Hilferuf von Ex-Pirat Holler So viele Deutsche besitzen keine Krankenversicherung

Düsseldorf · Mit seinem Hilferuf bewegt der frühere Politiker Claudius Holler die Menschen in den sozialen Netzwerken: Auf ihn kämen wegen seiner Krebsbehandlung hohe Kosten zu, denn er sei nicht krankenversichert. Gibt es so etwas überhaupt?

 Youtube-Hilferuf von Claudius Holler: "Krankenkranken müssen eine Notfallversorgung anbieten"

Youtube-Hilferuf von Claudius Holler: "Krankenkranken müssen eine Notfallversorgung anbieten"

Foto: Screenshot Youtube

Es ist ein sehr persönliches Video, das Claudius Holler am Mittwoch ins Netz gestellt hat. Er erzählt darin, wie er die Diagnose Hodenkrebs bekam. Er erzählt von beruflichen Rückschlägen und davon, dass er nicht krankenversichert sei, weil er es sich die Beiträge zuletzt nicht mehr leisten konnte. Und er bittet um Hilfe, weil nun hohe Kosten auf ihn zukämen — Geld, das er aktuell nicht habe, wie es in dem Video heißt.

Dabei besteht in Deutschland — rein rechtlich zumindest — eine Pflicht zur Krankenversicherung. Seit 2007 gilt diese für die gesetzliche, seit 2009 für die private Krankenversicherung. Praktisch ist es aber durchaus möglich, dass man nicht versichert ist - nämlich dann, wenn man bereits zuvor nicht in einer Kasse oder Versicherung war und sich später schlicht nicht angemeldet hat.

Wie viele Menschen sind davon betroffen?
Laut Bundesregierung waren im Jahr 2014 rund 80.000 Menschen nicht versichert. Tatsächlich aber dürfte die Zahl weitaus höher liegen, sagt Björn Gatzer, Berater für Krankenversicherungs- und Gesundheitsfragen bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Obdachlose und illegale Einwanderer seien in dieser Statistik nämlich nicht erfasst.

Kann eine Krankenversicherung jemanden rauswerfen, weil er Beiträge nicht zahlt?
"Nach der letzten Gesundheitsreform dürfen einen die Krankenkassen nicht mehr rausschmeißen", sagt Gatzer. Wer die Zahlung von Beiträgen versäumt, sei nach wie vor versichert — "allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau". So wie Holler seinen Fall in dem Youtube-Video darstellt, dürfte auch er in diese Kategorie fallen. Denn versichert war er, nur konnte der ehemalige Piraten-Politiker die Beiträge nach eigenen Angaben irgendwann nicht mehr zahlen. Für Rückfragen hierzu haben wir Claudius Holler bis zum Nachmittag nicht erreichen können.

Welche Versorgung bekommen dann solche Nicht-Zahler?
"Die Krankenkassen müssen eine Notfallversorgung anbieten", erklärt Gatzer. Das gilt sowohl für die gesetzliche als auch für die private Krankenkasse. Diese Notfallversorgung umfasse akute Krankheiten oder Schmerzbehandlung, auch Schwangere und junge Mütter seien eingeschlossen. Was im Detail unter diese Regelung fällt, lege aber jede Krankenkasse selbst fest. Auch Florian Lanz vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sagt: "Grundsätzlich können Krankenkassen den Leistungsumfang für Mitglieder, die ihre Beiträge nicht zahlen, herunterfahren. Übernommen würden dann beispielsweise nur noch die Behandlungen von akuten Erkrankungen, zum Beispiel bei Schmerzen."

Wie sieht das bei Krebsbehandlungen aus?
Da gehen die Meinungen der Experten auseinander. So sagt Lanz: "Dass jemand, der bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert ist, eine notwendige und zugelassene Krebsbehandlung nicht bekommt, halte ich für ausgeschlossen." Auch beim AOK-Bundesverband heißt es, dass bei akuten und lebensbedrohlichen Krankheiten die Kosten übernommen werden. "Und Krebs gehört zu den lebensbedrohlichen Krankheiten", sagt Sprecher Kai Behrens. Verbraucherschützer Gatzer ist hingegen vorsichtiger. Eine Krebserkrankung könne sich lange hinziehen, und solange keine lebensbedrohliche Situation bestehe, könne es durchaus sein, dass eine Kasse das nicht in die Notfallversorgung einschließe, sagt er.

Wie wird das mit der Notversorgung in der Praxis umgesetzt?
Kommt man in diesen Status, wird laut Gatzer die Gesundheitskarte eingezogen. "Man muss sich für jeden Arztbesuch eine Versicherungsbescheinigung geben lassen", sagt er. Und dann prüfe die Kasse genau, ob es sich um eine akute Erkrankung handele. Abweisen könne einen der Arzt in den meisten Fällen nicht. Ohne Versicherungsschutz dürfte dann aber schnell eine Privatrechnung gestellt werden.

Droht eine Strafe, wenn man seine Beiträge über einen bestimmten Zeitraum nicht gezahlt hat?
Neben den ausstehenden Beiträgen kommt auf die Versicherten ein Säumniszuschlag von einem Prozent zu (dieser wurde 2013 von damals fünf Prozent abgesenkt). Verbraucherberater Gatzer erklärt, dass bei der gesetzlichen Versicherung die Beiträge in voller Höhe zurückgezahlt werden müssen. Eine Verjährung tritt erst nach vier Jahren ein. Bei der privaten Krankenversicherung seien nur für ein halbes Jahr die vollen Beträge fällig. "Aber man kann mit allen reden", sagt Gatzer. Auch GKV-Sprecher Lanz sagt: "Bei ausstehenden Beträgen versuchen Krankenkassen in der Regel, auch individuelle Lösungen herbeizuführen — zum Beispiel über Stundungen oder Ratenzahlungen."

(das)
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