Prostatakrebs Harmlos oder gefährlich?

Eine Prostata-Vorsorgeuntersuchung beim Urologen ist bei vielen Männern mit Schamgefühl und Angst belastet. Kein Wunder, denn die Früherkennung wirft viele Fragen auf.

Prostatakrebs: Harmlos oder gefährlich?
Foto: THINKSTOCK/KEITH BROFSKY

Der Prostatakrebs ist die häufigste Tumorerkrankung bei Männern. Mehr als die Hälfte der über 60-Jährigen sind daran erkrankt — teils ohne es zu wissen. Das aber ist nicht unbedingt ein Grund zur Panik. Denn wird der Prostatakrebs früh genug erkannt, ist er durchaus heilbar. Die Ärzte unterscheiden zwischen zwei Varianten: dem "Raubtier" und dem "Haustier". Die harmlosere "Haustier"-Variante verursacht kaum Beschwerden, bleibt auf das Organ beschränkt und entwickelt sich nur sehr langsam über einen langen Zeitraum.

Das "Raubtier"- Karzinom hingegen wächst schnell und bildet sehr rasch Tochtergeschwülste (Metastasen). Diese Form ist viel seltener und unheilbar. Und hier beginnt das Problem: Die Möglichkeiten der Früherkennung sind begrenzt, die Methoden in der Fachwelt umstritten. "Bisher gelingt es nicht, nur die aggressiven Tumore zu erkennen, die ein hohes Risiko zur Metastasierung haben", erklärt der ausgewiesene Pathologie-Experte Professor Holger Moch, Direktor des Instituts für Klinische Pathologie am UniversitätsSpital Zürich.

Wegen der strittigen Datenlage gibt es international unterschiedliche Empfehlungen für ein Prostata-Screening. In Deutschland etwa kann jeder Mann ab 50 eine jährliche Tastuntersuchung des Organs im Rahmen des gesetzlichen Früherkennungsprogramms in Anspruch nehmen. Bei familiärem Risiko besteht der Anspruch bereits ab dem 45. Lebensjahr. Eine Tastuntersuchung allerdings ermöglicht es dem Urologen, nur größere Tumore im fortgeschrittenen Stadium festzustellen. In der Schweiz hingegen empfiehlt die "Schweizerische Gesellschaft für Urologie" zu der regelmäßigen Tastuntersuchung zusätzlich die Kontrolle des sogenannten "PSA-Wertes". Aber auch die Bestimmung des "Prostata-spezifischen Antigens" (PSA) im Blut ist umstritten. Denn es kann nur bedingt einen Hinweis geben, ob der Patient tatsächlich an Prostatakrebs leidet.

Ist die Vorsteherdrüse vom Krebs befallen, gibt sie das PSA verstärkt an das Blut ab. Der Test hat allerdings einen Haken: Er ist sehr ungenau und liefert häufig "falsch-positive" Testergebnisse. Bereits durch eine Entzündung oder eine gutartige Prostatavergrößerung tritt eine Erhöhung des PSA-Werts im Blut auf. Dennoch: Hat der Patient im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung erhöhte Werte, wird meist eine unangenehme Biopsie durchgeführt. Dabei entnimmt der Mediziner mit einer Biopsie-Nadel bis zu zwölf Proben des Gewebes und lässt sie vom Pathologen untersuchen. "Prostatakrebs ist wie ein Chamäleon. Biopsien ein und desselben Organs können zu sehr unterschiedlichen pathologischen Ergebnissen führen", erklärt Moch. Findet der Pathologe bösartiges Tumorgewebe, wird der Patient operiert und das Organ entfernt.

Bei der harmloseren "Haustier- Variante" wäre das gar nicht unbedingt immer nötig. Viele Experten empfehlen deshalb zunächst eine engmaschige, aktive Überwachung des Tumorwachstums. "Bei der langsam wachsenden Form des Prostatakarzinoms wird sicherlich übertherapiert. Dabei muss sich jeder Patient überlegen, wie er mit den möglichen Nebenwirkungen einer Operation, nämlich Impotenz und Inkontinenz, umgehen kann", gibt Moch zu bedenken.

Doch oft sind es die Patienten, die auf eine Operation drängen. Viele können psychisch nicht damit umgehen, Krebs zu haben, ohne sofort therapiert zu werden. Trotz der Kontroverse favorisiert der Pathologe das Schweizer Früherkennungsmodell. Seine Empfehlung ist eine Kombination aus Tastuntersuchung und Bestimmung des PSA-Wertes ab dem 50. Lebensjahr. Zunächst müsse es eine ausführliche Information über die Früherkennungsmöglichkeiten geben. "Der aufgeklärte Patient und das individuelle Arztgespräch spielen dabei eine große Rolle", so Moch, "Nur eine Klärung der persönlichen Risikolage des Patienten und dessen individuelles Risikoempfinden können zu einer richtigen und bewussten Entscheidung pro oder contra PSA-Bestimmung führen."

Die Aufgabe der Forschung sei es, spezifische "Biomarker" zu finden. Diese zeigen an, ob ein Mensch oder ein Organ gesund oder krank ist — etwa durch Stoffwechselprodukte, bestimmte Proteine oder Nukleinsäuren. Ziel müsse es sein, einen Marker zu finden, der die aggressive von der weniger aggressiven Variante unterscheidet, fordert Moch. Oder der erkennen kann, ob die Erhöhung des PSA-Wertes nur auf eine Prostata-Entzündung zurückzuführen ist. Bis es soweit ist, werden nach seiner Einschätzung allerdings noch Jahre vergehen. Die Forschung müsse ihr Augenmerk auf die aggressive "Raubtier-Variante" richten. "Nur so können wir eines Tages Prostatakrebs besiegen", erklärt Moch.

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