Leukämie-Studie Krebs bei Kindern durch Kernkraft?

Düsseldorf (RP). Sie schlug ein wie eine Bombe - die Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), die das Krebsrisiko von Kindern in der Nähe von Kernkraftwerken thematisiert. Im Umkreis von fünf Kilometern um 16 deutsche Nuklear-Anlagen ist das Risiko für Mädchen und Jungen unter fünf Jahren signifikant größer an Leukämie zu erkranken. Das heißt: Es gibt mehr Fälle, als man bei einer reinen Zufallsverteilung erwarten würde.

Wie gefährlich sind Atomkraftwerke?

Wie gefährlich sind Atomkraftwerke?

Foto: ddp, ddp

Nach Auswertung von 1592 Krebs-Diagnosen bei Kindern zwischen 1980 und 2003 und dem Vergleich mit einer Kontrollgruppe in den selben Regionen (4735 Mädchen und Jungen gleichen Alters, gleichen Geschlechts) rechnet die BfS-Studie mit 0,8 zusätzlichen Leukämie-Fällen im Fünf-Kilometer-Radius um ein Atomkraftwerk (AKW). Für alle Krebsarten geht man von 1,2 zusätzlichen Diagnosen pro Jahr aus.

Die Verfasser der Studie vom Kinderkrebsregister in Mainz betonen aber: Sie können keine Aussage über die Ursache machen. Vielmehr haben sie zunächst nur einen Zusammenhang zwischen der Nähe zum Kraftwerk und der Erkrankung festgestellt.

Könnte es an der Strahlung liegen?

Die Vermutung liegt nahe, die Folgerung wäre aber ein Schnellschuss: Radioaktivität wird in Sievert gemessen. Die internationale Strahlenschutzkommission rechnet damit, dass bei einer Strahlung von 1000 Millisievert fünf von 100 Menschen an Krebs erkranken.

Rund um Kernkraftwerke gilt aber ein Grenzwert von 0,3 Millisievert pro Jahr - der weit unterschritten wird. Daran zweifeln nicht einmal Gegner der Atomkraft, weil Radioaktivität sich anders als chemische Umweltgifte einfach messen lässt. Die Verfasser der Studie sagen zudem, dass die radioaktive Belastung rund um Kernkraftwerke um den Faktor 1000 bis 10000 zu niedrig ist, um dadurch die Ergebnisse zu erklären.

Wäre diese schwache Strahlung für Leukämie bei Kindern verantwortlich, hätte das weitreichende Folgen: Alleine die natürliche kosmische Strahlung aus den Tiefen des Alls erreicht auf Meeresspiegelniveau 0,3Millisievert pro Jahr. Das entspricht dem AKW-Grenzwert. Je höher man steigt, desto stärker wird diese natürliche Strahlung - weil die schützende Schicht der Atmosphäre dünner wird. In 1900 Meter Höhe nimmt man knapp 0,7 Millisievert pro Jahr auf. Bei einer Flugreise von Frankfurt nach New York und zurück sind es etwa 0,1 Millisievert. Kinder dürften nicht mehr ins Flugzeug oder in die Berge.

Wie sah es vor dem Bau der Kernkraftwerke aus?

Eine ganze Reihe von Studien in den USA, Kanada, Großbritannien und auch Deutschland konnte in einigen Fällen nachweisen, dass die Zahl der Krebs-Fälle bei Kindern vor und nach dem Bau der Nuklear-Anlagen nicht erhöht war. Bisweilen sank die Zahl der Erkrankungen sogar, nachdem die Anlage ihren Betrieb aufgenommen hatte. Das Ergebnis der aktuellen BfS-Studie könnte darum - wie immer bei statistischen Analysen - Zufall sein.

Was könnte sonst die Ursache sein?

Kernkraftwerke werden in ländlichen Gegenden mit geringer Bevölkerungsdichte gebaut. Ist die Anlage aber erst einmal in Betrieb, ziehen Ingenieure und Techniker mit der Zeit auch in die Nähe ihres Arbeitsplatzes. Rund um das Kraftwerk steigt so die Bevölkerungsdichte.

Auf der anderen Seite ist Leukämie gerade bei Kindern zum Glück keine sehr häufige Krankheit, und die Ursachen für den Blutkrebs sind noch nicht völlig verstanden. Unter anderem stehen auch Viren im Verdacht. Und je höher die Bevölkerungsdichte in einem Gebiet ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder sich mit einem Virus infiziert haben, der Leukämie verursacht.

Dazu passt, dass in der BfS-Studie kein Zusammenhang zwischen der Nähe zu AKW und beispielsweise embryonalen Tumoren entdeckt wurde. Krebs des Zentralen Nervensystems scheint sogar mit zunehmender Nähe zum Kernkraftwerk abzunehmen.

Welche Studien könnten Aufschluss bringen?

Möglich wären noch eine Reihe weiterer Studien. Eine Frage ist, ob es einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Leukämie bei Kindern und Kohlekraftwerke oder großen Industrie-Anlagen gibt. Sie werden in der Regel ebenfalls in ländlichen Gegenden mit geringer Bevölkerungsdichte gebaut. Einmal in Betrieb, kommt es wie bei den AKW zu einen Zuzug von Mitarbeitern. Das könnte die Strahlungs-These entkräften.

Auf der anderen Seite muss weiter erforscht werden, welche gesundheitlichen Folgen eine niedrige Radioaktivität über einen längeren Zeitraum hat-vor allem für Kleinkinder, die sensibler darauf reagieren.

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