Analyse zur Entscheidung des BGH Rücksicht ist erste Raucherpflicht

Düsseldorf · Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Streit zwischen rauchenden und nichtrauchenden Wohnungsnachbarn weist einen Weg zum vernünftigen Ausgleich zwischen Streithähnen. Mehr nicht.

Die einen werden sagen, der Bundesgerichtshof (BGH) habe am Freitag eine weise Entscheidung zum Interessenausgleich zwischen Rauchern und Nichtrauchern getroffen. Die anderen werden einwenden, das Urteil des fünften Zivilsenats des BGH in Karlsruhe (Az.: V ZR 110/14) vernebele die Rechtslage, anstatt sie aufzuhellen, und es sei im Übrigen nicht geeignet, Rechtsfrieden zu schaffen, was doch zu den vornehmsten Aufgaben von Richtersprüchen, letztinstanzlichen zumal, gehört.

Die Crux dieses BGH-Spruchs hängt auch damit zusammen, dass der Senat zwar Wegweisendes, Grundsätzliches zu einem Aspekt des Miet- und Nachbarschaftsrechts formuliert hat. Die konkrete Entscheidung aber, wie ein gerechter Ausgleich zwischen zwei streitenden Mietparteien herzustellen sei, von der die eine ihren Balkon zum Rauchen nutzt, die andere auf dem Balkon darüber sich den aufsteigenden Tabakrauch verbittet, die hat der BGH zurück in die Hände des Landgerichts Potsdam gelegt. Von der dortigen Berufungsinstanz war die Streitsache nach Karlsruhe gelangt.

Immissionen wie Lärm, Gerüche oder eben Rauch

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Gerichtsentscheidungen, die es den Fans womöglich allabendlichen Grillens aufgeben, die Immissionen von Holzkohlenrauch und Bratwurstgeruch aus Rücksicht vor sich belästigt fühlenden Nachbarn einzuschränken beziehungsweise zu bestimmten Tageszeiten zu vermeiden, wiesen dem BGH den argumentativen Weg. Das hohe Gericht in Karlsruhe stellte fest, dass grundsätzlich jeder Mieter als juristischer Besitzer (nicht Eigentümer) seiner Wohnung gegenüber demjenigen, einen Anspruch auf Unterlassung der Störung hat, der ihn in seinem Besitz durch Immissionen wie Lärm, Gerüche oder eben Tabakrauch stört.

Nebenbei: Dieser Mieteranspruch gilt auch für den Fall, dass unter ihm der Hauseigentümer eine Wohnung bezogen hat und meint, er dürfe auf dem Balkon rauchen, grillen, Trompete blasen oder selbst im Mondschein die Fiedel kratzen, wie es ihm gefällt.

Auch wenn es der Vermieter seinem Mieter vertraglich ausdrücklich zugesichert hat, dass in der gemieteten Wohnung geraucht werden darf (wobei Balkon beziehungsweise Terrasse Teil der Wohnung sind), könnte ein Dritter, also beispielsweise ein Mieter-Nachbar im selben Haus, auf Unterlassung der Immissionen bestehen. Denn Vermieter und Mieter, die sich einig sind, was etwa das Rauchen betrifft, hätten einen Vertrag zu Lasten Dritter geschlossen. Und der wäre unwirksam. Der BGH sagte es so: Vertragliche Vereinbarungen zwischen einem Mieter und seinem Vermieter rechtfertigen nicht die Störung Dritter.

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Rauch als "wesentliche Störung"?

Nun kommen Lebensklugheit und Nachbarschaftsgeist ins knifflige juristische Spiel: Der Abwehranspruch ist ausgeschlossen, wenn die mit dem Tabakrauch verbundenen Beeinträchtigungen nur unwesentlich sind. Das — so führt es die höchstrichterliche Rechtsprechung aus — sei anzunehmen, wenn die Beeinträchtigungen auf dem Balkon des sich gestört fühlenden Mieters "nach dem Empfinden eines verständigen durchschnittlichen Menschen nicht als wesentlich empfunden werden". Das soll gewährleisten, dass nicht jeder notorische Nörgler unter Angabe fadenscheiniger Gründe seinem unmittelbaren Wohnungsnachbarn das Leben zur Qual machen kann.

Das Landgericht Potsdam, an das die Angelegenheit zurückverwiesen wurde, muss nun im Lichte der BGH-Entscheidung Folgendes klären: Ob die Kläger in ihrer Balkonwohnung auf der ersten Etage geltenmachen können, dass a) die Tabakrauch-Belästigung vom Balkon der Parterrewohnung eine "wesentliche" darstellt; und b), ob im konkreten Fall womöglich gesundheitliche Gefahren durch den aufsteigenden Tabakrauch ausgehen. In diesem Fall, so der BGH, käme es nicht einmal mehr darauf an, ob der Rauch als "wesentliche Störung" einzuschätzen ist. Dazu eine Passage aus dem Urteil: "Immissionen, die die Gefahr gesundheitlicher Schäden begründen, sind grundsätzlich als eine wesentliche und damit nicht zu duldende Beeinträchtigung anzusehen."

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Es folgt ein höchstrichterlicher Fingerzeig, der es unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass die Kläger demnächst vor dem Landgericht in der Lage sein werden, eine Gesundheitsgefährdung zu beweisen. Laut BGH deuten die Nichtraucherschutz-Gesetze des Bundes und der Länder, die allesamt das Rauchen im Freien nicht verbieten, darauf hin, dass damit, folglich auch mit dem Rauchen auf dem Balkon, keine Gefahren für die Gesundheit anderer einhergehen. Den klagenden Mietern müsste es also gelingen, die Annahme, Rauchen im Freien sei für Dritte gesundheitlich ungefährlich, zu erschüttern. Das wird schwer bis unmöglich.

Im Streifall kollidieren zwei Besitzrechte

Selbst wenn eine für Dritte ungefährliche, aber wesentliche Störung durch Rauchen auf dem Balkon angenommen wird, verweist der BGH darauf, dass dennoch kein uneingeschränkter Anspruch auf Unterlassen der Immission gegeben sei. Denn im Streitfall kollidierten zwei grundrechtlich geschützte Besitzrechte, die in einen angemessenen Ausgleich zu bringen seien.

Einerseits hat der Mieter das Recht auf eine von Belästigung durch Tabakrauch freie Nutzung seiner Wohnung einschließlich des Balkons; andererseits hat der andere Mieter das Recht, seine Wohnung zur Verwirklichung seiner Lebensbedürfnisse zu nutzen, wozu auch das Rauchen gehört.

Es folgt der BGH-Weisheit letzter Schluss: Das Maß des zulässigen Gebrauchs und der hinzunehmenden Beeinträchtigungen sei nach dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zu bestimmen. Fazit: Es läuft darauf hinaus, dass so wie im Streitfall Grillen dem Rauchgegner Zeiträume freizuhalten sind, in denen er darauf bestehen darf, vom Tabakrauch seines Balkon-Nachbarn unbehelligt zu bleiben.

(mc)
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