Musikpsychologe Rötter Musik stört nicht beim Lernen

Dortmund (RP). Der Dortmunder Musikpsychologe Günther Rötter hat mit einem Team die Auswirkungen von Musik auf die Konzentrationskraft von Schülern gemessen, wenn sie Hausaufgaben machen. Die Ergebnisse sind verblüffend.

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Foto: RP, Werner Gabriel

Es ist der Alptraum verantwortungsbewusster Eltern. Die Kinder erledigen brütend ihre Schulaufgaben, und per Kopfhörer und MP3-Player wird ihr Hirn zeitgleich mit Musik versorgt. Das kann doch nichts werden!

Kann es nicht? Kann es doch, sagt eine neue und spannende Studie der Universität Dortmund. Sofern es sich nämlich um Musik handelt, die Schülerinnen und Schüler mögen, wirkt sich die Musik gar nicht nachteilig auf ihre Lernfähigkeit aus. Zu diesem Ergebnis kam jetzt ein Team von Musikwissenschaftlern um Professor Günther Rötter. Sie hatten Schüler über mehrere Wochen hinweg diversen Tests unterzogen und waren dann überrascht von den statistischen Aswertungen.

"Ich bin wirklich erstaunt über dieses Ergebnis", sagt Rötter. "Wir haben alles hin und her gemessen, alle Möglichkeiten durchgespielt — aber nirgendwo zeigte sich, dass Musik auf das Konzentrationsvermögen einen Einfluss hatte." Eltern, Lehrer und Pädagogen können jetzt nach Ansicht der Forscher das Hörverbot lockern und der Angewohnheit ihrer Kinder, bei den Hausaufgaben Musik zu hören, mit Gelassenheit begegnen.

Bereits in den 90er Jahren gab es Studien zu diesem Thema. Man konnte damals — bei anderer Fragestellung — nicht nachweisen, dass Musik einen positiven Effekt hatte. Eine andere Studie fand sogar schädliche Effekte der Hintergrundmusik bei Hausarbeiten heraus — die Lernleistung sank. Insgesamt also widersprüchliche Daten.

Durch den enormen technischen Fortschritt im Bereich der Medien wie MP3-Player, iPhone, Handy, Computer oder YouTube und die Dauerpräsenz von Musik stellte sich die Frage jetzt erneut. Die Forscher konfrontierten in mehreren Wochen 88 Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 17 Jahren der Klasse 10 einer Gesamtschule abwechselnd zum einen mit Ausschnitten aus einem Intelligenztest (CFT-Test) und zum anderen mit einem Konzentrationstest.

So musste eine Gruppe Jugendlicher jeweils einen Test mit und — zur Kontrolle — ohne Musik lösen. Wichtig war allerdings, dass die Schülerinnen und Schüler bei den Tests ihre eigene Musik mitbringen konnten und nicht mit vorgegebenen Klängen beschallt wurden. Außerdem wurden die Versuchsgruppen so gewählt, dass ihre schulischen Leistungen homogen waren.

Grund für das Ergebnis, dass Musik die Leistungen gar nicht mindert, kann in der Allgegenwart von Musik in der Umwelt der Jugendlichen liegen, gepusht durch jene hochtechnisierten Massenmedien als Phänomen der letzten zwanzig Jahre. Sie bieten die Möglichkeit, ohne großen technischen Aufwand immer und überall Musik zu hören, dazu kommt das Internet mit seinen reichhaltigen Download-Angeboten.

Musik wird von den jugendlichen Konsumenten noch nicht einmal im Hintergrund wahrgenommen. "Musik ist überall, daher reagiert der Körper nicht mehr", erklärt Rötter. "Sie ist praktisch wie ein Accessoire, das nicht störend wirkt." In der Fachsprache nennt man das "Habituierung", ein Gewöhnungsphänomen, das sich auch im Kaufhaus einstellt, wo man die Hintergrundmusik irgendwann auch nicht mehr bewusst wahrnimmt. Der Musikpsychologe Professor Klaus-Ernst Behne sprach in diesem Zusammenhang schon früher provokant von der "Hornhaut auf den Ohren" vieler Jugendlicher.

Psychologisch geht es allerdings weiter: Bei den Schülern setzt womöglich sogar ein Gefühl von Unsicherheit ein, sobald ihnen gewohnte Beschallung entzogen wird. Musik ist ja nicht nur ein standardisierter Reiz, sondern er maskiert und überdeckt auch andere (unangenehme) Reize. Stille ist vielleicht ein solcher Stimulus, mit dem junge Leute nicht besonders gut umgehen können.

Rötter formuliert die Sache jedenfalls angemessen drastisch: "Das Ergebnis unserer Studie ist: Es gibt kein Ergebnis! Die Leistungen blieben völlig gleich — die Musik hatte also offensichtlich überhaupt keinen Einfluss", so Rötters Fazit. Die rund 66 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die bei den Hausaufgaben Musik hören, können dies also weiterhin tun — es hilft zwar nicht, lenkt aber auch nicht ab.

(RP)
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