Depression mit Tarnkappe Frauen suchen Hilfe, Männer bringen sich um

Berlin/Bayreuth · Aggressives Verhalten, extreme Raserei mit dem Auto, extreme Sportarten – wenn Männer so irrsinnig unterwegs sind, dann kann das in Wahrheit ein Hilferuf sein. Depressionen zeigen sich bei ihnen so untypisch, dass für viele die Hilfe zu spät kommt.

Sieben Fakten zur Depression
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Foto: dpa, Yuri Arcurs, Pascoe

Aggressives Verhalten, extreme Raserei mit dem Auto, extreme Sportarten — wenn Männer so irrsinnig unterwegs sind, dann kann das in Wahrheit ein Hilferuf sein. Depressionen zeigen sich bei ihnen so untypisch, dass für viele die Hilfe zu spät kommt.

Eine handfeste Depression, die war lange in den Köpfen als typische Frauenerkrankung verankert. Männern schrieb man höchstens die Überarbeitungskrankheit "Burn-out" zu. Doch das ist falsch. 3,6 Millionen Männer, sagt die Stiftung Männergesundheit, haben eine handfeste Depression. Das aber sind nur die offiziell bekannten Zahlen. In Wahrheit ist der Anteil nach Einschätzung der Experten noch höher. Denn Männer leben mit ihrer Krankheit im Dunkeln. Sie offenbaren sich nicht so leicht und leiden still. Mit fatalem Ergebnis: Beim starken Geschlecht ist die Selbstmordrate dreimal höher als bei den Frauen und das, obwohl den Zahlen nach mehr Frauen unter der psychischen Erkrankung leiden als das andere Geschlecht.

Die etwas anderen Anzeichen

Mann leidet einfach anders. Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und Schlafprobleme, die als Symptome für die Krankheit hinlänglich bekannt sind, verschwimmen hinter riskanten Sportarten, aggressivem Verhalten, Sex-Exzessen, Affären, Suff und anderen Abhängigkeiten. In depressiven Phasen bringen sie sich und andere in Lebensgefahr. Damit versuchen sie, gegen die Depression anzukämpfen und sich selbst von ihr abzulenken. "Depressionabwehrstrategien mit hohem Risiko für Selbst- und Fremdgefährdung", nennt das Psychiater Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf. Damit versuchen die Betroffenen von ihrer ausweglosen Lage abzulenken. Kaum jemand ahnt, dass sie Anzeichen für eine der häufigsten und tödlichsten Krankheiten sein kann. 100.000 Männer führt sie jedes Jahr in den Suizid.

"Für dieses Verhalten muss man das leidige Testosteron heranziehen", sagt Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf. Er arbeitet als Ärztlicher Direktor im Bezirkskrankenhaus Bayreuth. "Männer sind einfach hormonell aggressiver ausgestattet", fügt er hinzu. Als Experte für Männerdepressionen kennt er Gefühlsausbrüche von Männern, die explodieren, nur weil der Nagel nicht in die Wand will.

Jammern als Fähigkeit erkannt

Männer leiden im Verborgenen, gehen bei Depressionen nur selten zum Arzt, so beschreiben es auch die Psychologen der Techniker Krankenkasse. Sie bringen sich mitunter in gefährliche Situationen, nur weil sie keine Hilfe annehmen. "Frauen hingegen besitzen die Fähigkeit des Klagens", sagt Wolfersdorf. Was noch vor 40 Jahren als Jammern von Medizinern belächelt wurde, wird heute in der Psychologie als Fähigkeit erkannt, auf Hilfsbedürftigkeit hinzuweisen. Er sieht Frauen im Vorteil durch ihre Fähigkeit, bei der Freundin wie beim Hausarzt klagen zu können. Der Bayreuther Psychiater sagt: "Frauen suchen Hilfe, Männer bringen sich um."

Der Männergesundheitsbericht 2013 führt das darauf zurück, dass Männerdepressionen unterdiagnostiziert und unterversorgt seien. Seelische Erkrankungen seien in unserer Gesellschaft oft tabuisiert und stigmatisiert. Die wichtigsten Gründe für die Unterbehandlung psychischer Störungen bei Männern sieht Prof. Dr. Anne Maria Möller-Leimkühler von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München in mangelnder Hilfesuche, Männlichkeitsideologien, Angst vor Stigmatisierung, Unkenntnis über die geschlechtstypischen Symptome und Fehldiagnosen in Richtung somatischer Erkrankungen.

Männer klagen über körperliche Beschwerden

Das allerdings kommt nicht von ungefähr. Die, die den Weg zum Arzt finden, klagen dort nicht über Versagensängste, Selbstzweifel oder Traurigkeit, sondern über körperliche Beschwerden wie Rückenschmerzen, Magendrücken oder weniger Lust auf Sex, so beschreibt es Psychiater Wolfersdorf. Infolgedessen, laborieren viele Mediziner an der falschen Krankheit herum und können nicht heilen, was jetzt vielleicht noch heilbar wäre.

Doch es gibt weitere Faktoren, die es den Männern so schwer machen, leichter mit ihrer Erkrankung klarzukommen: "Generell sind Frauen gesundheitsbewusster. Männer sind in der Regel schwerer für Präventionsmaßnahmen zu gewinnen", sagt Männerforscher und psychologischer Berater im Gesundheitsamt Dresden, Dr. Matthias Stiehler. Er fordert darum, Präventionsangebote besser auf Männer zuzuschneiden. Auch in der Gesellschaft sei ein Umdenken erforderlich: Selbst wenn Männer in seelischer Not seien, begegne ihnen häufig die Aussage, sie sollten sich bloß mal etwas zusammenreißen, dann würde es schon gehen. "Es scheint, als sei es für die Männer selbst, aber auch für ihr soziales Umfeld fast nicht vorstellbar, dass sie auch hilfebedürftig sein können", so Stiehler.

Ein solcher Wandel aber braucht Zeit. Bis dahin hilft es, die Risiken für Männerdepressionen besonders im Auge zu behalten: Stress bei und durch die Arbeit und Krisen nach Trennung oder tief greifenden Ereignissen führen da die Rangliste an. Und ebenso die andersartigen Symptome.

(wat)
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