Embodiment-Forschung Wie Ihre Körperhaltung Ihr Denken beeinflusst

Lust auf ein Selbstexperiment, mit dem Sie wahlweise Ihre Laune steigern oder in den Keller fahren können? Nötig ist dazu nur ein Bleistift.

 Menschen, die sich hängen lassen, sind schneller frustriert und denken negativer.

Menschen, die sich hängen lassen, sind schneller frustriert und denken negativer.

Foto: Shutterstock/pathdoc

Bevor das Experiment beginnen kann, eins vorweg: Wenn Sie dabei nicht ungläubige Kollegenblicke oder hämische Kommentare kassieren wollen, sollten Sie sich in ein Einzelbüro zurückziehen, hinter einem hohen Raumteiler abtauchen oder sich auf der Toilette verstecken. Sind Sie in Sicherheit? Dann raus mit dem Bleistift und rein in den Mund. Nehmen Sie ihn zwischen die Zähne und schieben Sie ihn ganz bis in die Mundwinkel. Jetzt schön mit den Zähnen festhalten und eine Minute durchhalten. Sieht bekloppt aus, wirkt aber todsicher, sagt der Würzburger Sozialpsychologe Fritz Strack.

Er machte genau dieses Experiment mit einer Gruppe von Probanden. Ebenso wie Sie wussten auch die Testpersonen nicht, was der Sinn der Übung ist. Eine weitere Gruppe bat er, den Stift mit den Lippen zu umschließen. Das zwang sie zu einem eher griesgrämigen, schlecht gelaunten Gesicht. Sein Ziel: Er wollte wissen, ob die Mimik in der Lage wäre, die Emotionen zu beeinflussen. Nachdem die Zeit abgelaufen war, gab er beiden Gruppen Cartoons zu lesen. Mit erstaunlichem Ergebnis: Die zwangslächelnde Gruppe fand diese deutlich witziger als die knittrig dreinschauende Gegengruppe.

Der Grund liegt in der Neurophysiologie. Ob durch einen Stift erzwungen oder rein natürlich ausgelöst: Im Gesicht werden die Muskeln aktiviert, die für das Lächeln verantwortlich sind. Infolgedessen schüttet das Gehirn Freudenhormone aus.

Warmes in der Hand, und die Welt sieht rosig aus

Was auf den ersten Blick belustigend wirkt, findet auch außerhalb der Psychologie immer mehr Beachtung. Embodiment heißt der Forschungsansatz, der streng wissenschaftlich der Beziehung zwischen Körper, Geist und Psyche nachgeht und ihre Wirkung aufeinander untersucht. "So wissen wir zum Beispiel, dass Menschen, die etwas Warmes in der Hand halten — zum Beispiel ein warmes Getränk — ihr Gegenüber als sympathischer charakterisieren, als wenn es ein kaltes Getränk wäre", sagt Katja Mierke, Psychologin an der Hochschule Fresenius Köln.

Auch die Bewegungsrichtung und die allgemeine Anspannung der Muskeln hat einen Einfluss darauf, wie man etwas beurteilt. "Wenn ich etwas zu mir hin ziehe, bewerte ich es grundsätzlich positiver, als wenn ich etwas wegschiebe", sagt Mierke. Aus diesem Grund interessieren sich nicht nur Orthopäden für Haltungsmuster und Bewegungsabläufe, sondern seit einiger Zeit auch die Psychologen.

Das unterscheidet Depressive und Gesunde in der Körperhaltung

Johannes Michalak ist einer von ihnen. Er arbeitet als Psychologe und Psychotherapeut an der Universität Witten/Herdecke. Was er erforscht, sind vor allem Gangbilder. Besonders die von depressiven Menschen. Dazu wurden in einem Bochumer Bewegungslabor Probanden mit zig Sensoren ausgestattet. Neun Infrarot-Kameras nahmen dann ihr Gangbild auf. Das Ergebnis: Auch die dauerdeprimierte Comicfigur Charlie Brown hätte Modell stehen können. "Depressive gehen zusammengesunkener und langsamer als psychisch gesunde Menschen. Auch die beim Gehen typische Auf- und Ab-Bewegung ist bei ihnen geringer, sie schlenkern weniger mit den Armen, schwanken aber eher mit dem Körper nach rechts und links", sagt der Forscher.

Damit bestätige er das, was intuitiv viele schon wussten. Mit Aussprüchen wie "Der ist so klein mit Hut", "Jetzt lass dich mal nicht hängen" oder "Kopf hoch" bringt der Volksmund die äußere Erscheinung und Körperhaltung in Zusammenhang mit dem seelischen Befinden. Wer sich unwohl fühlt, der duckt sich förmlich weg. Wer nicht gut drauf ist, der lässt die Schultern hängen und sinkt in sich zusammen. Der Körper reagiert so auf die Psyche.

Krumm zu gehen stimmt negativ

Doch dieser Prozess funktioniert auch andersherum, weiß Michalak. Er hat systematisch untersucht, wie sich umgekehrt die Psyche durch bestimmte Bewegungen beeinflussen lässt. In einem weiteren Experiment brachte er seinen Testpersonen nun bei, entweder fröhlich und bewegt oder depressiv und mit herabhängenden Schultern zu gehen. Anschließend präsentierte er den Probanden 20 positive und 20 negative Eigenschaftswörter. Nach 15 Minuten bat er seine Testpersonen zu einem Gedächtnistest. Es zeigte sich: Diejenigen, die fröhlich umhergegangen waren, erinnerten sich an deutlich mehr positive Wörter als die Schlurfer.

"Die Motorik beeinflusst also unser emotionales Gedächtnis", sagt Michalak. Menschen, die aufrecht und gerade gehen, denken positiver. Zudem können sich Personen leichter an Erlebnisse erinnern, wenn sie ihre Arme von unten nach oben bewegen oder wenn sie aufrecht sitzen und lächeln. In gebeugter Haltung sitzend ist man hingegen schneller frustriert und gibt beim Lösen von Aufgaben eher auf. Selbst bei Erfolgserlebnissen ist man dann weniger stolz.

Dieses Wissen könnte helfen, depressiven Menschen zusätzlich zu anderen Therapien ein spezielles Bewegungstraining anzubieten, das sich positiv auf ihre Stimmung auswirkt. Das ist vor allem vor dem Hintergrund sinnvoll, dass selbst Menschen, die ihre Depression hinter sich gelassen haben, immer noch an ihrem eher depressiven Gangmuster zu erkennen sind. Ein achtsamkeitsbasiertes Training, das darauf Einfluss nimmt, wäre vielleicht in der Lage, Rückfällen vorzubeugen.

"Power Position" für mehr Erfolg bei Vorstellungsgesprächen

Die Erkenntnisse aus der Embodimentforschung können aber auch gesunden Menschen helfen. "Beispielsweise, um sich in einem Vorstellungsgespräch besser zu präsentieren. Personen, die man bat für sieben Minuten eine offene, raumgreifende Haltung — oder "power position" — einzunehmen, schnitten bei einer anschließenden kurzen Selbstpräsentation über ihre Stärken und Qualifikationen deutlich besser ab und wurden besser bewertet als solche, die man vorher gebeten hatte, eine "low position" einzunehmen", sagt Katja Mierke.

"Menschen, die zu depressiven Zuständen neigen, könnte eine intensivere Körperwahrnehmung und ein nicht-depressives Bewegungsmuster helfen", sagt Michalak. Auch, wenn es Sinn machen kann, solch einfache Maßnahmen auszuprobieren warnen die Experten vor simplen Glücksrezepten. "Wer meint, eine Depression heilen zu können durch die Empfehlung, sich gerade zu halten, der wird enttäuscht sein. Dennoch macht es Sinn, an sich zu arbeiten und das Wissen rund um Psyche und Körper für sich zu nutzen — so wie es zum Beispiel das Lachyoga tut, sagt Katja Mierke. Das dort praktizierte grundlose drauflos Lachen funktioniert aus ähnlichem Grund wie das Bleistift-Selbsttest-Grinsen.

(wat)
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