Interview mit Ärztepräsident Montgomery "Zu laxer Umgang mit Schweigepflicht"

Düsseldorf · Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, spricht über den Umgang mit Daten kranker Menschen, kritisiert die zu langsame Reaktion auf die Ebola-Krise und sagt, wo Physiotherapien ohne ärztliche Empfehlung aus seiner Sicht keinen Sinn machen.

Das ist Frank Ulrich Montgomery
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Seit 2011 ist Frank Ulrich Montgomery Präsident der Bundesärztekammer. In dieser Funktion ist er auch einer von zwei Vorsitzenden des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin.

Stößt die ärztliche Kunst bei der Beurteilung seelischer Erkrankungen an ihre Grenzen, wenn es um einen Fall wie Andreas L. geht?

Montgomery An Spekulationen über den Fall von Andreas L. beteilige ich mich nicht. Man kann die Frage aber abstrakt beantworten. Es besteht eine Fehlwahrnehmung in der Öffentlichkeit, wie weit ärztliche Kunst gehen kann. Bei der Vorhersage von Suiziden gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. Man kann Menschen von Suizidalität auch heilen. Sie kann aber auch wiederkommen. Gefährlich wäre es, von dem Fall Andreas L. abzuleiten, wer einmal die Diagnose Depression hat und behandelt worden ist, darf nie wieder fliegen, Lok oder Bus fahren. So wie es beim Fliegen immer ein geringes technisches Restrisiko gibt, so gibt es auch ein sehr geringes menschliches Restrisiko.

Der Absturz hat eine Debatte über die ärztliche Schweigepflicht ausgelöst. Sollte das Unglück für die Ärzte Anlass sein, sich in dieser Frage selbst zu vergewissern, wie sie mit ihrer Schweigepflicht umgehen?

Montgomery Kritische Reflexion ist immer sinnvoll. Wir haben aber eher Probleme mit einem zu laxen Umgang mit der Schweigepflicht.

Wie meinen Sie das?

Montgomery Leichtfertigkeit in Gesprächen mit Menschen, die Diagnosen nichts angehen. Es werden auch zu oft Akten von Krankenhäusern nach dem Tod eines Menschen herausgegeben, obwohl die Schweigepflicht über den Tod des Patienten hinausreicht. Grundsätzlich ist den Ärzten klar, dass Paragraf 203 des Strafgesetzbuches ihnen die Offenbarung von Patientendaten verbietet. Paragraf 34 aber erlaubt und gebietet ihnen, in einem Notstand, wenn es um die konkrete Abwehr von Gefahr für Leib und Leben geht, sich zu offenbaren.

Der Ärzteverband Hartmannbund schlägt vor, dass bei Angehörigen sensibler Berufsgruppen eine Krankschreibung direkt an den Arbeitgeber gehen soll. Was halten Sie davon?

Montgomery Was ist ein sensibler Beruf? Ein Lokführer hat auch die Verantwortung für 350 Menschen.

Der würde zu der Gruppe der sensiblen Berufe wohl dazu gehören . . .

Montgomery Ja, und auch der Bus- und der Lkw- und der Taxifahrer. Wo sollen wir denn die Grenze ziehen? In Deutschland gibt es bislang einen Kontakt zwischen behandelndem Arzt und Arbeitgeber nur über den dem Patienten mitgegebenen gelben Arbeitsunfähigkeitsschein. Das halte ich für eine ausgesprochen kluge Regelung.

Der Gesundheits- und der Entwicklungshilfeminister fliegen diese Woche in die Ebola-Gebiete nach Afrika. Hat die Regierung schnell genug und richtig auf diese Krise reagiert?

Montgomery Es wurde auf die Ebola-Krise nicht schnell genug reagiert. Diesen Vorwurf mache ich aber nicht der Regierung allein, sondern uns allen. Auch die wissenschaftliche Community und die Hilfsorganisationen haben die Ausbreitung von Ebola unterschätzt.

Ärzte ohne Grenzen haben schnell geholfen...

Montgomery Deshalb haben wir Tankred Stöbe von Ärzte ohne Grenzen als Redner zum Ärztetag eingeladen. Der wird uns die Leviten lesen. Hinterher ist man immer klüger. Wir haben alle die Dramatik dieser Krise unterschätzt. Und das sage ich, obwohl ich am Universitäts-Klinikum Hamburg-Eppendorf arbeite und das zuständige Bernhard-Nocht-Institut Teil des UKE ist. Als die Krise in ihrer ganzen Dimension erkannt war, hat die Regierung gut reagiert. Wir haben die Dynamik der Ausbreitung auch deshalb falsch eingeschätzt, weil sich kein Mensch vorstellen konnte, wie desolat die Situation der Gesundheitsversorgung in den drei betroffenen Staaten ist. Nigeria, dem Kongo und Indien hingegen ist es bei der Einreise von Ebola-Kranken gelungen, die Infektionsherde einzukesseln.

Das Virus einzukesseln ist aber keine dauerhafte Lösung. Welche Konsequenzen müssen gezogen werden?

montgomery Das eigentliche Problem liegt in der Ökonomisierung der Medizin. Solche Landstriche entvölkernde Krankheiten lassen sich nur mit Impfungen beseitigen. Da besteht das Dilemma: Die Industrie hat keinen Impfstoff entwickelt, weil ihr klar war, dass niemand den Impfstoff bezahlen kann. Jetzt brauchen wir eine weltweite Initiative. Und wir werden allein schon aus Eigenschutz heraus das Geld für Impfungen in Afrika auftreiben.

Setzen Sie dabei auf den G7-Gipfel?

Montgomery Wir setzen auf G7. Ob es dort schon gelingt, ist fraglich. Solche Impfungen sind nicht nur eine finanzielle Frage. Sie müssen auch an die Menschen in den von Bürgerkriegen und Stammesauseinandersetzungen geprägten Gebieten herankommen.

Die Unionsfraktion plant, dass Therapeuten wie Krankengymnasten und Logopäden künftig unabhängiger von den Empfehlungen und Verschreibungen der Ärzte arbeiten sollen. Ein Modell für die Zukunft?

Montgomery Wir diskutieren den Direktzugang zu den Physiotherapeuten schon länger. Wer eine Behandlung nicht von den Kassen bezahlen lassen möchte, kann dies heute schon tun. Es geht also um die Frage der Abrechnung. Wichtig ist aus unserer Sicht, dass die zusätzlichen Kosten, die dadurch entstehen, außerhalb des Budgets abgedeckt werden. Vor allem aber muss die Haftungsfrage geklärt sein. Und es muss genau bestimmt sein, wer als Therapeut zugelassen wird.

Die Befürworter argumentieren, dass die Physiotherapeuten manches besser wissen als die Ärzte.

Montgomery Es ist richtig, dass ein Physiotherapeut besser als ein Arzt weiß, wie man eine Bewegungstherapie durchführt. Eine Bewegungstherapie ist aber beispielsweise bei einem schweren Bandscheibenvorfall nicht angezeigt. Diese Diagnose und Behandlung ist Sache des Arztes und muss es auch aus Patientenschutz heraus bleiben.

Warum haben Sie eigentlich Ihr SPD-Parteibuch abgegeben?

Montgomery Als Vorsitzender des Marburger Bundes habe ich mit für die Tarifpluralität in Deutschland gesorgt und dass auch kleinere Gewerkschaften ihre Rechte wahrnehmen können. Dass Arbeitsministerin Andrea Nahles nun mit einem klar verfassungswidrigen Gesetz versucht, zum Nutzen der Arbeitgeber und weniger Großgewerkschaften, kleine Gewerkschaften kaputt zu machen, war für mich ein Grund, aus der SPD auszutreten.

Eva Quadbeck führte das Interview.

(qua)
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