Fragen und Antworten zum BGH-Urteil Warum auch "Rabeneltern" Unterhalt bekommen

Karlsruhe · Der BGH in Karlsruhe hat entschieden: Jahrzehntelang wollte der Vater nichts von ihm wissen. Dennoch muss der Sohn jetzt für die Heimkosten zahlen. Dabei hatte der Vater den Sohn sogar enterbt. Wir klären die wichtigsten Fragen.

 Ein zuletzt pflegebedürftiger Vater hatte vor mehr als 40 Jahren den Kontakt zu seinem damals 18-jährigen Sohn abgebrochen und ihn zudem enterbt.

Ein zuletzt pflegebedürftiger Vater hatte vor mehr als 40 Jahren den Kontakt zu seinem damals 18-jährigen Sohn abgebrochen und ihn zudem enterbt.

Foto: dpa, jbu;cse stj

Worum geht es im aktuellen Fall? Ein zuletzt pflegebedürftiger Vater hatte vor mehr als 40 Jahren den Kontakt zu seinem damals 18-jährigen Sohn abgebrochen und ihn zudem enterbt. Der Vater kam 2009 in ein Pflegeheim. Die Kosten für seinen dreijährigen Pflegeheimaufenthalt bis zu seinem Tod im Jahr 2012 konnte der Vater nicht mehr selbst aufbringen.

Um welche Kosten geht es hier? Die Stadt Bremen zahlte rund 9000 Euro der Heimkosten für den Vater und fordert diese nun von dem Sohn zurück.

Wie begründet der BGH das Urteil? "Zwar mag der Vater durch sein Verhalten das familiäre Band zu seinem volljährigen Sohn aufgekündigt haben. Andererseits hat er sich in den ersten 18 Lebensjahren seines Sohnes um diesen gekümmert", heißt es in dem Richterspruch. Er habe daher gerade in der Lebensphase, in der regelmäßig eine besonders intensive elterliche Fürsorge erforderlich sei, seinen Elternpflichten im Wesentlichen genügt.

Warum ging der Fall bis vor den BGH? Die erste Instanz des Amtsgerichts entschied im Sinne der Stadt Bremen. Die nächste Instanz hob das Urteil auf und folgte der Argumentation des Sohnes, der darauf verwies, nicht mehr unterhaltspflichtig zu sein, weil der Vater einseitig den Kontakt abgebrochen hatte. Der BGH entschied nun jedoch, dass der Sohn zahlen muss.

Was bedeutet das Urteil im Klartext? Eltern dürfen den Kontakt zu ihren erwachsenen Kindern abbrechen, ohne dadurch später den Anspruch auf Unterhalt zu verlieren. Der Kontaktabbruch gegenüber erwachsenen Kindern ist noch keine "schwere Verfehlung", die zum Verlust des Unterhaltsanspruchs führt.

Müssen Kinder überhaupt für den Unterhalt ihrer Eltern aufkommen? Ja. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt dies in Paragraf 1601: "Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren", heißt es dort. Allerdings muss der Nachwuchs nicht fürchten, sein gesamtes Kapital zu verlieren. Je nach Einkommen und Vermögen werden die Sätze individuell berechnet.

Was sind die Folgen des Urteils? Für viele Scheidungskinder dürfte das BGH-Urteil wegweisende Bedeutung haben. Der Kontaktabbruch stelle zwar eine Verfehlung der Pflicht von Eltern und Kindern zu gegenseitigem Beistand und Rücksicht dar. Damit der Elternunterhalt verwirkt werde, müssten aber weitere Umstände hinzukommen, die als schwere Verfehlung gewertet würden.

Warum birgt das Urteil Brisanz? Erst am Dienstag hatte das Statistische Bundesamt mitgeteilt, dass in Deutschland immer mehr Pflegebedürftige nicht mehr für die Kosten ihrer pflegerischen Versorgung aufkommen können. Die Zahl der Empfänger der sogenannten "Hilfe zur Pflege" stieg 2012 im Vergleich zum Vorjahr um 3,8 Prozent auf nun 439.000 Personen. Die Träger der Sozialhilfe gaben damit netto rund 3,2 Milliarden Euro für diese Pflegeleistungen aus. Zudem steigt die Zahl der Scheidungskinder erheblich.

Gab es bereits vergleichbare Fälle? Ja, aber mit unterschiedlichen Rechtsprechungen. 2010 musste ein Mann der Stadt Gelsenkirchen 40.000 Euro für die Unterbringung seiner Mutter im Pflegeheim zahlen, obwohl die psychisch kranke Frau ihn nicht gut behandelt hatte. Dagegen sprach das Gericht einer Frau im Jahr 2004 Recht zu. Sie musste keinen Unterhalt für ihre Mutter zahlen, weil diese sie als Einjährige in die Obhut der Großeltern gegeben und danach kaum noch Kontakt zu ihr hatte.

(nbe)
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