Lungenkrebs bei Nichtrauchern "Hat nie geraucht — und jetzt das!"

Düsseldorf (RP). Der Fall Christoph Schlingensief hat gezeigt: Nicht- oder Ex-Raucher sind vor Lungenkrebs nicht gefeit. 15 Prozent aller Bronchialkarzinome bekommen Leute, die nie eine Zigarette geraucht haben; bei den Frauen sind es sogar 20 Prozent. Bei ihnen vermutet man auch hormonelle Aspekte.

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Foto: AP

Der Lungenkrebs der Nichtraucher wird oft für himmelschreiende Ungerechtigkeit gehalten: "Hat nie eine Zigarette angerührt — und jetzt das!" Im Gegenzug werten viele Raucher das Bronchialkarzinom der Nichtraucher als Freibrief fürs eigene tödliche Laster: "Seht ihr, Nichtrauchen schützt auch nicht!" Die Statistik ist trotzdem gegen sie: Raucher sind bis zu 20-mal stärker als Nichtraucher gefährdet, Lungenkrebs zu bekommen.

Warum wie im Fall des kürzlich gestorbenen Regisseurs Christoph Schlingensief auch Nichtraucher und Leute, die das Rauchen seit langem aufgegeben haben, an Lungenkrebs erkranken, ist noch nicht genau erforscht. Weltweite Krebsstatistiken haben ermittelt, dass zehn bis 15 Prozent aller Fälle des häufigsten Tumortyps, des nichtkleinzelligen Lungenkrebses (NSCLC), Nichtraucher treffen; diese Zahlen schwanken allerdings.

Etwa 10 Prozent davon sind Männer, 20 Prozent sind Frauen. Das wirft viele Aspekte auf. Da Lungenkrebs immer noch einen traurigen Spitzenplatz bei allen Krebsneuerkrankungen einnimmt, andererseits Nichtraucherprogramme einen gewissen Effekt erzielen, wird die Zahl der Nichtraucher-Karzinome prozentual weltweit sogar noch steigen. Vielleicht aber auch nicht: Da Passivrauchen das Krebsrisiko ebenfalls merklich erhöht, könnte mit einer sinkenden Zahl von Rauchern auch die des Nichtraucher-Lungenkrebses fallen.

Warum ist auch das Passivrauchen so gefährlich? Wissenschaftlich ist zu unterscheiden zwischen dem Hauptstromrauch, den der Raucher inhaliert, und dem Nebenstromrauch, der während der Zugpausen von der glimmenden Zigarette ausgeht. Einige krebserzeugende Stoffe (Kanzerogene) kommen im Nebenstromrauch, den Personen in der Umgebung einatmen müssen, sogar in höherer Konzentration vor als im Hauptstromrauch.

Bei längerem Aufenthalt in verrauchten Räumen nehmen Nichtraucher Kanzerogene in Mengen auf, die mehreren selbst gerauchten Zigaretten entsprechen. Übrigens betrifft das Risiko des Passivrauchens auch Herz-Kreislauferkrankungen. Man muss nicht selbst rauchen, um schwer zu erkranken — es reicht schon, wenn man in der Nähe ist.

Bei genauerer Analyse fällt auf, dass sich Lungenkrebs bei Rauchern und Nichtrauchern ohnedies in zahlreichen Aspekten unterscheidet. Vor allem scheinen die molekularen Mechanismen unterschiedlich zu sein. Interessant ist, dass bestimmte Genmutationen vor allem im Tumorgewebe von Nichtrauchern bestehen.

Vor allem das sogenannte EGFR-Protein befördert eine Reihe von Tumorprozessen, auch die Metastasenbildung. Neuere Medikamente haben hier bei einigen Patientengruppen einen extrem starken Effekt bei der Hemmung dieses Proteins und bei der Überlebensdauer erzielt — vor allem bei Frauen und Nichtrauchern, beim Typ des sogenannten Adenokarzinoms und bei Menschen aus Ostasien.

Der höhere Anteil der Frauen beim Lungenkrebs der Nichtraucher lässt die Frage aufkommen, ob geschlechtsspezifische Hormone eine verstärkte Rolle spielen. Tatsächlich scheinen Östrogene beim Wachstum von Tumorzellen von Bedeutung zu sein. Auch die Rolle von Viren wird noch diskutiert.

Die Prognose von Lungenkrebsfällen bei Nichtrauchern lässt sich beim derzeitigen Stand der medizinischen Forschung noch nicht sicher abschätzen. Aber sie ist offenbar auffällig besser, und zwar unabhängig vom Krebsstadium, vom Therapiekonzept und den Begleiterkrankungen. Eine neuere Studie fand selbst bei Lungenkrebsfällen mit Metastasen ein signifikant höheres Ansprechen auf Chemotherapie und ein längeres Überleben in der Nichtrauchergruppe.

Man muss allerdings unterscheiden zwischen Menschen, die nie geraucht haben, und solchen, die eine lange Raucherkarriere hinter sich haben, aber nun Nichtraucher geworden sind. Diese Gruppe hat zwar immer noch bessere Chancen als Aktivraucher, aber andererseits hat die Lunge ein langes Gedächtnis für alles, was man ihr zugefügt hat. Es verblasst aber, je länger die letzte Zigarette zurückliegt.

Die Frage, wieso bei Christoph Schlingensief der Krebs trotz der Entfernung des linken Lungenflügels kein Ende fand, ist nicht so leicht zu beantworten. Die sogenannte Fünf-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit nach einer Operation ist sehr hoch. Es ist möglich, dass Schlingensief die Intervalle der anschließenden Chemotherapie nicht eingehalten hat; einen zweiten Zyklus hat er offenbar komplett ausfallen lassen.

Es kann auch sein, dass die Ausbreitung des Tumors im sogenannten Staging nicht mit allen modernen Verfahren erforscht wurde — dass beispielsweise keine kombinierte PET-CT durchgeführt wurde, eine radiologisch-nuklearmedizinische Untersuchung, bei der die Lage und Aktivität auch kleiner Tumoren und Metastasen sehr sicher erkannt wird.

Und vielleicht wollte Schlingensief auch selbst, dass "das Ding rauskommt" (wie er einmal gesagt hat), auch wenn nicht sicher war, dass damit der Tumor auch mit allen Töchtern entfernt war.

(RP)
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