Polyamorie-Stammtisch in Düsseldorf Wie viele kannst du lieben, Liebster?

Liebe zu dritt, zu viert oder zu fünft – in einer polyamoren Beziehung ist das erlaubt; Fremdgehen bleibt aber ein Tabu. Wie das zusammenpasst, hat sich unsere Autorin beim Besuch des Poly-Stammtisches in Düsseldorf erklären lassen.

Unter Polyamorie versteht man die Liebe zu mehr als nur einem Partner (Symbolbild).

Unter Polyamorie versteht man die Liebe zu mehr als nur einem Partner (Symbolbild).

Foto: Shutterstock/ XPRZY

Liebe zu dritt, zu viert oder zu fünft — in einer polyamoren Beziehung ist das erlaubt; Fremdgehen bleibt aber ein Tabu. Wie das zusammenpasst, hat sich unsere Autorin beim Besuch des Poly-Stammtisches in Düsseldorf erklären lassen.

Marie* ist 30, Studentin und teilt sich eine Wohnung mit ihrem Freund Markus* in einer Stadt am Niederrhein. Ihr Herz allerdings teilt sie auch noch mit Thorsten*, der wiederum in Bayern lebt und sich ebenfalls eine Wohnung mit seiner anderen Freundin teilt. "Das ging damals fast von alleine", sagt sie. "Mit Thorsten war ich einfach schon länger zusammen und noch viel länger befreundet. Als das dann mit Markus losging, habe ich ihm gesagt, es geht nur mit Thorsten oder gar nicht." Drei Tage musste Markus grübeln, dann hat er ohne zu murren eingewilligt. Die Dreiecksbeziehung hält nun schon seit fünf Jahren. "Und uns geht es richtig gut miteinander, manchmal fragen die beiden Männer mich sogar, wann wir uns endlich mal wieder zu dritt treffen", sagt Marie.

Marie und ihre beiden Partner sind polyamor. Das kommt von dem Kunstwort Polyamorie und setzt sich zusammen aus "poly" also "viele" und "Amor" also "Liebe". Heraus kommt eine Lebensanschauung, bei der es in Ordnung ist, mehrere Beziehungen gleichzeitig zu haben.

Wer sich für diesen Liebesstil interessiert, der findet seit einem Jahr eine Anlaufstelle im Vegan-Restaurant Butze in Düsseldorf-Derendorf. Einmal im Monat treffen sich hier Polys, wie sie sich selbst nennen, um sich kennenzulernen und über ihr Anderssein zu reden. An diesem Mittwochabend kommen rund 20 Teilnehmer. Die meisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt, Studenten, viele sind Veganer, leben von Bafög oder dem Geld der Eltern, einige tragen Dreadlocks und sie alle scheint der Lebensstil "alternativ" zu verbinden. Trotz der vielen Gemeinsamkeiten wird auch schnell klar: Jeder Poly liebt anders. Doch wie funktioniert das?

Treue bedeutet Ehrlichkeit

Um das gleich vorweg zu nehmen: Polyamore sind keine Swinger. Sie treffen sich nicht in Saunaclubs, mieten keine SM-Keller und meistens feiern sie auch keine Orgien. Ein Dreier, das kann schon mal vorkommen. Sex außerhalb der Partnerschaft sowieso. Doch Sex steht bei der Polyamorie nicht im Vordergrund.

"Statt einem einzigen Partner haben Polys mehrere. Ob es sich dabei um mehrere Beziehungen handelt, um mehrere intensive Freundschaften oder auch Freundschaften plus hängt von den Beteiligten ab", sagt Marie. Funktionieren kann das nur, weil sich die Poly-Gemeinschaft eine andere Definition von Treue gebastelt hat.

"Treue ist für uns, wenn man ehrlich zueinander ist — wenn man den Partner nicht anlügt, sondern ehrlich sagt, was man mit anderen macht", sagt Steffen Prohn, Philospohie-Student, 32 und Initiator des Stammtisches. Anstatt körperliche Besitzansprüche zu stellen, wie Prohn es nennt, entstehe Treue bei Polyamoren durch offene Gespräche. In denen muss geklärt werden, ob man mit anderen etwas anfängt und unter welchen Bedingungen. Später wird darüber geredet, wie es war - und das ausführlich. Manchmal setzt sich dafür sogar die neue Flamme mit an den Tisch. Für die meisten Monos, wie monogam Lebende hier genannt werden, ein unvorstellbares Konzept. Aber Polys sind sich sicher: Das schafft eine Vertrauensbasis, die Trennung vermeidet.

Der schwierige Weg bis zum Poly-Pärchen

Trotzdem, wer den Poly-Pärchen heute Abend länger zuhört, hat den Eindruck, Multi-Liebe ist zumindest für einige wie ein Pilzgericht, das man probiert, weil es die Lieblingsspeise vom Schatz ist — obwohl man die labbrigen Dinger eigentlich nicht mag.

So war es jedenfalls zwischen Jenny* (21) und Klaus* (23). Drei Monate lang mussten die beiden hart arbeiten, um sich nicht trennen zu müssen. "Als mir Jenny sagte, dass sie eine offene Beziehung führen will, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Man hat ja eigentlich gedacht, die Welt ist rosarot und alles passt, und dann kommt so etwas", sagt Klaus. "Will sie mich abschaffen? Bin ich ihr nicht genug? Ist sie unzufrieden mit unserer Beziehung? Will sie fremdgehen?"

Es sind Fragen, die sich jeder am Tisch gestellt hat, als ihm die Poly-Liebe vorgeschlagen wurde. Wie lange es braucht, um den Vorschlag zu verdauen, ist unterschiedlich. Für Klaus waren es zwei Monate, viel Internetrecherche, viel Lektüre — und das Ultimatum, das ebenfalls Teil jeder Poly-Pärchen-Geschichte zu sein scheint: entweder Multi-Love oder gar keine Liebe.

Klaus gab nach. Sein Credo jetzt: "Jede Beziehung ist anders — auch wenn man sie parallel führt. So muss man das sehen, sonst kann man das nicht leben", sagt er. Kernbeziehung nennen Jenny und Klaus ihre Partnerschaft. Jede Liebelei daneben ist zweitrangig. Es gibt auch noch andere Poly-Konzepte am Tisch. Mancher bezeichnet sich als Beziehungsanarchist und schafft somit jedwede Beziehungsbezeichnung und —hierarchie ab. Andere sagen, für sie sei jede Beziehung gleichwertig, also auch gleich wichtig. Es kann aber auch passieren, dass nur einer poly wird und der andere weiterhin monogam bleibt.

Trotz all dieser geistigen Stützräder ist Eifersucht auch bei Polys ein Thema. "Es gibt gute Tage, an denen ich sagen kann, mach was du willst. Und schlechte Tage, an denen ich es einfach nicht ab kann. Aber man lernt, das auf Dauer zu kontrollieren", sagt Klaus.

Was er dagegen wirklich genießt, ist, wie sehr sich Jenny seit der neuen Abmachung auf ihn einlässt. "Ich hätte vorher zum Beispiel niemals darüber nachgedacht, mit ihm zusammenzuziehen, weil ich mich in einer Mono-Beziehung ohnehin wie in einen Käfig gesperrt fühlte", sagt Jenny. Es ist die Freiheit im Kopf, die ihre Kernbeziehung wieder sexy gemacht hat. Treu sein können, aber nicht müssen. Findet zumindest Jenny.

Noch so eine Sache, die alle hier verbindet: Wie man liebt, wird als Selbstausdruck empfunden. Bleibt er verwehrt, fühlt man sich unglücklich, unausgeglichen, missverstanden. "Deswegen sind wir auch der Schwulen-, Lesben- und Transgender-Szene sehr verbunden. Alles was sich gut und richtig anfühlt, ist erlaubt und wird akzeptiert — so lange niemand verletzt wird", sagt Steffen Prohn.

Wer wild baggert, fliegt raus

Deswegen will er nun auch ein Regelwerk für den Stammtisch erstellen. "Was zum Beispiel nicht geht, ist, nur hierher zu kommen, um seine Frau zu betrügen." Wer nur teilnimmt, um Sex-Partner zu finden, ist ebenfalls unerwünscht. Wer andere am Stammtisch unangenehm anbaggert, fliegt raus. Wer positiv auffällt, ist dagegen eingeladen, bei anderen Aktivitäten wie dem Poly-Radeln mitzumachen. Man mag das plötzlich doch wieder als konservativ empfinden, aber den Polys geht es um zwischenmenschliche Harmonie. Das Wort fällt den Abend über immer wieder.

Aber wie jede Romantik hat auch diese ihre Grenzen. "Denn Polysein bietet zwar viele Freiheiten, aber es ist auch unheimlich anstrengend", sagt Marie. "Natürlich würde ich gerne jeder Zeit alle lieben, auf die ich Lust habe, einfach so ohne Probleme. Aber die menschliche Natur macht da nicht mit." Die absolute Hingabe an den anderen, nach der man sich in einer Beziehung doch sehnt, fehle bei dem Konzept. Grenzenloses Vertrauen wäre ebenfalls schwierig. Man müsse unheimlich viele Gespräche führen. "Und es ist organisatorisch ein ziemlicher Aufwand."

Was ist denn mit dem Thema Kinderkriegen? Nein, sagt Steffen Prohn, das sei ihm nicht wichtig. Ein Ehepaar, das sich auf einem Poly-Stammtisch kennen und lieben gelernt hat, versteht gar nicht, wieso Kinder kriegen bei Polys anders laufen soll als bei Monos. Marie allerdings hat auch auf diese Frage eine sehr spezielle Antwort: Sie will schon Kinder, nur ihr Freund in NRW nicht. Deswegen würde sie dafür gerne mit ihm nach Bayern umziehen und dort mit Thorsten Kinder kriegen. Dessen Freundin will nämlich auch keine Kinder. "Und so hätte jeder, was er will, und am Ende gäbe es eine große Patchwork-Familie, in der sich alle verstehen", sagt Marie.

*Namen von der Redaktion geändert

(ham)
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