Redensarten und Medizin Warum läuft die Laus ausgerechnet über die Leber?

Düsseldorf · Unser Sprachschatz kennt viele Redensarten, in denen der Körper und dessen Funktionen eine zentrale Rolle spielen. Blöde Sprüche sind kaum darunter.

 Früher dachten die Menschen, die Leber sei der Sitz unserer Emotionen.

Früher dachten die Menschen, die Leber sei der Sitz unserer Emotionen.

Foto: dpa, Karolina Rezac

Unser Sprachschatz kennt viele Redensarten, in denen der Körper und dessen Funktionen eine zentrale Rolle spielen. Was ist passiert, wenn man auf dem Zahnfleisch geht? Und warum läuft die Laus ausgerechnet über die Leber?

Bitte mal alle melden, denen heute schon eine Laus über die Leber gelaufen ist. Sie werden gebeten, den Parasiten einzusammeln und im Fundbüro für medizinische Redensarten abzugeben. Man sucht ja vergebens nach der Laus, vor allem auf internistischem Feld. Sie ist wörtlich zum "running gag", zu einem Spruch geworden, von dessen Herkunft kaum jemand etwas weiß. Viele solcher Bonmots gibt es, die mit unserem Alltag, unseren Emotionen, unserem Körper zu tun haben. Die meisten sind durch Selbstbeobachtung und deren sprachliche Verlängerung entstanden; manche aber haben eine spannende Herkunft.

Die Haut begreifen wir gern als Hülle, dabei ist sie unser größtes Organ und steckt voller Eigenschaften. Sie ist sensibel, denn durch sie tritt der Angstschweiß nach außen. Jemand erblasst vor Neid, andererseits kann man auch gelb oder grün vor Neid werden (farblich herrscht da in der Volksmedizin Uneinigkeit). Die Empfindlichkeit der Haut vermittelt sich in ihrer Angreifbarkeit, denn jemand bekommt die Krätze (ein altes Generalübel der Menschheit, das derzeit wieder akut wird), weil er sich ärgert. Ähnlich bekannt ist der dermatologisch relevante Fluch: "Da bekomme ich Herpes!" Ärger kann so weit gehen, dass sich einem die Fußnägel hochrollen. Doch auch Übermut bekommt die Haut zu spüren: Jemanden sticht der Hafer.

Mit Haut und Haaren fressen Liebende einander gern, es soll nichts übrig bleiben vom anderen, eine Form von amourösem Kannibalismus. Streitende fangen ebenfalls gern mit den Haaren an, denn sie kriegen sich in die Haare, leider auch dann, wenn Kleinigkeiten sich zu einer haarigen Angelegenheit auswachsen, wegen der man sich die Haare rauft oder graue Haare bekommt. Bei manchem stellen sich auch die Nackenhaare auf.

Im Kopf, so denkt der Mensch seit alters her, wird schwere geistige Arbeit verrichtet, so dass in verschärften Situationen jemandem der Kopf raucht. Schlimm, wenn man den Kopf verliert (eine Variante von: den Überblick verlieren), sich kopflos in ein Manöver stürzt oder sich dann, wenn man es rechtfertigen soll, um Kopf und Kragen redet. Wenn der Kopf nicht nur Sitz des Geistes, sondern auch eine gut erreichbare Angriffsfläche für Beleidigungen oder Kränkungen bietet, heißt es, man ist wie vor den Kopf gestoßen.

Die Sinnesorgane als Instrumente unseres Umweltkontaktes sind naturgemäß mit vielen Sprüchen belegt. Das Auge ist dabei prominent vertreten. Zunächst ist es das Organ des Staunens: Man macht große Augen, es können einem die Augen ausfallen, vor allem, wenn einem das Gegenüber unerwartet schöne Augen macht. Aus der Welt der Selbstjustiz durch Prügeleien ist die Formulierung entlehnt, dass einer mit einem blauen Auge davongekommen ist. Der klare Blick trübt sich allerdings leicht, etwa beim Lachen oder Weinen, da man gemeinhin Tränen in den Augen hat.

Weil übrigens Tränen salzig schmecken, wurde irgendwann der linguistische Bastard gezeugt, man habe Pipi in den Augen.

Weiterhin ist dem Auge logischerweise Blindheit aller Arten vorbehalten: Man ist blind vor Liebe oder blind vor Wut; die Kontrollinstanzen im Gehirn versagen dem Auge ihre Mitwirkung. Woran das liegt? Das limbische System im Hirn ist mit den emotionalen Reizen verbunden, und zwar schneller, als das zum Abwägen bevollmächtigte Frontalhirn gegensteuern könnte. Solche Zügellosigkeit der Reizsituation führt dazu, dass man auf einem Auge blind ist, eine Trübung der Erkenntnis, die leider Vorsatz sein kann. Beliebt ist bei anhaltender Begriffsstutzigkeit die - aus der Gärtnerei entlehnte - Formulierung, man habe Tomaten auf den Augen.

Wenn dann aber Hellsichtigkeit einsetzt, ist die Bibel ein schöner Metaphernspender: Die Apostelgeschichte (Apg 9,18) erzählt die Legende, dass der temporär erblindete Saulus wieder sehend wird, als ihm Jesus als Heilkundiger anempfohlen wird: "Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend." Zuweilen wird Blindheit sprachlich aber auch als Grundlage schönsten Vertrauens konnotiert: wenn zwei einander blind verstehen.

Einen einseitigen Verlust von Sinneskompetenz gibt es auch beim Ohr, wenn von einem gesagt wird: "Auf dem Ohr ist der taub!" Er will etwas nicht hören, auch wenn sein Hörtest beidseits perfekt ausfällt. Anders verhält es sich, wenn einer Bohnen in den Ohren hat: Hierbei handelt es sich nicht um vegetarische Ohrstöpsel. sondern um eine offenkundige Unzugänglichkeit des Hörenden. Ihm scheint, so sagt es das Sprachbild, der äußere Gehörgang zugewachsen. Hauptsache, die Bohnen kommen ihm nach Genuss nicht wieder zu den Ohren heraus.

Über solche Leute, mit denen man nur schlecht kommunizieren kann, schlackert man schon mal mit den Ohren. Umso schöner, wenn diese Phase der Schwerhörigkeit endet und einer voller Kommunikationslust sagen kann: "Du, ich bin jetzt ganz Ohr!"

Abneigung entsteht gar nicht selten als Ergebnis olfaktorischer Unverträglichkeit: Ich kann dich nicht riechen. Während der eine mit Deodorant oder verbesserter Hygiene einiges ausrichten könnte, sollte sich der andere sicherheitshalber an die eigene Nase packen: Riecht er denn selbst besser?

Ärger sucht den Körper an vielen Orten heim: auch im Hals, der Engstelle zwischen Kopf und Rumpf, durch die Kabel aller Arten laufen. Wenn da etwas anschwillt (und es ist nicht die Schilddrüse oder eine anaphylaktische Situation), handelt es sich um Ärger: Man hat den berühmten dicken Hals (oft verkürzt zu: "Ich hab 'nen Hals"). Wenn andere Organe in den Hals vordringen, scheinen Emotionen ebenfalls nicht beherrscht, etwa wenn einem das Herz bis zum Hals schlägt.

Über- oder untersteigerte Gefühle? Reden wir hier kurz von den Lippen, weiteren Trägern der Sinnlichkeit und der Gefühle. Der eine riskiert eine dicke Lippe (ist also ein Aufschneider vor dem Herrn), der andere wird schmallippig, also ziemlich wortkarg.

Interessanterweise ist die Zunge etymologisch mit der Lüge verbunden. Das kommt natürlich aus dem Buch Genesis (die züngelnde Schlange als Botin der Falschheit), weswegen nicht nur bei Karl May und seinen indianischen Brüdern zuweilen die gespaltene Zunge erwähnt wird.

Mancher lässt das Reden aber lieber sein, denn er könnte sich bei einem delikaten Thema die Zunge verbrennen. Wer sich ein eisernes Schweigegelübde auferlegt hat, der beißt sich eher die Zunge ab, als dass er etwas ausplaudert.

Empfindlichkeit ist auch den Zähnen eigen. Da liegen die Nerven blank, wenn der Dentist bei einer fetten Karies tief bohren muss oder wenn die Modekrankheit der Moderne, die Parodontose, um sich greift und Zahnhälse frei liegen. Wer eine Wurzelbehandlung hinter sich hat, geht noch Tage danach ermattet auf dem Zahnfleisch.

Die Zähne scheinen volksmedizinisch aber auch Teil der körpereigenen Rüstungsindustrie: Jemand ist bis an die Zähne bewaffnet. Ob der Satz die Zähne einschließt oder nicht, tut nichts zur Sache. Es geht um die Terminologie jener Abschreckung, wie wir sie vom "Hund von Blackwood Castle" oder von James Bonds "Beißer" kennen (der sich nur ungern auf den Zahn fühlen lässt). Von vergeblich Erfolgshungrigen kennen wir selbstverständlich den Spruch, dass sie sich an etwas die Zähne ausbeißen.

Machen wir einen kleinen Ausflug ins orthopädische Fach, so müssen wir feststellen, dass die Extremitäten vom Volksmund deutlich benachteiligt werden. Gut, wir kennen es von den Helden der Arbeit, dass sie Probleme schultern, also sich aufladen, wie es Packesel tun. Elegantere Vorgänge sind den Händen vorbehalten: Jemand wird, wenn er Glück hat, auf Händen getragen oder, wenn er Pech hat, um den Finger gewickelt.

Apart, dass ausgerechnet das Knie emotional beladen wird: wenn einer weiche Knie bekommt oder in die Knie gezwungen wird - bis zur Kapitulation. Andererseits, man beachte die Präposition: Wer vor einem anderen auf die Knie geht, steht Sekunden vor dem wichtigsten Antrag seines Lebens. Jetzt ist es erst recht wichtig, dass er keine Beine wie Blei hat.

Tja, die über die Leber gelaufene Laus: die heitere Vorstellung eines kleines Wesens auf einem großen Leberhügel. Der Betroffene ist unleidlich. Der Spruch rührt aus der alten Anschauung her, dass die Leber der Sitz unserer Emotionen und die Galle ein wichtiger Leibessaft ist. Und wem eine Laus über die Leber gelaufen ist, der ist emotional nicht in bester Verfassung - dabei ist es eine Lappalie (eine Laus!), die für den Kummer verantwortlich ist. Was die Galle betrifft: Sie kann man spucken wie Gift. Als Sekretvorstufe ist der Moment des Ärgerns bekannt: Einem läuft die Galle über.

Der große Aristoteles hat mit dem Herzen eine feine Metapher verbunden: die vom "springenden Punkt". Er meinte jenen pulsierenden roten Fleck, der im befruchteten Hühnerei nach dem dritten Tage der Bebrütung mit bloßem Auge zu erkennen ist, als erstes Zeichen des Lebens: Die Herzanlage des Embryos wird sichtbar.

Wenn es dem Herzen gut geht, dann auch dem ganzen Menschen; dann fällt ihm ein Stein vom Herzen. Dann herrscht Sonne im Herzen, oder einem wird warm ums Herz. Gern ist das Herz übervoll, und in solchen Bedrängungen kennt uns Menschen Jesus Christus wieder mal am besten: "Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über", heißt es etwa im Matthäus-Evangelium (Mt 12,34). Hoffen wir, dass die Füllmenge aus lauter Gutem besteht, wie vom Gottessohn gewünscht.

Andererseits zeichnet sich das Herz auch durch eine gewisse Schlagkraft und Mobilität gerade auch bei starker emotionaler Belastung aus: Es kann in die Hose rutschen. Bekannt ist auch die Formulierung, dass man sich etwas zu Herzen nimmt.

Auch unser Bauch hat ein Hirn, weiß die Medizin. Dort fühlt man Schmetterlinge, doch kann einem auch etwas auf den Magen schlagen, oder der Magen kann sich umdrehen. Hübsch ist die Herkunft des Wortes vom Muffensausen: Jenes Rohr, die Muffe, meint nichts anderes als den Darmausgang, durch den unerwünschte Winde entwichen können.

Deftiger ist die Formulierung, einem Ängstlichen geht der Arsch auf Grundeis. Dann doch lieber vor Angst in die Hose machen.

(w.g.)
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