Neuregelung in der Psychiatrie Zwangsbehandlung bald wieder erlaubt?

Berlin · Seit dem Sommer dürfen Ärzte psychisch Kranke nicht mehr gegen deren Willen behandeln. Bald ist das wieder möglich: Der Bundestag bringt dazu eine neue Regelung auf den Weg.

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Foto: Shutterstock/Themalni

Die Nacht in der Psychiatrie hängt Matthias Seibt noch immer nach. Damals war er 30. Seibt war in seiner Wohnung durchgedreht, Nachbarn hatten die Polizei gerufen. Der junge Mann wurde zwangsweise in eine geschlossene Station eingewiesen, und als er auch da keine Ruhe gab, schnallten ihn Mitarbeiter ans Bett und spritzten ihm starke Medikamente zur Beruhigung - gegen seinen Willen. "Ich dachte damals, ich werde vergiftet oder umgebracht", erzählt er. Fälle wie diese beschäftigen nun den Bundestag.

Dürfen Ärzte einen psychisch Kranken zwangsbehandeln, wenn er sich dagegen wehrt? Ist dies erlaubt, wenn ein Patient verwirrt ist und selbst nicht in der Lage zu entscheiden? Wenn er Gefahr läuft, sich oder andere zu verletzen, gesundheitlichen Schaden davonzutragen?

Seibt sagt Nein und bezeichnet die aufgezwungene Behandlung als Folter. Andere - Mitarbeiter in Psychiatrien etwa - sagen Ja und halten das für die einzige Möglichkeit, einen psychisch kranken, geistig behinderten oder dementen Menschen in so einem Notfall zu schützen. Am Donnerstag entscheidet der Bundestag über die heikle Frage und will dazu einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen. Zwangsbehandlungen in Ausnahmesituationen sollen ein sauberes rechtliches Fundament bekommen. Das gibt es bislang nicht.

Grundlage fehlt

Im vergangenen Sommer entschied der Bundesgerichtshof, eine zwangsweise Behandlung psychisch Kranker sei nicht zulässig, weil eine ausreichende gesetzliche Grundlage fehle. Seitdem sind Zwangsbehandlungen nicht mehr möglich. Ärzte hängen derzeit in der Luft, wenn sich ein psychisch Kranker gegen die Behandlung wehrt.

Ein Gesetzentwurf von Union und FDP soll nun helfen. Darin sind Bedingungen für eine Zwangsbehandlung festgeschrieben: Voraussetzung ist etwa, dass einem Patienten ohne Eingreifen erheblicher Gesundheitsschaden droht. Ein Richter muss den Schritt genehmigen, und der Patient muss in stationärer Behandlung sein, also in einer Klinik und nicht in einer Praxis oder zu Hause versorgt werden.

Etwa 1,2 Millionen Menschen werden jedes Jahr stationär in psychiatrischen Einrichtungen therapiert. Etwas mehr als zehn Prozent davon landen gegen ihren Willen dort. Unklar ist aber, wie viele Patienten in solchen geschlossenen Stationen ohne ihre Zustimmung Medikamente bekommen oder andere medizinische Eingriffe über sich ergehen lassen. Belastbare Zahlen dazu gibt es nicht.

Seibt gehört zu den Fällen, die in keiner Statistik auftauchen. Sein letzter Klinikaufenthalt ist lange her. Er ist inzwischen 53 - und selbst Psychologe. Seibt sitzt im Vorstand des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener. Dort berät er Menschen mit psychischen Problemen. Wenn jemand eingesperrt werde und Medikamente gespritzt bekomme, hinterlasse das Spuren, sagt er. "Viele Betroffene müssen immer wieder an diese entwürdigende Situation denken. Das ist Quälerei." Sein Verband lehnt die Gesetzespläne strikt ab.

Chaotische Zustände in Psychatrien?

Unter Medizinern löste die Gerichtsentscheidung Verunsicherung aus. Einige erwarteten chaotische Zustände in den Psychiatrien. Die blieben nach Einschätzung von Martin Zinkler aber aus. Er ist Chefarzt an einer psychiatrischen Klinik im baden-württembergischen Heidenheim und hält eine Gesetzesregelung für überflüssig. Die Übergangszeit habe gezeigt, dass es auch ohne Zwangsbehandlung gehe.
Sein Rezept: mehr reden, auf Patienten zugehen, geduldig verhandeln.

Peter Falkai hat die vergangenen Monate ebenfalls positiv erlebt. "Wir mussten uns mehr anstrengen - und das war gut so", sagt er. Falkai leitet die Psychiatrie an der Uni-Klinik München und war bis vor kurzem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. "Die Gerichtsentscheidung hat etwas bewegt", sagt er. Dass nun eine neue gesetzliche Regelung kommt, findet er allerdings richtig. "Das beseitigt die rechtliche Unsicherheit." Die Lösung sei passabel.

Auch die Bundespsychotherapeutenkammer hat keine Einwände gegen die geplante Regelung. Nur dürfe die Option nicht vorschnell genutzt werden, sagt Präsident Rainer Richter. "Eine Zwangsbehandlung darf nur das allerletzte Mittel sein." Bei Patienten mit wiederkehrenden psychischen Erkrankungen schwebt ihm anderes vor: Sie sollten möglichst mit Ärzten eine "Behandlungsvereinbarung" schließen. Darin könnte ein Patient vertraglich festlegen, wie er behandelt werden möchte, wenn er vorübergehend nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Seibt hatte diese Möglichkeit damals nicht.

(dpa/anch)
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