Körperkunst Generation Tattoo

Düsseldorf · Mehr als ein Fünftel der jungen Erwachsenen in Deutschland ist tätowiert. Für die Jugend ist es ein Mittel zur Identitätsbildung. Wer ein Tattoo erwerben möchte sollte unbedingt auf die Einhaltung hygienischer Standards achten.

Mesut Özil läuft mit freiem Oberkörper über den Rasen des Maracana-Stadions in Rio de Janeiro. Um seinen Hals hängt eine Goldmedaille, in der linken Hand hält er den WM-Pokal. Nicht minder auffällig ist die große Tätowierung, die seinen linken Oberarm und Teile der Schulter ziert. Das Motiv: Ein schreiender Löwe auf orange-rotem Hintergrund. Darunter stehen die Zeilen: "Only God Can Judge Me" ("Nur Gott kann mich richten"). Der deutsche Nationalspieler war bei der jüngst beendeten Fußball-Weltmeisterschaft mit seinem Körperschmuck in bester Gesellschaft. Vor allem die Fußballer aus Europa sowie Nord- und Südamerika trugen Tattoos am Körper.

Die Nationalspieler liegen in ihrer Altersklasse mit den Tattoos absolut im Trend. Auch Prominente aus anderen Branchen wie die Sänger Justin Bieber, Miley Cyrus, Sarah Connor, Rihanna und Casper sowie die Schauspieler Scarlett Johansson und Megan Fox mögen die Körperkunst.

In Deutschland sind die Tattoos sehr populär. Laut einer repräsentativen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag der Ruhr-Universität Bochum sind insgesamt 6,3 Millionen Menschen in Deutschland tätowiert (in anderen Studien werden sogar mehr als zehn Millionen genannt). 9 Prozent der Befragten ab 16 Jahren trägt demnach den dauerhaften Körperschmuck. Besonders beliebt sind die Tattoos bei den jungen Erwachsenen. In der Kategorie der 25- bis 34-Jährigen trägt mehr als jeder Fünfte (22 Prozent) Farbe unter der Haut. Der Studie zufolge ist der soziale Status unabhängig vom Wunsch nach einem Tattoo.

Der Diplom-Psychologe Dirk Hofmeister, ein Tattoo-Experte, geht sogar davon aus, dass bei den jungen Erwachsenen jeder Vierte sich hat Farbe unter die Haut Stechen lassen. Er führt drei Gründe für die Beliebtheit in dieser Altersklasse an. Erstens: die Identitätsbildung. Junge Menschen sind neuem Terrain gegenüber sehr aufgeschlossen und experimentierfreudig. Zweitens: äußere Einflüsse. Sie orientieren sich eher an Vorbildern und Zielgruppen. Drittens: die Selbstständigkeit. Tattoos können helfen, einen Konflikt zwischen Autonomie und elterlicher Abhängigkeit zu lösen.

Generell gehe es beim Tätowieren heute vor allem um ein modisches Statement, sagt Hofmeister: "Das Tätowieren passiert eher gedankenlos. Man möchte sich verschönern und mag ein bestimmtes Motiv." Ein anderer, aber in seiner Wichtigkeit abnehmender Grund sei die Botschaft, zu zeigen, dass man besser oder ausgefallener als der Nachbar ist. Manche wollen auch zeigen, dass ein bestimmter Abschnitt oder ein Ereignis überwunden ist. Verschiedenen Studien zufolge sind Tätowierungen für Männer eher ein Kanal für Extraversion: Sie möchten auffallen. Dieses Verlangen ist bei Stars wie eben Musikern oder Fußballern besonders ausgeprägt. Frauen zeigen mit Tattoos häufig, dass sie sich nicht anpassen möchten. Hofmeister verwendet dafür den psychologischen Begriff "Verträglichkeit".

Die gestochenen Motive haben sich innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte verändert. Vor 20 Jahren noch dominierten meist Anker, vor 15 Jahren waren es Muster am Steißbein, vor zehn Jahren Sterne. "Heute ist alles bunter, greller und großflächiger. Die Motive entwickeln sich eher in Richtung Kunst", sagt Hofmeister.

Die Tattoos haben an gesellschaftlicher Akzeptanz gewonnen. Sie erzeugen deutlich weniger Aufregung als noch vor 20 Jahren. "Sie sind in die Mitte der Gesellschaft vorgerückt", sagt Hofmeister. Stars haben als Vorbilder einen großen Anteil daran, vor allem für die jüngere Generation. David Beckham beispielsweise war einer der ersten populären Fußballer, der seine Tattoos zeigte. Bei den Schauspielern zählt Angelina Jolie dazu. "Das hat geholfen, die Tätowierung aus der Schmuddelecke herauszuholen", erläutert Hofmeister und spricht von einer Entstigmatisierung. Eine vollständige Akzeptanz besteht laut dem Psychologen noch nicht. Gerade in der Wirtschaft und im Bankwesen werden Tattoos (meist) nicht geduldet.

Voraussetzungen für das Stechen von Tattoos seien eingehaltene Hygienevorschriften und die Verwendung nicht schädlicher Farben, sagt Peter Arne Gerber, Oberarzt der Hautklinik des Universitätsklinikums Düsseldorf. Er rät zu professionellen Tätowierern, die beispielsweise dem Bundesverband Tattoo (BVT) oder dem Verein Deutsche organisierte Tätowierer (DOT) angehören. Allergische Reaktionen auf Farben sind laut dem Mediziner durchaus möglich. Dabei schwillt die Haut an, juckt und wird schuppig

"Gefährlich wird es immer dann, wenn die Hygiene-Standards nicht eingehalten werden", sagt Gerber. Speziell bei Straßentätowierern im asiatischen Raum wie Thailand sollte man sich wegen einer erhöhten Infektionsgefahr (beispielsweise HIV und Hepatitis) besser nicht stechen lassen.

Laut der GfK-Studie bereuen fünf bis zehn Prozent ihr Tattoo. "Man sollte sich in jedem Fall gut überlegen, ob man das Tattoo ein Leben lang tragen möchte", empfiehlt der Mediziner. Die effektivste Methode zur Entfernung ist die Lasertherapie. Dabei werden die Farbpigmente, die in der Haut eingekapselt sind, mittels eines Laserlichtes zerstört. Für die Entfernung einer professionellen, mittelgroßen Tätowierung sind knapp 20 Sitzungen notwendig. Sie kostet gut 1500 Euro. "Wir können nicht versprechen, dass das Tattoo danach nicht mehr sichtbar ist, sondern nur, dass es weniger auffällt", sagt Gerber. Häufig bleibe ein leichter Schatten. Zudem könnten sich bei sehr eng gestochenen Tattoos auch Narben auf der Haut bilden. Wichtig sei, dass die Lasertherapie von einem Arzt und nicht etwa in einem Kosmetikstudio durchgeführt werde. Zudem rät der Oberarzt davon ab, sich Tätowierungen mit Hilfe von Milchsäure entfernen zu lassen.

(RP)
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