Wie Großstädte auf Menschen wirken "Die rheinische Frohnatur hält gesund"

Düsseldorf · Wer in der Stadt lebt, ist vielen Stressfaktoren ausgesetzt: Lärm, Verkehr, soziale Isolation. Das kann krank machen. Warum ausgerechnet die rheinische Frohnatur der beste Schutz dagegen ist, erklärt der Neurologe Mazda Adli im Gespräch.

 Die rheinische Kultur hält Bewohner in Städten wie Düsseldorf und Köln gesund (Symbolbild).

Die rheinische Kultur hält Bewohner in Städten wie Düsseldorf und Köln gesund (Symbolbild).

Foto: Thomas Quack/Shutterstock

Herr Adli, in Ihrem Buch geht es darum, dass Städte spezielle Auswirkungen auf die Bewohner haben. Welche sind das?

Mazda Adli Untersuchungen zeigen, dass Menschen, die in Städten leben oder aufgewachsen sind, eine erhöhte Stressempfindlichkeit haben. Das kann erklären, warum sie auch ein erhöhtes Risiko haben, an Stressfolgeerkrankungen zu leiden. Dazu gehören etwa Depressionen und Angststörungen.

Können Sie erklären, warum die Stressempfindlichkeit erhöht ist?

Adli Was wir sagen können ist, dass die Gehirne von Stadtmenschen anders reagieren als die von Landbewohnern. Das zeigen Untersuchungen einer Forschergruppe aus Mannheim. Wenn man Versuchspersonen während einer Kernspintomographie einem Stresstest unterzieht, zeigen die Areale, die Emotionen verarbeiten, bei Stadtbewohnern eine höhere Aktivität als bei Landbewohnern. Interessant ist, dass dieser Unterschied umso stärker wird, je größer die Stadt ist, in der der Betroffene lebt. Er ist außerdem auch umso größer, je länger jemand in einer Stadt aufgewachsen ist.

 Mazda Adli ist Neurologe und Psychiater. Im Juni ist sein Buch "Stress and the city. Warum Städte uns krank machen und warum sie trotzdem gut für uns sind" erschienen.

Mazda Adli ist Neurologe und Psychiater. Im Juni ist sein Buch "Stress and the city. Warum Städte uns krank machen und warum sie trotzdem gut für uns sind" erschienen.

Foto: Mazda Adli

Stadtleben ist also schädlich?

Adli Nein, man muss nicht unbedingt Schaden daran nehmen. Aber das Gehirn des Städters funktioniert einfach anders. Man hat dort mehr Menschen um sich, mehr Verkehr und mehr Ereignisse. Das sorgt dafür, dass Stadtbewohner empfindlichere Antennen für Stress haben. Was uns in Städten wirklich zusetzt, ist vor allem der soziale Stress.

Wie meinen Sie das?

Adli Dieser Stress wird zum Problem, wenn das Zusammenleben in hoher Dichte und gleichzeitige soziale Isolation aufeinander treffen, wie das bei Stadtmenschen häufig passiert. Was dagegen hilft, sind öffentliche Plätze, die Menschen gerne betreten.

Können Sie das an einem Beispiel in NRW erklären?

Adli Ich bin gebürtiger Kölner, und ich kann sagen, dass der Kölner eine Kultur der Kontaktaufnahme hat. Die rheinische Frohnatur hält gesund, weil sie Isolation vorbeugt.

Das gilt dann ja aber auch für Düsseldorf.

Adli Ich kenne Düsseldorf nicht so gut, aber ja. Man kann sagen, dass das erstmal für alle Städte gilt, die dieses rheinische Kulturgut haben und leben. Die rheinische Art und auch der Karneval sind nicht nur drollig, sondern sie sind in den modernen, wachsenden Städten wichtige Ressourcen, die den Menschen gut tun und die es zu schützen gilt.

Was macht die rheinische Kultur so gesund?

Adli Sie sorgt dafür, dass Menschen - und eben gerade auch Menschen, die sich nicht kennen - sehr leicht zusammenfinden. Denken Sie nur daran, wie normal es im Karneval ist, sich zu umarmen und zu bützen. Außerdem ist die rheinische Kultur sehr porös. Das heißt, die Menschen sind unheimlich offen und integrieren Zugezogene schnell in Stadt und Stadtleben.

Was machen Menschen in Städten, die keine rheinische Kultur haben?

Adli Fast jede Region in Deutschland hat ja eigene Feste und Traditionen, und es ist wichtig, dass sie gepflegt werden. Es geht darum, dass Menschen einen Anlass haben, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten und zu treffen, um das Gefühl der Isolation zu überwinden.

In Berlin dürfte das schwierig sein.

Adli Ja, in Berlin gibt es eine stärkere Fragmentierung der Gesellschaft. Gleichzeitig gibt es hier aber auch viele Angebote. Alleine schon die breiten Bürgersteige führen dazu, dass Stühle und Tische aufgestellt werden und die Menschen bis nachts zusammensitzen. Die Kioske bieten Sitzmöglichkeiten, die viel genutzt werden, es gibt Flohmärkte und natürlich auch ein großes kulturelles Angebot. Theater oder Oper sind wichtige öffentliche Räume, die Menschen gesund halten.

Wie steht es denn mit Städten, die stärker industrialisiert sind, wie im Ruhrgebiet? Oder solche mit ausgeprägten Problemvierteln wie etwa Duisburg?

Adli Eine hohe Kriminalitätsrate sorgt nicht nur dafür, dass die Bewohner mehr Stress und Angst haben, sondern auch dafür, dass sich eine Stadtbevölkerung leicht in verschiedene Gruppen zerfällt, also fragmentiert. Damit wächst auch das Risiko der Isolation für den Einzelnen und das ist ein echter Krankmacher.

Gibt es dazu Studien?

Adli Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Patienten, die sich einsam fühlen, deutlich schlechter und langsamer genesen als solche, die sozial gut integriert sind. Und es gibt Studien, die zeigen, dass Gefühle von Einsamkeit und Isolation eine höhere Sterblichkeit nach sich ziehen als Fettleibigkeit, Rauchen und mäßiger Alkoholkonsum. Deswegen ist es überlebenswichtig für Stadtbewohner, dass Isolation durch entsprechende Angebote verhindert wird.

Hilft es denn, wenn Städte an Flüssen liegen oder viele Grünflächen haben?

Adli Das hat klare Vorteile. Zum einen ist das Rheinufer in Köln und Düsseldorf ja ein Ort, an dem Menschen sich gerne draußen aufhalten und zusammenkommen. Zum anderen zeigen Studien aber auch, dass schon eine kleine Grünfläche in der Nähe das Risiko für psychische Erkrankungen verringert und Kindern dabei hilft, sich besser konzentrieren zu können.

Was bringt dann der Ausflug aufs Land?

Adli Spazieren gehen oder ein Wochenende im Grünen zu verbringen, sorgt zwar für Entspannung und Erholung. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit einem Leben auf dem Land. Für die meisten Menschen hierzulande ist das Leben in der Stadt gut. Es gibt schließlich viele Vorteile: Man hat eine bessere Gesundheitsversorgung, mehr kulturelle Angebote und eine bessere Chance auf persönliche Entwicklung und Entfaltung.

Was ist dann die beste Überlebensstrategie für ein Leben in der Stadt?

Adli Mein Rat ist, sich die Stadt anzueignen. Das kann im Kleinen beginnen, etwa indem man vor die Tür geht und die eigene Nachbarschaft erkundet. Wer wohnt da eigentlich? Wie heißen diese Menschen? Wie sind die Gerüche in meiner Straße? Außerdem lohnt es sich, mal vom Routineweg zur Arbeit oder zum Supermarkt abzuweichen und neue Ecken und Wege zu erkunden. Wachsam durch die Stadt zu gehen hilft, sie sich anzueignen. Und auf das Aneignen kommt es an. Das Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit wirkt sozialer Isolation entgegen.

(ham)
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