Gegen Lungenhochdruck Viagra jetzt auch für die Lunge

Mönchengladbach (RP). Neue Medikamente bieten Patienten mit lebensgefährlichem Lungenhochdruck mehr als eine Verschnaufpause. Sie erhöhen die Lebenserwartung und Lebensqualität. Allerdings mangelt es an frühzeitiger Diagnose. Zu den hilfreichen Tabletten zählt auch der Wirkstoff eines Potenzmittels.

 Tiere profitieren von den synthetischen Mitteln gegen Erektionsstörungen.

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Foto: AP, AP

Die Kurzatmigkeit beim Gehen bemerkte die 57-jährige Marlene Janßen aus Nettetal zum ersten Mal beim Wandern. Zunächst machte sie einen Mangel an Kondition dafür verantwortlich. Als die Atemnot schlimmer wurde, suchte sie einen Kardiologen auf. Er fand nichts. Sie beschloss, mehr Sport zu treiben. Als das nicht möglich war, suchte sie einen anderen Fachmann auf. Dieser diagnostizierte Asthma und verordnete ein Spray. Die Kurzatmigkeit blieb. Insgesamt sechs Jahre lang — bis sie an Chefarzt Meyer geriet. Seine Diagnose stand bald fest: Lungenhochdruck, ein Leiden, das oft verkannt wird.

Ursache für den Druckanstieg im Lungenkreislauf ist eine zunehmende Versteifung und Verdickung der Lungengefäße. Dieser Anstieg lässt sich anders als der Blutdruck im Körperkreislauf nicht mit einem Blutdruckgerät messen. Für die rechte Herzkammer bedeuten jene Veränderungen eine enorme Strapaze. Sie muss mehr Kraft aufwenden, um das Blut durch die steifen Gefäße zu pumpen. Wird der Lungenhochdruck nicht behandelt, kommt es früher oder später wegen des zusätzlichen Kraftaufwands zu einem tödlichen Herzversagen.

"Lungenhochdruck ist," sagt Andreas Meyer, Chefarzt für Pneumologie am Krankenhaus St. Kamillus Mönchengladbach, "eine ernstzunehmende Erkrankung. Früher gab es neben der Lungentransplantation, die sehr schweren Erkrankungen vorbehalten war, kaum Behandlungsmöglichkeiten. Heute gibt es einige sehr gute Wirkstoffe. Entscheidend ist allerdings die frühzeitige Diagnose und die richtige Zuordnung. Nicht jeder Lungenhochdruck hat die gleichen Ursachen." Weil es unterschiedliche Formen gibt, wurde vor einigen Jahren eine neue Einteilung vorgeschlagen. Als pulmonale arterielle Hypertonie wird jetzt eine Form bezeichnet, bei der es eine genetische Veranlagung für Lungenhochdruck gibt, ein anderes Ereignis aber den eigentlichen Auslöser markiert. Dieses Ereignis kann eine Bindegewebserkrankung wie die Sklerodermie sein. In Frage kommen aber auch gewisse Arzneimittel wie Appetitzügler, eine Entzündung der Leber (Hepatitis) oder eine andere, mitunter nicht genau zu benennende Veränderung im Körper.

Eine zweite Form des Lungenhochdrucks entsteht dann, wenn die linke Hälfte des Herzens das Blut nicht mehr kraftvoll genug in den Körperkreislauf pumpt. In einer solchen Situation kommt es zu einem Rückstau im Lungenkreislauf, der nicht ohne Folgen für die Gefäße bleibt. Eine weitere Form des Lungenhochdrucks geht auf eine langjährige, meist durch Rauchen verursachte chronische Bronchitis zurück. Auch diese Belastung hinterlässt Spuren. Chefarzt Meyer: "Ist der Lungenhochdruck auf eine chronische Bronchitis oder eine Erkrankung der linken Herzhälfte zurückzuführen, müssen diese Grunderkrankungen zuerst behandelt werden. Dann normalisieren sich meistens auch wieder die Druckverhältnisse im Lungenkreislauf. Die neuen Medikamente sind überwiegend der Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie vorbehalten."

Bei den neuen Medikamenten handelt es sich um drei Typen. Alle drei bewirken, dass sich die Lungengefäße erweitern und entspannen. Es gibt noch keinen Wirkstoff, der die eingeleitete Versteifung stoppt oder gar rückgängig macht. Eines der drei Medikamente enthält den gleichen Wirkstoff Sildenafil, der auch in der Potenzpille Viagra enthalten ist.

Der zweite Wirkstoff ist ein Gewebshormon, das inhaliert wird. Früher konnte dieser Wirkstoff nur über einen Dauerkatheter in der Vene gegeben werden, was die Behandlung teuer und aufwendig machte. Der dritte Wirkstoff ist der Gegenspieler des gefäßverengenden Botenstoffs Endothelin. Meyer dazu: "Begonnen wird die Therapie mit einem einzelnen Wirkstoff. Dafür kommt jeder der drei in Frage. Lässt sich der Lungenhochdruck damit nicht ausreichend senken oder tritt eine messbare Verschlechterung ein, wird ein zweiter Wirkstoff hinzugefügt."

Weil Lungenhochdruck Symptome verursacht, die missgedeutet werden können, erfolgt die Diagnose oft erst dann, wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist. Es soll deshalb ein Bewusstsein für sie geweckt werden. Der Lungenarzt Meyer warnt: "Vermutlich leiden weitaus mehr Menschen an pulmonaler Hypertonie als bisher angenommen. Wer beim Bücken oder nach einer kurzen Anstrengung Atemnot bekommt, sollte genauer untersucht werden. Bei uns im Krankenhaus St. Kamillus entsteht gerade ein Schwerpunkt für diese Erkrankung."

Marlene Janßen trägt oft eine so genannte Sauerstoffbrille, aber ist dankbar, dass jemand ihr Leiden erkannt hat und lindern kann. Man sieht ihr diese Freude an.

(RP)
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