Sprechstunde Tiefe Wunde ohne Blut

Posttraumatische Belastungsstörungen betreffen nicht nur Menschen aus Kriegsgebieten. Auch ein Überfall oder eine Vergewaltigung lösen sie aus.

Unser Leser Martin L. aus Viersen fragt: "Mein 22-jähriger Sohn wurde in der Kölner Altstadt von mehreren Männern überfallen und verprügelt. Außerdem wurden ihm die Brieftasche und das Smartphone geklaut. Seitdem hat er sich deutlich verändert. Wir machen uns als Eltern große Sorgen, was können wir tun?"

Jürgen Vieten Der Patient muss immer wieder über das unfassbare Ereignis nachgrübeln, seine Gedanken kreisen, verstärkt bei Erschöpfung. Er hat Alpträume. Er möchte über das Ereignis berichten, dabei geht es ihm aber regelmäßig schlechter anstatt besser. Denkt er daran, dann erlebt er die unbegreiflichen Szenen noch einmal plastisch ("Kopfkino"). Das Herz rast, er schwitzt und zittert. Andere wollen ihm helfen, hören zu, trösten, zeigen Verständnis. Aber es nützt nichts wirklich, er kommt nicht weiter.

Irgendwann verliert man etwas die Geduld mit ihm, Freunde ziehen sich zurück, Familienmitglieder gehen ihm aus dem Weg. Der Patient spürt Isolation, das macht ihm Angst, er versucht, eine gute Miene aufzusetzen, seine Gedanken zu unterdrücken, wegzuschieben, seine Gefühle zu kontrollieren und zu beherrschen, er will die Anderen ja nicht vertreiben, braucht sie mehr denn je. Er fühlt sich verwundet, hilflos, ratlos.

Jetzt leidet er an einer posttraumatischen Belastungsstörung . Diese kann einfach oder komplex sein, wie ein Boxer, der sofort oder erst nach zwei, drei Schlägen hintereinander k.o. geht.

Was kann ihm helfen? Es gibt erfolgreiche psychotherapeutische Methoden. Wichtig ist, ihm sofort oder so früh wie möglich ein neues Sicherheitsgefühl zu ermöglichen; er muss wieder das Gefühl von Selbstkontrolle und Hoffnung erlangen. Das geht über Techniken wie etwa EMDR. Dies bedeutet "Eye Movement Desensitization and Reprocessing", was auf Deutsch Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung bedeutet. Diese in den USA entwickelte Psychotherapieform dient der Behandlung von Traumafolgestörungen.

Mit dieser Therapieform lernen die Patienten, einen "sicheren inneren Ort" zu finden; sie lernen, von den Vorgängen unter Entspannung wiederholt zu berichten; so lässt sich die soziale Sicherheit wieder herstellen. Manche Länder setzen gerne Medikamente ein (etwa Antidepressiva); manchmal lindern sie die Beschwerden vorübergehend. Panik und extremer Stress haben jedoch unser "inneres Puzzle" zerstört, wir brauchen Hilfe beim Zusammenfügen, das schafft die pharmakologische Chemie nicht.

Verzichtet ein Betroffener auf professionelle Hilfe, verschlechtert sich die Lebensqualität, in Einzelfällen sogar bis zum Suizid.

(RP)
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