Depressionen Wie ein Tattoo das Internet bewegt

Düsseldorf · "Heute möchte ich etwas verraten, dass nur wenige von euch über mich wissen. Ich bin bereit, über meine psychische Erkrankung zu sprechen." Mit diesen Worten beginnt die 20-jährige Amerikanerin Bekah Miles ihren Eintrag auf Facebook. Eigentlich sollte er ihr ungewöhnliches Tattoo erklären. Inzwischen aber bewegt er im Netz Hunderttausende Leser.

"Letztes Jahr erhielt ich die Diagnose Depression. Aber um ehrlich zu sein, ich glaube das war schon lange zuvor ein Problem für mich, nur wurde es irgendwann so schlimm, dass ich im Alltag kaum mehr funktionieren konnte", schreibt Miles weiter. "Und heute, heute habe ich mir dieses Tattoo stechen lassen."

Die schwarze Farbe ist in einem Schriftzug auf Miles Bein verewigt. "Für mich ist das Bein genau die richtige Stelle für die Bedeutung, die das Tattoo hat", erklärt Miles. "Während alle anderen lesen "I´m fine" (übersetzt: "Es geht mir gut"). Lese ich "save me" (übersetzt: "Rette mich")."

Ein Satz mit einer fröhlichen und eine traurigen Aussage - je nach Perspektive. Für Miles und viele andere Betroffene von Depressionen beschreibt dieses Bild ein Alltagsgefühl. "Für mich bedeutet das, dass die anderen immer diese Person sehen, der es gut zu gehen scheint, aber in Wirklichkeit ist gar nichts in Ordnung." Ihr Tattoo erinnere Miles daran, dass Menschen, die glücklich wirken, in Wahrheit in einem schweren Kampf mit sich selbst stecken können.

(Dear mom and dad, please don't kill me over this permanent choice. I want you to hear me out.)Today, I am coming out...

Dann beginnt Miles ihre Erfahrungen mit der psychischen Krankheit zu schildern: "Für mich bedeuten Depressionen jene Tage an denen ich ohne jeden Grund tief traurig bin.

Depressionen - Sind die Morgende an denen ich nicht in der Lage bin, aus dem Bett zu kommen.

Depressionen - Bedeuten viel zu viel, oder viel zu wenig zu schlafen.

Depressionen - Das sind die Hausaufgaben, die ich nicht in der Lage war fertigzustellen, einfach nur, weil ich es nicht konnte.

Depressionen - Sind Zusammenbrüche, die ich ohne speziellen Grund habe.

Depressionen - Bedeuten viel zu viel, oder viel zu wenig zu essen.

Depressionen - Sind die Nächte in denen ich in Tränen ausbreche, obwohl eigentlich alles in Ordnung ist.

Depressionen - Das sind die 25 Kilo, die mir permanent schwer auf den Brustkorb drücken.

Depressionen - Sind das permanente Bedürfnis mich mit dem Internet, sozialen Netzwerken, Fernsehen, Computerspielen oder Arbeiten ablenken zu müssen, weil ich meinen Gedanken nicht länger als drei Minuten trauen kann.

Depressionen - Sind die Freundschaften, die gelitten haben, weil ich nicht in der Lage war zu funktionieren.

Depressionen - Sind die verletzenden Handlungen und Gedanken, die ich mir selbst entgegen bringe.

Depressionen - Das sind die Tränen, die ich weine, weil ich nicht weiß warum ich mich so wertlos fühle, obwohl ich eigentlich glücklich sein sollte."

Worte die vielen Depressiven aus der Seele sprechen dürften. Miles Beitrag jedenfalls wurde innerhalb von fünf Tagen 320.000 Mal geteilt. Sie ist damit ein neues Sprachrohr für eine Gemeinschaft, die sich im Internet gefunden hat. Menschen etwa, die unter dem Hashtag #notjustsad über ihren täglichen Kampf mit der Depression twittern. Menschen, die ihre Entscheidung trotz Depressionen nicht aufzugeben durch ein Semikolon-Tattoo Nachdruck verliehen haben, und die Bilder posten. Menschen eben, die versuchen über den anonymen aber ehrlichen Austausch in den sozialen Netzen, Hilfe zu finden - und sie sich gegenseitig zu geben.

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Foto: Shutterstock/Themalni

Das war auch der Anlass für Bekah Miles ihren Facebook-Eintrag zu verfassen. "Psychische Erkrankungen sind ernstzunehmen, aber sie sind so schambehaftet in unserer Gesellschaft", schreibt sie weiter. "Das ist, warum ich mir das Tattoo habe stechen lassen: Es ist ein fantastischer Gesprächs-Starter." Denn obwohl psychische Erkrankungen mehr oder weniger jeden treffen könnten, würde normalerweise nie darüber gesprochen. Das will Miles ändern, für sich selbst und für andere Betroffene. "Das Tattoo zwingt mich über meinen eigenen Kampf zu sprechen, und darüber warum es wichtig ist, dem Aufmerksamkeit zu geben."

Miles ist sich sicher, jeder hat in seinem Bekanntenkreis mehr Personen, die von Angstzuständen und Depressionen betroffen sind, als man so denkt. "Ich bin nur eine Person", schreibt sie, "aber eine Person reicht, um eine andere zu retten - und das ist alles worum es mir geht."

(ham)
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