Neurodermitis Eine Krankheit zum Aus-der-Haut-fahren

Düsseldorf · Quälender Juckreiz und entzündete Stellen machen Neurodermitis-Patienten das Leben schwer. Die Schübe lassen sich in den Griff bekommen - wenn man die Krankheit versteht. Drei Experten geben Antworten.

Neurodermitis: Die besten Tipps für die Behandlung
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Was ist Neurodermitis?

Bei einem atopischen Ekzem, auch Neurodermitis genannt, handelt es sich um eine Hauterkrankung, die erblich bedingt ist, die schubweise auftritt und die durch Stress ausgelöst werden kann. Es kommt dann zu einer Schuppung, Rötung und Entzündung der Haut. "Das wirklich zermürbende ist für die Betroffenen jedoch der starke Juckreiz", erklärt Klaus Strömer, niedergelassener Facharzt für Dermatologie und Präsident des Bundesverbandes der deutschen Dermatologen. "Der kann im Übrigen auch schon auftreten, bevor auf der Haut irgendetwas zu sehen ist." Experten sprechen hier von einem Teufelskreis: Juckreiz tritt auf, oft ohne eine sichtbare Hautveränderung, die Betroffenen beginnen zu kratzen, die ohnehin sensible Haut wird wund, juckende Ekzeme entstehen, der Patient will um so mehr kratzen - und alles beginnt von vorn.

Wie entsteht die Hautkrankheit?

"Neurodermitis gehört zu den atopischen Erkrankungen", erklärt Professor Bernhard Homey, Direktor der Universitäts-Hautklinik Düsseldorf. Das sind Krankheiten, die durch eine genetische Veranlagung zu starken Immunreaktionen entstehen. Weil Asthma und Heuschnupfen auch in diese Kategorie fallen, kommt es nicht selten zu einem sogenannten atopischen Marsch. Kinder, die unter einer Neurodermitis leiden, bilden in der Folge auch eine der anderen beiden Krankheiten aus. Ob ein Kind mit dieser Veranlagung auf die Welt kommt, ist stark von den Eltern abhängig. Hat nur ein Elternteil Neurodermitis, steigt das Risiko bereits um 20 bis 30 Prozent. Insgesamt leiden in den westlichen Ländern fünf Prozent der Erwachsenen und etwa 20 Prozent der Kinder daran. "Allerdings verlieren rund 85 Prozent der Kinder die Hautprobleme etwa bis zum zwölften Lebensjahr wieder", sagt Homey.

Neurodermitis: Die besten Tipps für die Behandlung
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Wie kommt es zum Juckreiz?

Der starke Juckreiz entsteht, weil vier verschiedene Mechanismen zusammenwirken: "Es gibt eine Verbindung zwischen Haut und Psyche", sagt Privat-Dozentin Silke Hofmann, Oberärztin am Zentrum für Dermatologie. "Egal, ob Freude, Stress oder Angst, psychisch aufregende Situationen äußern sich bei Patienten häufig durch einen Schub." Erklären lässt sich diese Sensibilität mit einer Besonderheit in der Neurodermitiker-Haut. Homey erklärt: "In Studien konnte man bei Patienten ein stark vermehrtes Netzwerk von sensorischen Fasern feststellen." Dabei handelt es sich um Nervengewebe, das bereits auf den geringsten Auslöser mit Juckreiz reagiert. Für manche wird deswegen schon das Tragen von Kleidung problematisch. Betroffene bilden laut Homey außerdem, ähnlich wie Schmerzpatienten, ein Juckreizgedächtnis aus. Das Gehirn wird also mit der Zeit immer mehr auf Juckreiz als Reaktion geeicht.

Die vierte und - genetisch gesehen - wichtigste Veränderung ist eine Störung in der Hautbarriere. "Man kann sich das vorstellen, als wäre die Haut eine Mauer und die natürlichen Fettschichten darin wären der Mörtel", sagt Homey. "Beim Atopiker ist das Mörtel-Gen defekt, und die Mauer wird durchlässig." So kommt es dazu, dass ständig zuviel Feuchtigkeit aus der Haut entweichen kann und gleichzeitig von außen Keime und chemische Stoffe eindringen können. Die Haut trocknet aus, ist Bakterien ausgesetzt und kann sich nicht von alleine regenerieren.

Neurodermitis: Die besten Tipps für die Behandlung
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Welche Rolle spielen Bakterien?

Weil durch die gestörte Barrierefunktion und das Kratzen leichter Bakterien eindringen, "ist es wichtig, bei schweren Schüben mikrobiologische Hautabstriche zu machen", sagt Hofmann. "Sie zeigen, ob es nötig ist, den Patienten zusätzlich mit einem Antibiotikum oder auch mit einem Mittel gegen Pilzerkrankungen zu behandeln." Besonders helfe das bei Erwachsenen, die etwa in der Armbeuge durch die Reibung und das Schwitzen schnell Pilze und Keime einmassieren.

Welche Rolle spielt die Ernährung?

Die Frage nach der Ernährung gehörte zu den häufigsten des Abends. Einig waren sich die Experten, dass histaminhaltige Lebensmittel wie Rotwein und Erdbeeren einen Schub auslösen können. Auch auf saures Obst sollte unter Umständen verzichtet werden. "Zugleich warne ich aber davor, Zusammenhänge zu suchen, wo vielleicht keine sind", sagt Strömer. "Ein Mensch isst sehr vieles über einen Tag, ob und wenn, welches Lebensmittel eine Reaktion auslöst, ist durch den Patienten selbst nur schwer erkennbar." Vermutungen sollten deshalb durch einen Allergie- und Bluttest geklärt werden. Insbesondere kleine Kinder dürften laut Strömer nicht einfach auf Diät gesetzt werden.

Was ist die richtige Therapie?

Das Wichtigste, da sind sich alle drei Experten einig, ist eine frühzeitige Behandlung. Das bedeutet, die Haut muss auch therapiert werden, wenn sich keine Symptome zeigen. Homey empfiehlt: "Erst wenn die Haut eines Atopikers glänzt wie eine Speckschwarte, ist sie gut versorgt und vor dem Austrocknen geschützt. Das bedeutet regelmäßiges Cremen von Kopf bis Fuß - nach dem Baden übrigens innerhalb von drei Minuten." Tritt Juckreiz auf, muss mit Cortison, antiseptischen und antimykotischen Mitteln gearbeitet werden. Bewährt hat sich laut Strömer gegen sehr starke Entzündungen und Juckreiz die Einnahme von Cortison-Tabletten. Zusätzlich kann eine UV-Lichttherapie beruhigende Wirkung erzielen, bestätigt Hofmann. Am Ende des Abends gab es dann noch eine sehr persönliche Frage: Ob Neurodermitis wirklich ansteckend sei, fragte ein Vater, weil sein Sohn deswegen oft nicht mit in den Schwimmunterricht dürfe. Auf gar keinen Fall, antworteten die Experten fast unisono.

(ham)
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