"CSI-Effekt" Was Zuschauer aus Krimis lernen können

Düsseldorf · Kein Fernsehabend ohne Krimi oder CSI-Serie. Wie stark beeinflusst uns das? Werden Verbrecher durch Krimis besser? Unbescholtene Zuschauer jedenfalls lernen davon, sagen Wissenschaftler.

 Die Spurensicherung sichert Beweisstücke. (Symbolfoto)

Die Spurensicherung sichert Beweisstücke. (Symbolfoto)

Foto: Shutterstock/Presslab

Mehr als 14 Millionen Zuschauer lockte 2017 ein Münster-"Tatort" vor den Fernseher. Ob Krimis, CSI-Serien oder Sendungen zur Verbrechensaufklärung wie Aktenzeichen XY — Verbrechen faszinieren sehr viele Menschen. Was wir dort sehen, geht keinesfalls spurlos an uns vorbei, sagt Kommunikationswissenschaftlerin Carina Jasmin Englert. TV-Serien können den Zuschauer beeinflussen. "CSI-Effekt" nennt sich dieses Phänomen. Aber wie genau können fiktive Inhalte auf das reale Leben abfärben? Wie beeinflusst die Darstellung von Verbrechen die Verbrechensaufklärung? Das wollte auch Englert wissen und stellte dazu eine Studie an. Polizisten, Richter, Staatsanwälte und Kriminaltechniker fragte die Forscherin dazu nach ihrer Meinung.

Das Ergebnis ihrer Untersuchungen: Duch das Krimigucken erwerben Zuschauer gewisse Kompetenzen. "Natürlich werden wir nicht alle zu Hobbydetektiven, aber der Zuschauer erwirbt eine gewisse Kenntnis über die Ermittlungsmöglichkeiten", sagt Englert, die mittlerweile für das Landespolizeipräsidium Hessen arbeitet. Sie beobachtet einen Unterschied zwischen deutschen und amerikanischen Serien. In den USA gehe es eher darum, Täter abzuschrecken und die "Wir kriegen jeden"-Botschaft zu verbreiten. Die Macher deutscher Serien legten den Fokus darauf, nicht alles zu offenbaren, was ermittlungstechnisch in der Realität möglich sei.

Krimis fördern logisches Denken

In der praktischen Polizeiarbeit zeige sich, dass Zuschauer durch Krimiserien etwas über Verbrechensaufklärung lernen. Das allerdings habe zwei Seiten. Die positive Seite: Die Menschen wissen eher, was Verbrechensaufklärung heiße. Sie seien dadurch stärker für potentielle Verbrechenssituationen sensibilisiert, beispielsweise wegen der Einbruchgefahr nicht die Terrassentür offen stehen zu lassen, wenn sie duschen gehen. "Wenn im Dunkeln jemand um ein Auto schleicht, werden sie eher skeptisch und schauen genauer hin", sagt die Wissenschaftlerin.

Die Polizei stelle zudem fest, dass Zeugen Uhrzeiten genauer benennen können, sich eher an das Aussehen und die Bekleidung von Personen erinnern können. Außerdem förderten kriminalistische Serien das logische Denken. CSI-Zuschauer können laut Englert oft Zusammenhänge besser erkennen.

Gefährliches Halbwissen

Die negative Seite des Lernens durch solche Serien: Manchen Kleinigkeiten werde zu viel Bedeutung beigemessen. Das könne auch auf eine falsche Fährte führen. Es komme dadurch schneller zu einem Informationsüberfluss, so das Ergebnis der Befragung unter Kriminalisten und Ermittlern.

Zudem kann das erworbene Halbwissen die professionellen Ermittlungen schwieriger gestalten. "Mancher glaubt, er kenne sich in der Verbrechensaufklärung aus und wisse, was zu tun sei", sagt Englert. Das erschwere die Arbeit der Fahnder, denn sie müssten mehr Aufklärungsarbeit leisten. Ein konkretes Beispiel aus ihrer Forschungsarbeit: "Nach einem Kellereinbruch ist der Bewohner irritiert darüber, dass die Polizei keine Fingerabdrücke nimmt." Aus Krimis weiß er von dieser Möglichkeit und versteht nicht, warum das bei Bagatelldelikten nicht geschieht.

DNA-Analysen und das Hineinzoomen in Digitalfotos scheinen zur Normalität zu gehören. Tatsächlich sind manche Dinge nicht möglich. Die Möglichkeit zu zoomen ist jedoch aufgrund der Pixelzahl ernüchternd stark begrenzt und Ermittlungen mit hoch-technisierten Geräten und wissenschaftlicher Genauigkeit nimmt weit mehr Zeit in Anspruch als sich in einem 90-minütigen Film darstellen ließe.

Was Täter aus Forensik-Serien mitnehmen

Bleibt die Frage: Wenn Zuschauer durch CSI-Sendungen dazu lernen, können sich nicht auch Täter Tricks zur Durchführung ihrer Taten abschauen? Nahe legte das der Fall eines Doppelmordes in den USA. Dort nahm die Polizei 2006 einen 25-Jährigen fest. Er behauptete, als Fan der Serie "CSI: Crime Scene Investigation — Den Tätern auf der Spur" daraus bewusst Wissen für die Verbrechensvertuschung genutzt zu haben. Er habe seine Hände mit Bleiche vom Blut seiner Opfer reingewaschen, die Leichen und seine eigene Kleidung verbrannt und darauf geachtet, möglichst keine DNA-Spuren zu hinterlassen.

Doch wie auch im beliebten TV-Format machten er und eine Komplizin Fehler, durch die ihnen die Ermittler auf die Spur kamen: Sie benutzten die Kreditkarte eines Opfers und warfen Tatgegenstände in einen See, der jedoch zugefroren war. So blieben die belastenden Indizien auf dem Eis liegen, statt im Wasser zu versinken. Die Polizei fand sie und konnte die Tat aufklären.

Abgesehen davon, dass laut Englert die meisten Taten im Affekt erfolgen, hegt auch Psychologe Andreas Baranowski von der Universität Gießen Zweifel daran, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem Schauen von Krimis und den Fähigkeiten ein Verbrechen zu begehen. In einer Ende 2017 veröffentlichten Studie untersuchte er, ob Krimiwissen Tätern bei ihren Verbrechen helfen könnte.

Wie Forscher im Experiment das Geschick von Krimiguckern testeten

Zunächst wertete Baranowski dazu psychologische Daten des amerikanischen FBI und des Bundeskriminalamtes aus. Dann interviewte er Kriminelle im Gefängnis und bat sowohl Krimi-Fans als auch Krimi-Muffel, einen realistisch hergerichteten Tatort von Spuren bereinigen. Zu guter Letzt spielten Probanden mit "CSI"- und Krimi-Hintergrund und solche ohne in einem Puppenhaus ein Verbrechen nach. Dabei zeigte sich: Konkrete Tipps, die beim Ausüben eines Verbrechens hilfreich sein konnten, stammten eher aus dem Milieu der jeweiligen Testpersonen, nicht aber aus CSI-Sendungen.

Der Grund: "Filme zeigen viel zu wenig Konkretes, wie zum Beispiel: Wie lasse ich mein Tatwerkzeug verschwinden?", sagt Baranowski. Auch beim Beseitigen von Spuren stellten sich die CSI-Zuschauer kaum geschickter an als jene, die keine Krimis geschaut hatten. "Zwar waren die Krimigucker bei der Vertuschung selbstbewusster, doch besser als Nicht-Krimigucker waren sie nicht", sagt Baranowski. Wenn es einzelnen Krimi-Guckern besser gelang, eine Straftat zu vertuschen als einem der Nicht-Gucker, dann handelte es sich meist um Männer aus technischen Berufen.

(wat)
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