Sprechstunde Jürgen Vieten So kann Sport bei Depressionen helfen

Mönchengladbach · Ausdauertraining stärkt Gehirnfunktionen, die bei der Therapie von Erkrankten wichtig sind.

Unsere Leserin Christina S. aus Viersen fragt: "Meine 32-jährige Schwester leidet unter einer schweren Depression. Stimmt es, dass ihr Ausdauertraining helfen kann, schneller gesund zu werden?"

In den letzten Jahrzehnten ist die Wirkung des Sports genauer untersucht worden, die positiven Wirkungen sind unbestritten. Individuell angepasster, nicht übertriebener Sport reguliert das Körpergewicht und damit verbundene Einflussgrößen wie die Blutfette, Cholesterin, Blutdruck und Herzleistung. Die Muskulatur wächst und verbessert ihre Funktion. Die Darmtätigkeit reguliert sich, der Wasserhaushalt ebenfalls. Er verbessert teilweise die sogenannten kognitiven Funktionen, also Teilbereiche der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns, etwa das Konzentrationsvermögen und das Kurzzeitgedächtnis.

Auch das Arbeitsgedächtnis, mit dem wir Informationen be- und verarbeiten, wird gestärkt. Psychisch erleben wir ebenfalls positive Veränderungen. Unser Körpergefühl verbessert sich, wir fühlen uns attraktiver. Bei Männern steigt messbar der Testosteronspiegel, Bauchfett wird verbrannt, die Libido steigt, man fühlt sich attraktiver, dynamischer und kommt beim anderen Geschlecht besser an. Die Stimmung steigt leicht an, man kann unangenehme Gefühle besser regulieren. Betreiben wir Sport über unsere Belastungsgrenzen, werden kurzfristig Glücksstoffe ausgestoßen (Enkephaline), die ein stundenlanges Hoch- und Entspannungsgefühl vermitteln. Tun wir dies häufig, können wir uns in einen Erschöpfungszustand treiben und uns dem Sport gegenüber ähnlich verhalten wie ein Spielsüchtiger gegenüber dem Glücksspiel. Was verändert sich aber, wenn wir an einer krankhaften Depression leiden?

Diese zieht unter anderem unsere Stimmung und Belastbarkeit stark herunter, wir verlieren an Antrieb, sitzen viel auf der Couch, liegen im Bett, ziehen uns zurück. Wir können uns extrem schlecht konzentrieren, Gedächtnisfunktionen leiden. Studien mit dem fMRT (Darstellung von Hirnprozessen in der Magnetresonanztomografie) zeigten, dass sich der Hippocampus, also der Hirnabschnitt, wo Kurzzeitgedächtnis und Anteile des Arbeitsgedächtnises sowie Konzentration und Aufmerksamkeitskontrolle sitzen, verkleinert. Dies erklärt man dadurch, dass die Hirnsteuerung des Stresshormons Cortisol versagt und sich überschüssiges, nicht verwertbares Cortisol dort an Rezeptoren festsetzt.

Dies wiederum verhindert die Neubildung vollwertiger Zellen, es entsteht eine Art Zellmüll. Da der Hippocampus von allen Hirnteilen die regste Zellneubildung aufweist und benötigt, führt dies natürlich zu einer massiven Minderung der dort gesteuerten Lernleistungen. Dies ist der wichtigste Grund, dass alle Psychotherapien, die ein "Lernen" des Patienten voraussetzen, zum Scheitern verurteilt sind. In einer Depression sind wir praktisch lernunfähig. Leichtes Ausdauertraining führt allerdings messbar zur Normalisierung der Hippocampusgröße und zur Funktionsverbesserung, schneller als durch Medikamente und Psychotherapie. Allerdings: Übertreibt es der Kranke, geht dieser Effekt wieder verloren. Seine Symptome verschlechtern sich vorübergehend . Es gilt also, zusammen mit seinem Arzt das richtige Maß zu finden. Ein 30-minütiger Spaziergang täglich ist ein erster Ansatz. Wichtig: Am Ende jeder Depression normalisiert sich auch die Hippocampus-Funktion.

Jürgen Vieten ist niedergelassener Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in Mönchengladbach.

(RP)
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