Text-Video-Reportage In 52 Wochen raus aus der Adipositas-Falle

Düsseldorf · 1,8 Millionen Deutsche leiden an starker Fettleibigkeit. Ihr Hauptproblem: alle Diäten versagen. Im St. Martinus Krankenhaus in Düsseldorf wurde nun erstmals ein multidisziplinäres Abnehmprogramm über ein Jahr angeboten. Mit vollem Erfolg, wie zwei Teilnehmer im Video berichten.

Ein Gesamtgewicht von 261 Kilo brachten Barbara Fredrich und Frank Lenzkes im November 2014 noch gemeinsam auf die Waage. Er wog 167 Kilo bei einer Körpergröße von 1,83 Meter. Sie wog 94 Kilo bei einer Körpergröße von 1,61 Meter. Lenzkes galt somit als krankhaft adipös, die schwerste Form von Fettleibigkeit, Fredrich stand kurz davor. Dann erfuhren beide durch Zufall von einem speziellen Programm am Adipositas-Zentrum am Düsseldorfer Martinus-Krankenhaus.

"Bei OptiFast52 handelt es sich um ein multidisziplinäres Abnehmprogramm", erklärt Matthias Schlensak, Chefarzt des Adipositas-Zentrums. "Das bedeutet: Die Patienten werden ein Jahr lang medizinisch und psychologisch versorgt; sie bekommen Ernährungsberatung und Sporttherapie." Diese Rundumbetreuung war es, die sowohl Fredrich als auch Lenzkes ansprach. "Ich habe vorher so viel ausprobiert", schildert der Betriebswirt. "Von FDH über Low Carb und was es so gibt. Aber die Kilos kamen immer wieder." Ähnliches erlebte auch Fredrich. "Man geht wegen Knieschmerzen zum Arzt, und der rät einem abzunehmen. Aber keiner sagt einem, wie man das am besten macht", erinnert sich die Sekretärin.

Wie Fredrich und Lenzkes geht es vielen Deutschen. Rund 1,8 Millionen Menschen hierzulande gelten derzeit als krankhaft fettleibig. Etwa 60 Prozent der Männer und rund 50 Prozent der Frauen haben zudem Übergewicht. Bestimmt wird es durch den sogenannten BMI, den Body-Mass-Index. Er setzt das Körpergewicht ins Verhältnis zur Körpergröße. Ab einem Wert von 25 wird von Übergewicht gesprochen, ab 30 von Adipositas. Über 40 bedeutet krankhafte Adipositas — und somit Lebensgefahr.

Das OptiFast52-Programm

"Weil die vielen Kilos schwer loszuwerden sind, brauchen manche Patienten am Anfang einen starken Motivationskick", erklärt Schlensak, "den bekommen sie hier, aber in einem geschützten Rahmen." Nach dem Gesundheitscheck und einer Informationswoche folgt bei OptiFast52 eine strenge Fastenphase. Zwölf Wochen lang ernähren sich die Teilnehmer ausschließlich von Pulvergetränken. Die versorgen sie mit allen wichtigen Vitaminen, Mineralstoffen und liefern bis zu 1000 Kalorien täglich. Daran schließt sich eine achtwöchige Umstellungsphase an, in der nach individuellen Essensplänen wieder gegessen werden darf. Die verbleibenden 31 Wochen stehen im Zeichen der Stabilisierung und dienen dazu, das neu gelernte Verhalten zur Gewohnheit zu machen.

"Ich weiß, das hört sich erst mal extrem an", sagt Fredrich. "Meine größte Angst war auch, die ganze Zeit hungern zu müssen. Aber dieses Gefühl ist nicht ein einziges Mal aufgekommen." Auch Lenzkes berichtet mit einem Lächeln von der strengen Phase. Hungergefühle? Keine Spur. Was er aber empfand, war Euphorie. Endlich konnte er aus seinem alten Teufelskreis ausbrechen. "Essen ist für mich mit den Jahren zum Ersatz für alles geworden: Es bedeutete Entspannung, Unterstützung und sogar Zuneigung." Um solche Strukturen aufzulösen, bietet ein Experten-Team über die gesamte Zeit Verhaltensanalysen, Einkaufs- und Kochtraining, Sport und psychologische Betreuung an. "Das soll langfristig kontrollierte Flexibilität ermöglichen", sagt Schlensak. Denn nur wenn ein Patient verstanden hat, wie er sein Gewicht trotz Urlaub oder Hochzeitseinladung halten kann, war das Jahr erfolgreich.

Adipositas-Programm oder Magenverkleinerung?

"Natürlich führen wir hier auch viele Operationen wie Magenverkleinerungen durch", sagt Schlensak. "Aber zum einen sind die für die Patienten sehr anstrengend, und zum anderen geht es darum, was einen Adipositas-Patienten langfristig gesund macht." Deshalb habe er auch entschieden, OptiFast52 in der Klinik anzubieten.

"Es ist das wissenschaftlich am besten untersuchte Abnehm-Programm, und Studien zeigen, dass sich damit das Risiko für Begleiterkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme und Gelenkerkrankungen auch langfristig sehr gut reduzieren lässt." Besonders der letzte Punkt ist entscheidend, nicht nur für das Wohl der Patienten, sondern auch für das deutsche Gesundheitssystem. "Bis 2030 könnte jeder vierte deutsche Mann und jede fünfte Frau fettleibig sein." Dass die Krankenkassen da nicht schon jetzt Präventionsmaßnahmen anbieten, ist dem Mediziner ein Rätsel.

Was kostet das Programm?

Auch OptiFast52 wird von den Kassen nur teilweise übernommen — und nur, wenn eine medizinische Notwendigkeit vorliegt. Für die 52 Wochen muss ein Teilnehmer sonst 3000 Euro aufbringen. Im Preis sind allerdings sämtliche Leistungen enthalten. Unterbringungskosten gibt es keine. Die Module werden ambulant und am frühen Abend durchgeführt.

Fredrich und Lenzkes haben die Investition nicht bereut. Acht Monate nach dem Startschuss sind sie nicht mehr dieselben. "Es sind die einfachen Dinge, die plötzlich wieder möglich sind," so Fredrich. "Plötzlich kann ich ohne Knieschmerzen Treppen steigen, ich kann meine Beine wieder übereinander schlagen und mit meinem Mann spazieren gehen."

Angesichts solcher Erfolge wirkt auch das nahende Ende des Programms nicht bedrohlich. "Ich kann mein Lebensgefühl, seit ich die 48 Kilo verloren habe, gar nicht in Worte fassen", sagt Lenzkes, "Ich weiß jetzt einfach viel über meinen Körper, und es geht mir zu gut, als dass ich wieder zunehmen könnte." Damit spricht er wohl auch dem Rest der Pilotgruppe aus der Seele. "Jeder der neun Teilnehmer hat sein Zielgewicht erreicht", sagt Schlensak. "Aus diesem Grund bieten wir das Programm auch 2015 wieder an."

(ham)
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