War Andreas L. psychisch krank? Die Volkskrankheit Depression

Düsseldorf · Immer mehr Deutsche werden wegen Depressionen behandelt. Es wird derzeit vermutet, dass auch der Copilot von Flug 4U 9525 an der psychischen Krankheit litt. Bei Männern wird sie häufig nicht erkannt.

War Andreas L. psychisch krank?: Die Volkskrankheit Depression
Foto: Ferl

Thomas Müller-Rörich ist kein typischer Mann. Denn er redet über seine Krankheit, er redet über Depressionen. Der Vorsitzende der Deutschen Depressionsliga erzählt bundesweit in Vorträgen über seine vierjährige Krankengeschichte. Der 61-jährige Geschäftsführer einer Firma für Steuerungskomponenten konnte keine Texte mehr lesen, auf den Lärm seiner Kinder reagierte er aggressiv. "Alles in meinem Leben fand ich anstrengend", berichtet Müller-Rörich, "ich hatte immer das Gefühl, ich kann das nicht." Selbst das morgendliche Zähneputzen wurde zum Kampf.

Depressionen gelten noch immer als typisch weiblich. In den Lehrbüchern steht, dass jede vierte Frau in ihrem Leben eine Depression durchmacht. Dagegen sei nur jeder achte Mann betroffen. Doch diese Einschätzung sei vermutlich falsch, heißt es im Bericht "Männergesundheit 2014" des Robert-Koch-Instituts (RKI). Untersuchungen belegen, dass Hausärzte vor allem bei jüngeren Männern Depressionen weniger häufig erkennen, als ihnen das bei Patientinnen gelingt.

Männer gehen anders mit der Krankheit um

Männer gehen mit der Krankheit anders um als Frauen; deshalb fällt es den Ärzten schwerer, die richtige Diagnose zu stellen. "Depressionen passen nicht in das männliche Selbstbild, und deshalb versuchen Männer häufig, sie zu verdrängen", berichtet Anne Maria Möller-Leimkühler, Professorin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München. Typisch männliche Reaktionen sind der Griff zum Alkohol, eine erhöhte Aggressivität und Feindseligkeit, aber auch intensive Aktivitäten. Die Betroffenen versuchen, den schleichenden Interessenverlust und die aufkommende tiefe Traurigkeit zu kompensieren. Sie treiben extrem viel Sport, stürzen sich rund um die Uhr in Arbeit oder verbringen Stunden vor dem Computer im Internet.

Durch diesen selbstgemachten Stress schüttet der Körper ständig mehr Stresshormone aus. Der Hormonspiegel kann so hoch steigen, dass die Betroffenen keinerlei Ruhe mehr finden. Männer wollen häufiger und länger als Frauen allein gegen die Krankheit kämpfen. Sie verleugnen die Symptome und schleppen sich weiter zur Arbeit. Einer der Gründe könnte die fehlende Akzeptanz der Krankheit in der Gesellschaft sein. "Depressive Menschen werden häufig als Leistungsverweigerer angesehen", sagt Müller-Rörich. Die Diagnose Depression bedeutet häufig das Ende der Karriere, da die Betroffenen nicht mehr als belastbar gelten.

Depressionen sind eine ernstzunehmende Krankheit

Dabei ist es höchste Zeit, dass psychische Erkrankungen als das anerkannt werden, was sie sind: Nämlich weitaus mehr als nur ein paar Tage schlechte Laune. Depressionen sind eine ernstzunehmende Erkrankung. Nach einer Erhebung der Krankenversicherung DAK entfielen 2014 knapp 17 Prozent aller Ausfalltage der Arbeitnehmer auf Depressionen, Angststörungen und andere psychische Leiden. Die Zahl der Fehltage durch Depressionen habe sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt.

Nach Prognosen der Weltgesundheitsorganisation wird die Depression im Jahr 2020 nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Krankheitsursache weltweit sein. Mehr als die Hälfte aller Verrentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gingen bei den Männern im Jahr 2012 auf das Konto der psychischen Erkrankungen, bei Frauen waren es sogar mehr als zwei Drittel. Die Experten streiten allerdings darüber, ob tatsächlich vermehrt Depressionen auftreten oder lediglich mehr Fälle erkannt werden, die bisher nicht in der Statistik auftauchten.

Die Hauptsymptome einer Depression sind eine gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebsmangel und erhöhte Ermüdbarkeit. Treten mindestens zwei dieser Symptome über einen Zeitraum von zwei Wochen zusammen mit anderen Verhaltensauffälligkeiten auf, werten die Ärzte das als eindeutiges Warnsignal.

Die Erkrankung von Thomas Müller-Rörich konnte mit Anti-Depressiva behandelt werden. Das trifft auf viele Depressionen zu, vor allem wenn sie früh genug erkannt werden. Doch das ist leider nicht immer der Fall. Nicht optimal behandelte Erkrankungen bilden die Hauptursache der etwa 10.000 Suizide, die jedes Jahr in Deutschland begangen werden. Im Fall von Thomas Müller-Rörich dauerte es neun Monate, bis er wieder arbeiten konnte. Er habe drei Medikamente testen müssen, bis das richtige gefunden wurde.

(RP)
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