöglicht, sich an den Zahnbelag zu heften und dort Milchsäure zu produzieren, die den Zahnschmelz angreift. Gelingt es dem Impfstoff, die Enzymbildung zu untergraben, hat das Bakterium keine Chance, sich mehr anzuheften und kann problemlos mit der Zahnbürste weggeputzt werden.

Schädigung des Herzmuskels möglich

Im Tierversuch wurde die Nasenspray-Impfung bereits erfolgreich getestet. Der Einsatz am Menschen ist jedoch noch nicht in Sicht, auch wenn sein Entwickler Martin Taubmann ihn schon für Kinder ab dem 18. Lebensmonat für möglich hält. Denn nach Information der Arbeitsgemeinschaft Zahngesundheit der Stadt Heidelberg ist nicht ganz ungefährlich. Kritiker sehen die Impfung als kritisch an, da nicht ausgeschlossen sei, dass möglicherweise auch das Herzmuskelgewebe angegriffen wird.

Auf einem anderen Weg versuchen britische Forscher durch eine Substanz, die auf die Zähne aufgetragen wird, vor Karies zu schützen. Dabei wird mit einer Pipette eine Substanz aufgebracht, die dem Stoff nachempfunden ist, den der Körper selbst gegen die kariesverursachenden Streptokokken bildet. Nachteil dieser passiven Immunisierung: Eine Behandlung mit diesen Antikörpern müsste jedes Jahr wiederholt werden

Bis also präventiv oder zur Behandlung neue Möglichkeiten zur Verfügung stehen, heißt es also zunächst einmal weiter: entweder in die individuelle und professionelle Mund- und Zahnhygiene investieren oder Zähne zusammenbeißen und bohren lassen.

(wat)
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