"Komasaufen" unter Jugendlichen Was kann ich tun, wenn mein Kind säuft?

Viersen/Düsseldorf · Der ARD-Film "Komasaufen" hat die möglichen Folgen des exzessiven Trinkens aufgezeigt. Aus medizinischer Sicht reichen bereits zwei Esslöffel Hochprozentiges aus, um sich mit Alkohol zu vergiften. Beim Komasaufen ist diese Menge schnell erreicht. Was sich Kinder damit antun und wie Eltern helfen können.

Komasaufen und Alkohol – Was sich Teenager damit antun
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Alkohol und Komasaufen – Was sich Teenager antun

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Foto: dpa, Jens Büttner

Rund 25.000 Kinder und Jugendliche, die jedes Jahr wegen Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden, sind nur die Spitze des Eisbergs. Beinahe eine halbe Million greift aus Gewohnheit zur Flasche und kommt davon nicht mehr los. Sie fühlen sich nach Angaben des Blauen Kreuzes, das verschiedene Hilfsangebote für sie und ihre Familien bereithält, unverstanden, haben Angst vor bestimmten Situationen oder Reaktionen von Freunden, Lehrern oder Eltern. Sie suchen im Rausch den kurzzeitigen Ausstieg aus Problemen, die sie belasten. Alkohol benebelt.

Mit der Rauschbrille gegen den Rausch

Auch Dietmar Lufen kennt viele junge Menschen, die von Selbstzweifeln zerfressen sind. Sie können bei der Frage nach drei persönlichen Fähigkeiten nicht mal eine einzige nennen. "Ich bin manchmal erschüttert, wenn ich sehe, wie wenig Selbstwertgefühl diese Kinder haben", sagt er. Dietmar Lufen arbeitet als Koordinator für Suchtvorbeugung bei der Suchtberatungsstelle "Kontakt-Rat-Hilfe e.V." im Kreis Viersen. Als erste Anlaufstelle für verzweifelte Eltern sowie hilfesuchende Kinder und Jugendliche will er dafür sensibilisieren, rechtzeitig aktiv zu werden. "Wenn die Eltern den Zugang zu ihren Kindern schon verloren haben, ist es eigentlich schon zu spät. Die Erziehungsberechtigten sollten die Beratung suchen, wenn sie merken, dass ihr Einfluss schwindet", sagt er.

Die Diakonie in Düsseldorf versucht mit dem Projekt "Sei standfest" Teenager zu erreichen, bevor der Absturz passiert ist oder sie zu Schaden kommen. Denn wer häufiger – wie beim Komasaufen – exzessiv trinkt, wird eher abhängig, wissen die Suchtexperten. Das ist auch beim Binge-Drinking so, bei dem innerhalb kürzester Zeit fünf alkoholhaltige Getränke hintereinander weg getrunken werden. Mit einem Team 18-Jähriger sind sie mit einer Rauschbrille auf Düsseldorfer Schützenfesten, in der Altstadt oder auf Halloween-Partys unterwegs und simulieren dort Minderjährigen das Gefühl betrunken zu sein. "Manche, die noch keinen Rausch erlebt haben, sind danach abgeschreckt. Andere finden es vielleicht spaßig. Denen erklären die beinahe Gleichaltrigen dann, dass Mittrinken vielleicht cool ist, wegen enthemmten Verhaltens ausgelacht zu werden, jedoch nicht."

Gruppendynamik und Stress als Auslöser

Zum Glas greifen nicht nur psychisch labile junge Menschen. Alkoholkonsum ist gesellschaftlich legitimiert. "Jugendliche erleben Spaß, wenn sie sich betrinken", weiß Christina B., Beraterin in der Suchtprävention und Koordinatorin des Projekts "Standfest". Sie sehen wie Erwachsene trinken und ahmen das nach. Auch spielt das sich Ausprobieren eine große Rolle, Gruppendynamik, Stress in der Schule, die Suche nach der eignen Identität, cool rüberkommen oder einfach Grenzen auszutesten.

Manchen Eltern fällt es schwer, das Problem zu fassen, obwohl Alkohol keine unauffällige Droge ist. Man kann sie riechen, man sieht Trunkenheit äußerlich und selbst am Morgen nach der berauschenden Nacht ist der Fehltritt für Außenstehende meist ersichtlich. Rote Augen, plötzliche Auffälligkeiten im Verhalten oder Heimlichkeiten sind ein Zeichen dafür, dass die Kinderwelt aus den Fugen geraten ist. Mehr als acht Prozent der Teenager zwischen zwölf und 17 Jahren trinkt laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Alkoholmengen, die auch für gesunde Erwachsene riskant oder gefährlich sind. Im Schnitt trinken sie mit knapp 13 Jahren zum ersten Mal Alkohol. Das Gesetz erlaubt dies erst ab 16 Jahren, Spirituosen sogar erst mit der Volljährigkeit.

Bewusstlos mit nur 0,5 Promille

Das hat seinen guten Grund. Kinder und Jugendliche sind anfälliger für Alkohol, denn ihre Leber kann das Zellgift nur bedingt abbauen. Ein kleineres Kind kann bereits bei einer Menge von nur 0,5 Promille Alkohol im Blut bewusstlos werden, ohne dass es zuvor eine euphorische Anfangsphase erlebt hat. Drei Gramm der flüssigen Droge pro Kilogramm Körpergewicht reichen, um bei Kindern zu einer tödlichen Atemlähmung herbei zu führen.

Was Eltern tun können

Die Suchtexperten raten darum zum offenen Umgang mit dem Problem. "Eltern dürfen nicht ignorieren, wenn ihr Kind betrunken nach Hause kommt", sagt Christine B. Es sei wichtig vertrauensvoll das Gespräch zu suchen, ohne Vorwürfe zu machen. Besser ist es sachlich zu argumentieren und klar zu machen, was der Jugendschutz gesetzlich vorgibt und warum das so ist, als den Nachwuchs auf die imanigäre Anklagebank zu setzen. Im Gespräch sei es zudem wichtig, klar zu machen, wo Grenzen sind, rät der Suchtexperte aus dem Kreis Viersen. "Heranwachsende, die durch Erziehung wenig angeleitet werden, die nicht wissen, wo ihre Rechte, aber auch Pflichten sind, verlieren die Grenze für ihr eigenes Verhalten", sagt Dietmar Lufen.

Orientierung geben können ihnen Konsumregeln. Zum Beispiel solche, nicht auf nüchternen Magen zu trinken, langsam zu trinken, keine Spirituosen zu konsumieren oder nicht alleine zu trinken. Auch das so genannte "Vorglühen" in der Gruppe, bevor man zur Party geht, sollte besprochen und durch die gemeinsamen Regeln ausgeschlossen werden. Eltern sollten ihre Kinder außerdem darin stärken, auch einmal "Nein" zu sagen. Der Grundstein dafür aber werde bereits lange zuvor gelegt, betont Suchtberaterin Christina B. "Kinder, die in Liebe und Vertrauen gewachsen sind und die Sicherheit geschenkt bekommen haben wissen später, dass sie selbstbewusst genug sind, zu widerstehen."

(wat)
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