Die wichtigsten Antworten Wann Sie mit Schwindelzuständen zum Arzt müssen

Düsseldorf · Unter Schwindel leiden viele Menschen. Bei manchen von ihnen ist allerdings eine weitgefächerte Diagnostik nötig. Die Heilungschancen sind groß.

Die Medizin der Moderne empfindet Verehrung für ein Fremdwort und die mit ihm verbundenen Vorteile; noch immer gilt es als Ausweis gebündelter Kompetenzen und insgeheim als paradiesischer Zustand. Das Suchwort lautet: interdisziplinär. Jeder Arzt weiß, dass bei manchen seiner Patienten ein zweiter oder dritter Experte eingespannt werden muss, der über komplementäres Wissen verfügt, das ihm selbst fehlt.

Ein typischer Bereich für die Notwendigkeit interdisziplinären Denkens in der Medizin ist der unklare Schwindel. Mir ist schwindlig - bei diesen Worten seines Patienten öffnet sich beim Hausarzt oft eine diffuse Welt der Verdachtsdiagnosen, und es bedarf eines scharf gestellten Fragenkatalogs, damit der Medicus erste Gewissheit erlangt: Ist es vermutlich das Ohr? Das Auge? Das Gehirn? Der Blutdruck? Das Herz? Das Blut? Sind es Tabletten? Oder der Alkohol? Oder die Seele?

Solche unklaren Fälle sind nicht selten. Zehn Prozent aller Patienten, die ihren Hausarzt aufsuchen, haben mit Schwindel zu kämpfen. Da er mit zunehmendem Alter häufiger auftritt, gibt es viele betroffene Senioren. Rund 30 Prozent der über 65-Jährigen wird fast regelmäßig schwindlig.

Widersprüchliche Informationen Was passiert, wenn einem schwindlig wird? Letztlich handelt es sich um die Folge widersprüchlicher Informationen von Sinnesorganen, also von Ohr, Auge, Gehirn und den Sensoren in Haut, Muskeln, Sehnen. Ist dieses komplexe System gestört, kommt es zu Scheinbewegungen der Umgebung oder des eigenen Körpers. Die Welt scheint sich um einen zu drehen, oder der Boden scheint zu schwanken. Oder schwankt oder dreht man sich etwa selbst? Diese Beurteilung misslingt dem Schwindel-Patienten regelmäßig, dabei liefert die Schilderung der Symptome dem Arzt schon erste Hinweise: Ist es ein Dreh- oder ein Schwankschwindel? Oder ein Liftschwindel, bei dem die Umgebung wie ein Fahrstuhl vor einem auf und ab zu fahren scheint?

Oder ist es, wie so oft, der meistens gutartige Lagerungsschwindel? Nun, das Gleichgewichtsorgan sitzt im Ohr. Dort - im Vorhof der sogenannten Bogengänge - sammeln sich kleine Steinchen: Kalkkristalle. Lösen sie sich und trudeln in die Bogengänge, reizen sie bei Bewegungen die empfindlichen Sinneszellen und lösen einen solch heftigen Schwindel aus, dass die Patienten unter Übelkeit und Erbrechen leiden. Das ist beim gutartigen Lagerungsschwindel fast immer der Fall. Vor allem ältere Menschen haben damit zu kämpfen; es gibt aber Trainingsmethoden mit Lagerungstechniken, die überaus effektiv sind.

Entzündung oder Flüssigkeitsstau Der Arzt wird den Patienten natürlich auch fragen, wie lange ein Drehschwindel andauert. Nervt er über Tage, wird der Mediziner tatsächlich an die Entzündung des Gleichgewichtsnervs denken müssen, die häufig einer Infektion mit Herpes-Viren entspringt. Ist der Drehschwindel mit Druck auf einem Ohr, mit Hörminderungen und einem Tinnitus vergesellschaftet, drängt sich als Diagnose der Morbus Menière auf; dabei sorgt eine krankhafte Druckerhöhung der Innenohrflüssigkeit für die Schwindel-Problematik.

Neurologische Dimensionen Natürlich müssen sich HNO-Ärzte irgendwann auch neurologische Kompetenz sichern, wenn sich andere Krankheiten bei der Diagnostik anbieten: Schwindel etwa als Zeichen einer Migräne, einer Multiplen Sklerose, eines Gefäßverschlusses, einer Epilepsie, einer Hirnhautentzündung oder eines seltenen Tumors im Kleinhirnbrückenwinkel, dem Akustikusneurinom. Auch kündigt sich mancher Schlaganfall - etwa das Wallenberg-Syndrom - durch Drehschwindel und Gangunsicherheit an. Parkinson-Kranke berichten ebenfalls zuweilen über Schwindel-Probleme, ebenso Menschen, die ein Trauma der Halswirbelsäule erlitten haben; am bekanntesten ist das Schleudertrauma.

Fälle für den Internisten Doch der interdisziplinäre Parcours ist längst nicht abgeschritten. Bei einer falsch eingestellten oder neuen Brille oder Augenkrankheiten kann es ebenso zu Schwindel kommen wie bei einer Unterzuckerung (Diabetes mellitus). An Regulationsprobleme des Blutdrucks denkt der Arzt, wenn Betroffenen schwindlig wird, während sie sich aufrichten. Schließlich wird man bei Schwindel, Schwärze vor den Augen und Aussetzern auch einen Kardiologen befragen müssen: Schleppt der Betroffene eine Herzrhythmusstörung mit sich, einen AV-Block, der sich auch mit Schwindel ankündigt? Oder ist er - neue Baustelle - Symptom einer Eisenmangel-Anämie? Auch Schwäche bei Blutarmut kann sich durch Schwindel zu erkennen geben.

Das Schwanken der Seele Wenn der Marsch durch die Instanzen nicht hilft; wenn auch Alkohol oder Medikamente als Ursache auszuschließen sind, gibt es eine letzte Obhut des Schwindels: den Arzt für die Psyche. Oft tritt Schwindel bei Ängsten und Depressionen auf. Somatoformen Schwindel nennt es der Arzt, wenn er keine körperliche Ursache als Grund etwa für eine Gangunsicherheit findet. Zuweilen zieht eine organisch bedingte, doch harmlose Schwindel-Episode eine reaktive Kette penetranter Schwindel-Attacken nach sich, die sich abkoppeln und verselbstständigen. Dabei ist der "phobische Schwankschwindel" nicht selten: Nach dem gutartigen Lagerungsschwindel ist er die zweithäufigste Ursache für Schwindel. Und kann, ist er einmal erkannt, gut behandelt werden.

(w.g.)
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