Ernährung und Übergewicht Ein dickes Problem

Eine Lawine von Herausforderungen rollt auf das deutsche Gesundheitssystem zu. Die wachsende Zahl der Fettleibigen ist eines der größten Probleme. Dabei gibt es bereits gute Präventionskonzepte, sie werden nur nicht umgesetzt.

 Fettleibigkeit wird immer mehr zum Problem. In Deutschland stieg der Anteil übergewichtiger Kinder inden vergangenen zehn Jahren um 60 Prozent.

Fettleibigkeit wird immer mehr zum Problem. In Deutschland stieg der Anteil übergewichtiger Kinder inden vergangenen zehn Jahren um 60 Prozent.

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"Schon wieder ist das Präventionsgesetz gescheitert — bereits zum dritten Mal," empört sich Professor Elisabeth Steinhagen- Thiessen, Inhaberin des Lehrstuhls für "Altersmedizin, Stoffwechsel und Ernährungsmedizin" an der Charité — Universitätsmedizin Berlin.

Nicht nur die Politik tut sich schwer, auch die meisten Bundesbürger. Ein Beispiel ist die Fettleibigkeit. Die Datenlage ist schockierend: Mehr als die Hälfte aller Deutschen leidet an Übergewicht. Fast jeder vierte Bundesbürger hat extremes Übergewicht (Adipositas), darunter bereits 200 000 Jugendliche. Der Anteil übergewichtiger Kinder stieg in den vergangenen zehn Jahren um 60 Prozent.

Die Fettleibigkeit hat enorme gesundheitliche Konsequenzen: 57 Prozent der Übergewichtigen sind zuckerkrank, 30 Prozent haben Gallenblasenerkrankungen, 17 Prozent einen zu hohen Blutdruck und ebenso viele Herz-Kreislauf- Erkrankungen. Die Liste der Krankheiten ließe sich noch fortsetzen.

"Diese Zusammenhänge sind in vielen wissenschaftlichen Publikationen dargestellt. Übergewicht und Fettleibigkeit in Deutschland zu minimieren, gehört zu den größten gesellschaftlichen Herausforderungen," erklärt Steinhagen- Thiessen, die auch Ärztliche Leiterin des Evangelischen Geriatriezentrums Berlin (EGZB) ist. "Leider hat in Deutschland Prävention keinen Stellenwert. Das muss sich ändern", stellt Steinhagen- Thiessen fest.

Sie fordert ein wirksames staatliches Präventionsprogramm, das ab dem Grundschulalter beginnt. "In Großbritannien steht Bewegung als tägliches Unterrichtsfach auf dem Stundenplan. Warum sollte das nicht auch in ERNÄHRUNG UND ÜBERGEWICHT Eine Lawine von Herausforderungen rollt auf das deutsche Gesundheitssystem zu. Die wachsende Zahl der Fettleibigen ist eines der größten Probleme. Dabei gibt es bereits gute Präventionskonzepte, sie werden nur nicht umgesetzt. Deutschland funktionieren?", fragt Steinhagen-Thiessen. Eine Schulstunde aktive Bewegung pro Tag für Kinder muss Pflicht werden.

Das will auch die "Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie" (DGOU). Sie empfiehlt, Präventionstrainer auszubilden, eine zentrale Koordinationsstelle einzurichten sowie die Einführung von Vorsorgeprogrammen und neuen Unterrichtsfächern in Kindergärten und Schulen.

Die Folgen von Bewegungsmangel im Kindesalter sind ein zu hohes Körpergewicht im Erwachsenenalter und ein erhöhtes Risiko etwa für Arthrose und Gelenkerkrankungen. "Vorsorge ist eine lebenslange Aufgabe. Natürlich ist es viel einfacher, eine Pille einzuwerfen, als kontrolliert zu essen und sich viel zu bewegen", sagt Steinhagen-Thiessen unverblümt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte unlängst fest: "Die Last des demografischen Wandels kann nur bewältigt werden, wenn mehr in mittel- und langfristige Prävention investiert wird." Eine große Aufklärungskampagne in Finnland zeigt, wie gut das funktionieren kann. In dem skandinavischen Land läuft seit Ende der 1970er-Jahre eine staatliche Aufklärungskampagne mit dem Ziel, den Salzkonsum zu senken. Seitdem essen die Finnen rund 30 Prozent weniger Salz. Die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle reduzierte sich um sagenhafte 80 Prozent.

Die Berliner Professorin hat genaue Vorstellungen von einer gesundheitspolitischen Lösung für Deutschland: "Eine gesunde Ernährung, Normalgewicht, Nikotinverzicht und körperliche Bewegung wären die ersten Ziele, die anzustreben sind. Auf der individuellen Ebene könnte der einzelne Bürger eine Menge tun. Dazu wäre es nötig, die Eigenverantwortung und Kompetenz des Bürgers, des Versicherten, zu stärken. Weit mehr Verbraucherberatung, Patientenberatung und Aufklärung wären nötig. Es müsste eine flächendeckende Patientenschulung für chronisch Kranke und deren Angehörige geben. Diese Maßnahmen sollten so selbstverständlich zur Behandlung etwa eines Herz-Kreislauf-Patienten gehören wie die Verschreibung seiner Medikamente. "Neben der individuellen Ebene und des bürgerlichen Engagements von Einzelnen und Gruppen muss die Politik den gesellschaftlichen Diskurs anstoßen, anstatt ihn zu vermeiden", sagt Steinhagen- Thiessen.

Forderungen an die Politik

• Vorsorge deutlich stärker in den Fokus der Medizin rücken.

• Vorhandene Mittel im Gesundheitswesen umschichten.

• Prävention über alle Altersgruppen schon heute fördern.

• Finanzielle Bonus-Malus-Anreizsysteme durch die Krankenkassen schaffen.

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