Probleme können ansteckend sein Psychotherapie - Risiken und Nebenwirkungen

Berlin · Viele Menschen, die unter Depressionen, Panikattacken und Co. leiden, ziehen die Psychotherapie einer Behandlung mit Medikamenten vor. Dabei kann auch der Besuch beim Psychologen Nebenwirkungen haben. Lesen Sie hier, welche das sind und wie psychische Krankheiten sogar ansteckend wirken können.

Nebenwirkungen von Psychotherapie im Überblick
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Foto: Shutterstock/wavebreakmedia

Pillen zu schlucken, weil man ein psychisches Problem hat, sehen die meisten kritisch. 70 Prozent der Deutschen hält eine Psychotherapie zur Behandlung von Depressionen für empfehlenswert. Nur 40 Prozent setzen laut Studienergebnissen auf Psychopharmaka. Denn zu groß ist die Sorge, das Medikament könne neben den erwünschten auch unerwünschte Wirkungen zeigen. Denn eine Therapie ohne Risiken, Nebenwirkungen oder gar Komplikationen gibt es nicht: Das gilt auch für die Psychotherapie.

Schwere Belastung durch eine kranke Psyche

Was Menschen antreibt eine Psychotherapie zu beginnen, ist ein meist unvorstellbar hoher Leidensdruck, der zu einer massiven Einschränkung in ihrem Leben führt. Angstpatienten trauen sich plötzlich gar nicht mehr alleine auf die Straße oder zum Einkauf, depressive Menschen wollen ihr Bett nicht mehr verlassen, Beziehungen und Freundschaften zerbrechen und auch die Wucht beruflicher Konsequenzen kann unabsehbar sein: Lange Fehlzeiten, Kündigung oder Ausgrenzung belasten und sorgen zusätzlich für Existenznot.

Eine Therapie greift in solch komplizierte Verflechtungen. Daraus mag sich leicht erklären, wie es zu Verstärkung der psychischen Beschwerden oder zum Auftreten neuer Krankheitssymptome, zu einer Überforderung oder zum Gefühl der Abhängigkeit von der Psychotherapeutin oder dem Psychotherapeuten kommen kann. Das alles sind Nebenwirkungen, die die Bundespsychotherapeuten-Kammer (BPTK) beschreibt.

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Foto: Shutterstock/Luna Vandoorne

Die Nebenwirkung von Gesprächen

Betroffene berichten über Erschöpfungszustände nach dem Besuch beim Therapeuten, von Verwirrung, einem "Salat im Kopf" oder der Zunahme von negativen Gefühlen, Verzweiflung und Kränkung, so ist in der Dissertation von Annegret Conrad an der Freien Universität Berlin zu lesen, die ihren forschenden Blick auf das noch wenig erforschte Feld wirft. Psychologen wie Prof. Anton Leitner von der Donau Universität Krems in Österreich berichten darüber, dass es trotz neuester Untersuchungen, wie zum Beispiel der RISK-Studie, Psychotherapeuten gibt, die die von ihnen angewendete Heilbehandlung für nebenwirkungsfrei halten.

Er selbst fand aber zusammen mit seinem Forschungsteam heraus, dass knapp ein Drittel der Behandelten negative Effekte aus der Behandlung zeigt. Sie schildern die Verschlechterung ihres depressiven Zustandes, auch beobachten die Forscher selbst, dass vor allem bei Gruppentherapien die Patienten sich "gegenseitig anstecken". Die Hoffnungslosigkeit eines Depressiven zeigte sich nach einer solchen Sitzung auch bei anderen Klienten.

Negative Wirkung durch Behandlungsfehler

Behandlungsfehler, unkorrekt durchgeführte Behandlungen und falsche Diagnosen tragen dazu bei, dass der Psychotherapie eine negative Wirkung nachgesagt werden kann. Andere Studien gehen davon aus, dass es etwa jedem zehnten Patienten nach der Therapie schlechter geht als vorher. Was beim einen dazu führt, die belastende Situation aufzulösen, kann beim anderen übermächtige und negative Gefühle verstärken und so zum Beispiel Ängste vertiefen. Denn unumgänglich ist es, sich seiner Probleme und der dahinter steckenden Erkrankung im ersten Schritt der Behandlung bewusst zu werden und sie dann damit auseinanderzusetzen und sie zu bewältigen. Nicht jeder steckt das gleich gut weg. Wenn ein Patient während der Behandlung in Tränen ausbricht, dann werten das manche Psychologen als Nebenwirkung. Allerdings als unvermeidbare, die man in Kauf nehmen müsse, um das Therapieziel zu erreichen. Denn mit schmerzhaften Erlebnissen und Problemen konfrontiert zu werden, ist oftmals in der eigenen Auseinandersetzung unausweichlich.

Als größter Risikofaktor für einen therapeutischen Misserfolg gelten jedoch nicht die emotionalen Auswirkungen einer Behandlung, sondern eine problematische Beziehung zum Therapeuten. Es kann das Gefühl der Abhängigkeit vom ihm sein, das den Betroffenen nicht nur emotional wankelmütig werden lässt, sondern auch seine eigene Selbsthilfefähigkeit einschränkt. Zum anderen kann der Eindruck entstehen, man passe nicht zusammen, werde missverstanden oder nicht ernst genommen. Darum rät die Therapeutenkammer dazu, schon bei Behandlungsbeginn darauf zu achten, dass die Chemie zwischen beiden stimme. Ist das nicht der Fall, sollte man einen anderen Behandler suchen. Auch, wenn sich das Problem erst im Verlauf einer Therapie ergibt, sollte der Patient sein schlechtes Gefühl gegenüber dem Psychologen nicht unterdrücken und auch Zweifel am Erfolg der Behandlung nicht einfach wegdrücken. Selbst in einer Therapie ist es zu jedem Zeitpunkt möglich, einen Break zu machen.

Psychotherapie dennoch wirkungsvoll

Auch, wenn das Feld der Nebenwirkungen von Psychotherapie noch weiter beackert werden muss, steht jedoch außer Frage, dass eine Psychotherapie grundsätzlich Nutzen hat. Ihre Wirksamkeit ist gut erforscht und belegt. Nach Informationen der Bundespsychotherapeuten-Kammer ist sie wirksamer als viele Behandlungen körperlicher Erkrankungen. Was ebenfalls für die Inanspruchnahme solcher Hilfe spricht: Patienten mit psychischen Erkrankungen brechen eine solche Behandlung deutlich seltener ab als eine medikamentöse. Der Erfolg zeigt sich weit über das Therapieende hinaus. Allerdings, so zeigen Studien, lässt er manchmal auf sich warten. Ein Drittel der Patienten erlebt bis zur zehnten Therapiesitzung eine Besserung, die Hälfte bis zur 20. Sitzung und Dreiviertel erst zur 55. Sitzung — also nach rund eineinhalb Jahren Therapiezeit. Da ist Ausdauer und Geduld gefragt.

Um vor Beginn einer solchen Heilbehandlung den Patienten besser aufzuklären und auf unerwünschte Nebeneffekte aufmerksam zu machen, will man nachdem die Österreicher die Psychotherapie mit einer Art Beipackzettel versehen haben, auch in Deutschland Patienten besser über Risiken und Nebenwirkungen der Psychotherapie aufklären. Seit Januar gibt es entsprechend der Forderung des neuen Patientenrechtegesetzes mehr Informationen für sie. Wie gut das nun ist, ist indessen auch wieder umstritten, denn ähnlich wie bei der medikamentösen Behandlung fürchten nun viele Therapeuten um eine solch abschreckende Wirkung, dass viele lieber auf eine Behandlung verzichten.

(wat)
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