Neue Generation Winzer Start-up-Unternehmen: "Geile Weine"

Mainz/Weinsberg · Nussig im Abgang, auf Kalkboden gediehen, ganz klar Südhang - über Wein lässt sich bestens im Fachchinesisch parlieren. Locker kommt man dabei selten rüber. Eine neue Generation Winzer und Weinhändler will das ändern.

Das gehört zur Arbeit eines Winzers
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An den Weinbau, wie ihn deutsche Heimatfilme oder Gourmet-Reiseführer beschreiben, erinnert in Sedat Aktas' Räumlichkeiten nur ein Schild mit der Aufschrift "Wein aus deutschen Landen". Keine Porträtbilder von Winzern, die Trauben gegen die Sonne halten oder ein dickes Fass streicheln. Stattdessen steht in dem Altbau ein Holztisch mit Stühlen, von denen keiner dem anderen gleicht. Wer die Cafés in den Szenevierteln von Berlin mag, fühlt sich zu Hause. Aktas lebt aber in Mainz. Und um Weine geht es dort Tag für Tag - genau genommen um "Geile Weine".

So heißt sein Start-up, mit dem er seit gut eineinhalb Jahren Wein verkauft. Die Firma schwimmt auf einer Welle mit, die durch die Branche schwappt. In vielen Weingütern hat sich ein Generationswechsel vollzogen, der mit einer anderen Sprache und einer anderen Optik einhergeht. "Wir wollen Leute ansprechen, die den Zugang zu dem Produkt sonst nicht so haben", sagt Aktas. Die nicht wissen, was "Parker-Punkte" oder der Gault-Millau sind. Oder wie es Aktas ausdrückt: "Was zum Teufel ist Gault-Millau?"

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Zu haben ist heutzutage "Dreck und Speck", ein Weißwein, der vor der Gärung nicht geklärt wurde. Oder der "Blutsbruder" vom Weingut Karl May (Rheinhessen), der an die Indianer-Schmöker des gleichnamigen Schriftstellers erinnert. Mit dem "Pornfelder" (Pfalz), einer Komposition aus Portugieser und Dornfelder, wurde Jungwinzer Lukas Krauß zum Rockstar der Szene. Der "Wildwuchs" von Alexander Link (Weingut Wolf, Württemberg) trägt seinen Namen, weil Schafe die Reben stutzen.

Der traditionsbewusste Weintrinker fragt an dieser Stelle: Muss das sein? "Der erste Kontakt ist ein visueller", sagt Aktas. Danach komme der Geruch und am Ende der Geschmack. Optik und keckes Gehabe allein reichten natürlich nicht aus. Am Ende müsse alles passen. Es gebe aber schon einen gewissen Zusammenhang zwischen Aussehen und Verkauf.

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Foto: dpa, rho kno cul

Die "Geile Weine"-Kunden seien zu 90 Prozent zwischen 20 und 45 Jahre alt. Älter sind auch die Winzer der neuen Generation nicht. In Württemberg haben sie sich unter Wein.im.Puls zusammengeschlossen. Auf die Frage, wie man sich optisch unterscheide, antwortet Jungwinzer Christian Seybolt: "Wir sehen deutlich jünger aus." Die Jüngsten sind 18, die meisten zwischen 25 und 35 Jahre alt - "fertig mit der Winzerlehre oder dem Weinbaustudium und hochmotiviert", sagt Seybolt.

Weine werden optisch jünger

Grelle pinke und grüne Verschlüsse peppen den klassischen Schriftzug auf, andere kombinieren neu und retro, um dem Stil der älteren Generation treu zu bleiben. "Es gibt auch immer mehr Quereinsteiger, deren Familien vorher nichts mit Wein zu tun hatten", sagt Seybolt. Beim Wein vollzieht sich eine Entwicklung, die auch bei Gin oder dem Craft Beer zu beobachten ist: Lebensmittel werden Gegenstand der jungen Kultur. Individualität ist das Stichwort. Nur dass es in der Weinbranche sehr schrill wirkt. Sprüche wie "Wenn Sie rassistisch, ein Terrorist, oder einfach nur ein Arschloch sind, trinken Sie nicht meinen Sauvignon Blanc" (Pfälzer Weingut Emil Bauer & Söhne) auf der Flasche polarisieren.

"Ich sehe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einem lachenden, weil sich so viele um einen frischeren Auftritt bemühen, was gut ist", sagt Robert Göbel, Professor an der Hochschule Geisenheim für strategisches Management und Beratung. Auf der anderen Seite bleibe oft Authentizität auf der Strecke. "Die permanente Neuerfindung geht zulasten der Glaubhaftigkeit und kostet Geld."

"Der Wilde", "Der Held", "Der Franke"

Andi Weigand hat den Stilwechsel trotzdem gewagt. Der 24 Jahre alte Franke krempelt seit einem Jahr das elterliche Weingut in Iphofen (Unterfranken) um und verkauft nun Wein wie "Der Wilde", "Der Held" und "Der Franke". "Ich mache das, weil ich denke, dass der Wein genau so ist", sagt Weigand. Wein sei weder kompliziert noch altbacken. Natürlich sei zu Hause erst mal Überzeugungsarbeit notwendig gewesen. Jetzt ziehe auch Papa mit. Und noch etwas unterscheidet die Jungwinzer von ihren Eltern: ihre Reiselust. "Es gehört heute zum Standard, im Ausland unterwegs zu sein", sagt Seybolt - Kalifornien, Südafrika, Australien und Neuseeland statt Frankreich und Italien. "Wir gehen weg vom Traditionellen - alles ist möglich."

(RP)
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