Gesundheits-Studie Sitzen macht krank

Köln · Bewegung gehört für viele Bundesbürger nicht zum Alltag. Stattdessen sitzen sie stundenlang am Schreibtisch oder vor dem Fernseher. Das hat der neue Gesundheitsreport der DKV ergeben. Experten halten das Ergebnis für dramatisch.

 Erste Hilfe bei langem Sitzen am Arbeitsplatz.

Erste Hilfe bei langem Sitzen am Arbeitsplatz.

Foto: Radowski

Frühstücken am Küchentisch, zur Arbeit fahren mit dem Auto oder dem Bus, anschließend acht Stunden im Büro sitzen, abends den Tag vor dem Fernseher ausklingen lassen - sitzend auf dem Sofa. Vielen Deutschen dürfte diese Routine bekannt vorkommen. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt die Krankenkassenvereinigung (DKV). Für ihren aktuellen Report "Wie gesund lebt Deutschland?" wurden mehr als 3000 Bundesbürger zu ihrem Gesundheitsverhalten befragt. Das Resultat: Die Deutschen sitzen zu viel - und ruinieren sich dadurch ihre Gesundheit.

Zum dritten Mal präsentieren die DKV und das Zentrum für Gesundheit durch Bewegung und Sport der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) den Report. Die Experten untersuchten darin zum ersten Mal auch das Sitzen als gesundheitlichen Risikofaktor. "Das Ergebnis ist in seiner Dramatik überraschend", sagt Ingo Froböse, Professor an der DSHS und wissenschaftlicher Leiter des Reports. Die Zahlen zeigten, dass die Deutschen im Schnitt siebeneinhalb Stunden pro Tag sitzen, die jungen Erwachsenen sogar neun Stunden - also fast die Hälfte der Wachzeit eines Tages. Und diese Darstellung sei noch optimistisch. "Die Befragungen laufen telefonisch, und da wird manchmal noch einiges geschönt", sagt Froböse.

Dauersitzen sei heute als eigenständiger Risikofaktor für die Gesundheit anerkannt. "Durch den Bewegungsmangel verändern sich die wichtigen Funktionen im Körper. Rückenschmerzen sind da nur ein erstes Anzeichen", sagt Froböse. "Muskelschwund etwa kann zu Diabetes führen. Dadurch, dass das System, Gelenke, Knochen und Knorpel keine Reize bekommen, entsteht Arthrose oder Osteoporose." Dabei sitzt der Deutsche nicht nur auf der Arbeit, sondern mit Vorliebe auch in seiner Freizeit. Hauptgrund ist das Fernsehschauen. 30 Prozent ihrer Sitzzeiten verbringen die Befragten unter der Woche mit Fernsehen, am Wochenende sind es sogar 38 Prozent. Dabei erhöhe statistisch gesehen jede zusätzliche Stunde auf dem Sofa die Sterblichkeit um elf Prozent, so die DKV. Der zweithäufigste Grund fürs Sitzen ist im Bundesdurchschnitt die Arbeit am Schreibtisch - 24 Prozent der Sitzzeiten entfallen im Schnitt auf die berufliche Tätigkeit.

Die Tipps der Experten für mehr Bewegung am Arbeitsplatz sind nicht neu: Treppen steigen statt den Aufzug zu nehmen, ins Nachbarbüro laufen statt eine E-Mail zu schreiben, eine Station früher aus dem Bus steigen und das letzte Stück laufen. Einfache Maßnahmen, doch an der Umsetzung hapert es oft. Verwunderlich, denn schließlich geben 61 Prozent der Befragten an, dass sie sich unwohl fühlen, wenn sie stundenlang sitzen. 33 Prozent würden es begrüßen, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz weniger sitzen müssten. "Da muss einfach jeder im Alltag ein besseres Bewusstsein für Bewegung zwischendurch bekommen", sagt Froböse. Wer etwa eine Stunde am Tag im Stehen statt im Sitzen telefoniere, der verdoppelt damit seinen Stoffwechsel. Autor und Sportwissenschaftler Hans-Dieter Kempf bringt es auf den Punkt: "Alles, was man zu lange macht, ist ungesund - und Sitzen gehört eben dazu."

Schwierig wird es, wenn die Unlust an Bewegung nicht nur einem selbst, sondern auch dem Nachwuchs schadet. Denn der nimmt sich ein Beispiel an den Eltern, wie der DKV-Report zeigt. 300 Eltern wurden zu Mediennutzung und Gesundheitsverhalten ihrer sechs- bis zwölfjährigen Kinder befragt. Demnach haben 72 Prozent der Kinder einen eigenen Fernseher, 50 Prozent einen Internetzugang - und drei Viertel von ihnen nutzen diese Möglichkeiten mehr als eine Stunde am Tag. "Darunter leidet die Gesundheit. Wir haben festgestellt, dass sich jedes zweite Kind zu wenig bewegt", sagt DKV-Chef Clemens Muth. "Kinder wachsen praktisch im Sitzen auf und kopieren den ungesunden Lebensstil ihrer Eltern." Von Selbstkritik sind viele Erwachsene weit entfernt, wie sich zeigt. Nach Ansicht der Befragten habe jedes siebte Kind nicht genug Zeit, um sich zu bewegen, jedes fünfte Kind verspüre keine Lust nach draußen zu gehen. 82 Prozent der Kinder würden am Wochenende lieber Freunde treffen, lesen oder ins Kino gehen - alles sitzend, natürlich.

Doch nicht nur die sitzenden Freizeitaktivitäten sind problematisch. Auch den Schulalltag bewerten die meisten Eltern kritisch: Nur 30 Prozent meinen, dass Ganztagsschulen die Bewegung und gesunde Ernährung ihrer Kinder fördern.

(RP)
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