Kardiologie Stents der Zukunft lösen sich von allein auf

Mönchengladbach · Kardiologen arbeiten immer häufiger mit innovativen Medizinprodukten – jetzt beispielsweise mit bioresorbierbaren Stents bei verstopften Herzkranzgefäßen. Experten sprechen von einer Revolution. Skepsis besteht wegen der Kosten.

Kardiologen arbeiten immer häufiger mit innovativen Medizinprodukten — jetzt beispielsweise mit bioresorbierbaren Stents bei verstopften Herzkranzgefäßen. Experten sprechen von einer Revolution. Skepsis besteht wegen der Kosten.

Der Arzt der Zukunft arbeitet mit Hochdruck daran, die Spuren seines Wirkens zu verwischen. Niemand soll mehr sehen können, dass er überhaupt zugange war. Dieses ehrgeizige Ziel hat aber nichts mit Tarnung oder gar schlechtem Gewissen zu tun — es soll vielmehr dem Patienten zugute kommen.

In der Kardiologie ist es seit einiger Zeit möglich, Herzklappen auf dem Weg durch die große Körperschlagader einzusetzen — Öffnung des Brustkorbs ist nicht mehr vonnöten. Auch bei den oft zur Lebensrettung bei akuten (oder vor drohenden) Herzinfarkten eingesetzten Stents — Gefäßstützen aus Edelstahl — hat es eine kleine Revolution gegeben, die das Potenzial zu einer großen hat. Neuerdings können Kardiologen diese Geflechte, die ein verengtes Herzkranzgefäß (Stenose) offenhalten, aus einem Stoff einbauen, der sich im Körper selbst auflöst, wenn er seine Funktion lange genug ausgeübt hat. Ausdruck des Zeitenwechsels ist, dass dieser neue Stent im Branchenjargon gar nicht mehr so heißt, sondern nur noch: Gerüst (scaffold).

Das Metall weicht einem biologischen Material aus Polymilchsäure, das in zwei Jahren vom Körper vollständig resorbiert wird. Wie die oft üblichen Stents ist das Bio-Gerüst mit einem Medikament beschichtet, das die Wiederverengungs-Rate nach einer Implantation mindert. Stefan Baumanns, kardiologischer Oberarzt am Krankenhaus St. Franziskus in Mönchengladbach, sagt: "Der Vorteil im Vergleich zu den Metallstents besteht tatsächlich darin, dass langfristig kein Fremdmaterial im Körper bleibt. Der Scaffold eignet sich vor allem für die Behandlung von langstreckigen Verengungen von einer Länge über 30 Millimetern." Die Aussichten gehen noch weiter: Die Wand des Gefäßes bleibt nicht metallisch versteift, sondern kann sich, wenn das Bio-Gerüst verschwunden ist, wieder im Herzschlag krümmen. Skeptikern sei gesagt: Die Wand bleibt stabil und fällt nicht in sich zusammen, auch wenn das Gerüst weg ist.

Natürlich klingt das wunderbar: erkrankte Herzkranzgefäße, die plötzlich wie neu aussehen und Herzgesundheit suggerieren. Aber wer die scharfe Brille aufsetzt, der erkennt: Ein verengtes oder gar verschlossenes Gefäß wird nicht dadurch gesund, dass biomedizinischer Trickreichtum heile Verhältnisse vorgaukelt. Eine Stenose ist Zeichen einer krankhaften Veränderung im gesamten Gefäßsystem, die sich vermutlich auch an anderen Orten des Körpers zeigt: in den Beinarterien, in der Halsschlagader, bei den Gefäßen im Auge — überall. Und über Jahre erworbene Defekte, die durch Diabetes, Bluthochdruck oder Zigaretten eifrig genährt wurden, lassen sich nicht rückgängig machen, auch wenn eine Bio-Gefäßkorrektur im Herzen nach zwei Jahren Jungfräulichkeit zu simulieren scheint. Das Herzkatheterlabor ist kein Gesundbrunnen.

Deshalb müssen Kardiologen vielen Herzpatienten, die jetzt aus verständlicher Sehnsucht nach möglichst maximaler Reparatur von dem neuen Bio-Stent schwärmen, eine Absage erteilen. Wenn die Enge an einer Stelle eintritt, wo ein größerer Gefäßast abzweigt, der ebenfalls nur noch wenig Blut durchlässt, wird der neue Stent der Firma Abbott keine Verwendung finden. Auch einem stark verkalkten Gefäß wird man keinen zarten Bio-Stent gönnen. Er wäre vergeudetes Geld, weil in unwirtlicher Umgebung der Scaffold-Stent selbst zu leiden droht.

Andererseits könnten gerade gefährdete Herzpatienten von dem neuen Produkt profitieren, weil im Fall eines späteren herzchirurgischen Eingriffs — etwa bei der Bypass-OP — die alten Stents ein natürliches Hindernis darstellen: Auf ein Gefäß, das von vorn bis hinten durch Stents getunnelt ist, kann kein Arzt einen Bypass aufnähen. Mit dem Bio-Stent dürfte das unproblematisch sein.

Diese fein gewirkten Maschenzäune aus Milchsäure haben in Studien, so Baumanns, "ähnliche Langzeitergebnisse wie die normalen Stents ergeben". Der Bio-Stent sei vorerst "nur in limitierten Größen verfügbar, das Sortiment soll aber erweitert werden". Die medikamentöse Nachbehandlung zur Blutverdünnung mit Thrombozyten-Aggregationshemmern (ASS, Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor) unterscheidet sich nicht von der nach der Implantation anderer Stents.

Die Hoffnung auf eine Revolution ist groß. Experten glauben, dass der Scaffold-Stent alle Vorläufermodelle in wenigen Jahren ablösen wird. Aber für eine zuverlässige Aussage fehlen Langzeitdaten großer Patientengruppen. Und man wird auch genau prüfen, ob die Euphorie wirklich durch eindeutige Überlegenheit im Vergleich mit herkömmlichen Stents gedeckt ist. Sonst wäre der Bio-Stent nichts anderes als kardiologische Kosmetik.

(RP)
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