Studie Ärzte verschreiben vermehrt Placebos

Berlin (RPO). Erstaunlich viele Ärzte geben ihren Patienten bisweilen Placebos. Mehr als jeder zweite Mediziner bekenne sich zu solchen Scheinmedikamenten und -therapien, sagte der Autor einer neuen Studie der Bundesärztekammer, Robert Jütte, am Mittwoch in Berlin.

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Foto: dpa-tmn/Christin Klose

Die Kammer empfiehlt ihren Mitgliedern sogar, Placebos künftig gezielt noch häufiger einzusetzen. Denn auch Pillen und Spritzen ohne geeigneten Wirkstoff helfen Studien zufolge oft - und zwar häufig ohne schlimme Nebenwirkungen und exorbitante Kosten.

Jütte stellte für die Bundesärztekammer die Expertise "Placebo in der Medizin" vor. Dabei verwies er auf eine Umfrage unter Hausärzten in Bayern, in der 88 Prozent sich zum Einsatz von Placebos bekannten. In einer Schweizer Studie waren es 72 Prozent. Man könne davon ausgehen, dass "über 50 Prozent sie in der therapeutischen Praxis nutzen", sagte der Medizin-Historiker.

Vitaminpräparate und Zuckerpillen

In der Praxis werden nach seinen Worten zum Beispiel Vitaminpillen oder homöopathische Mittel verschrieben, die der Mediziner selbst für wirkungslos hält oder die zumindest keine auf das Krankheitsbild zugeschnittene Arznei enthalten. Einzelne Ärzte verbündeten sich auch mit dem örtlichen Apotheker, der dann auf Rezept Zuckerpillen abgibt. Mitunter werden auch Spritzen ohne Wirkstoff gesetzt oder Scheinakupunktur angewendet. Auch Scheinoperationen (Sham Surgery) gibt es.

Was wie Täuschung aussieht, kann nach Jüttes Worten durchaus dem Wohl des Patienten dienen. So helfen Placebos laut einer Studie in Deutschland 59 Prozent der Patienten mit Magengeschwüren. Bei Depressionen zeigen Placebos in etwa ebenso vielen Fällen Wirkung wie tatsächliche Psychopharmaka - nämlich jeweils in etwa einem Drittel der Fälle, wie Jütte berichtete.

Forscher können sogar im Gehirn eine Wirkung von Placebos nachweisen - sie ist also nicht nur Einbildung. Allerdings haben Wissenschaftler noch keine schlüssige Erklärung. Sie vermuten, dass die Wirkung von der Lernerfahrung oder von der Erwartung der Patienten abhängt, nach dem Motto: Wenn man eine Pille nimmt, gehen die Schmerzen weg. Jütte sagte, neue Studien hätten sogar ergeben, dass Placebos nachweislich besser wirken, wenn der Arzt sie als teuer darstellt.

"Von enormer Bedeutung"

In der Studie setzt sich Jütte ausführlich damit auseinander, ob der Einsatz von Scheinmedikamenten ethisch vertretbar ist. Dies gilt zum Beispiel nicht, wenn ein Mediziner seinem Patienten ein echtes Arzneimittel vorenthält und sich sein Zustand verschlechtert. Auch müsse der Arzt bei jeder Therapie - oder Scheintherapie - über mögliche Risiken aufklären. Placebos wirkten nach neueren Studien sogar, wenn die Patienten wüssten, dass kein Wirkstoff drin sei, sagte Jütte.

Insgesamt kommt er mit Blick auf die Wirkung von Placebos und auf die Nebenwirkungen echter Medikamente zu dem Schluss: "Mit dem Einsatz von Placebos lassen sich erwünschte Arzneimittelwirkungen maximieren, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten verringern und Kosten im Gesundheitswesen sparen." Auch Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer meinte: "Placebos wirken stärker und sehr viel komplexer als bisher angenommen. Ihr Einsatz ist von enormer Bedeutung für die ärztliche Praxis."

(apd/felt)
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