Hintergrund Die Rechte von Angehörigen und Reisenden

Düsseldorf · Germanwings muss Angehörigen knapp 24.000 Euro als Soforthilfe zahlen. Als Entschädigung für Witwen oder Kinder werden wohl viel höhere Summen fällig. Absagen von Reisen wegen des Unglücks sind juristisch schwierig - ein Anwalt hält aber Kulanz für denkbar.

Der Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen ist eine der größten Katastrophen der jüngeren deutschen Geschichte. Doch viele Fragen sind noch offen - vor allem für die Hinterbliebenen. Die wichtigsten Antworten im Überblick.

An wen können sich Angehörige möglicher Opfer wenden?

Germanwings hat für Betroffene eine Hotline unter der Nummer 0800 11335577 eingerichtet, der Flughafen Düsseldorf ist telefonisch unter 0800 7766350 erreichbar, an das Auswärtige Amt können sich Angehörige möglicher Opfer unter 030 50003000 wenden. "Es geht darum, den Menschen so schnell wie möglich mitzuteilen, ob ihre Angehörigen betroffen sind", sagt der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP), dessen Düsseldorfer Kanzlei schon Opfer mehrerer Flugzeugunglücke vertreten hat.

Gibt es sofortige finanzielle Hilfe?

Germanwings muss den Angehörigen eines getöteten Passagiers jeweils innerhalb von 15 Tagen knapp 24.000 Euro als Soforthilfe zur Verfügung stellen. Das sehen die Allgemeinen Beförderungsbedingen des Unternehmens vor. Der Betrag kann mit einer späteren Gesamtentschädigung verrechnet werden.

Helfen Opferorganisationen aus der Region mit Geld?

Ja. Den Angehörigen des Germanwings-Absturzes bietet der Mönchengladbacher Betroffenenverein "Crash" Unterstützung an. "Wir stehen bereit, um Opfern zu helfen", sagt der Mönchengladbacher Anwalt Christof Wellens, Vorsitzender des Vereins. "Die Angehörigen brauchen trotz vieler staatlicher Hilfsangebote eine finanzielle Sofortunterstützung, um den Lebensunterhalt zu sichern oder um die Beerdigung zu organisieren", sagt Wellens.

Den Verein "Crash" hatten Opfer-Angehörige nach dem Absturz einer Concorde im Jahr 2000 gegründet, bei dem 13 Bürger der Stadt Mönchengladbach gestorben waren. Aus den damaligen Entschädigungen sowie privaten Spenden hat der Verein ein stattliches Soforthilfsprogramm entwickelt. Wellens ist hauptberuflich bei der Anwaltskanzlei Backes angestellt, die die Concorde-Opfer vertreten hatte.

Was erwarten die Angehörigen?

Gerhart Baum zufolge ist menschliche Hilfe für die Angehörigen viel wichtiger als Geld. Es sei für die Angehörigen bedeutsam, ausführlich über das Unglück informiert zu werden. "Die Menschen wollen wissen, was passiert ist, sie wollen erfahren, ob vielleicht Fehler gemacht wurden und ob man etwas für die Zukunft lernen kann." Dabei rät Baum wie Anwaltskollege Wellens dazu, den Kontakt mit Angehörigengruppen vergleichbarer Unglücke zu suchen.

Wie hoch wird eine langfristige Entschädigung sein?

Anwälte wie Baum, sein Kanzleikollege Julius Reiter oder auch Christof Wellens vermuten, dass wahrscheinlich französisches Recht bei der Entschädigung der Betroffenen angewendet wird, weil das Flugzeug in Frankreich abstürzte und weil Airbus ein französisches Unternehmen ist. Dies würde höhere Zahlungen als in Deutschland bedeuten, unter anderem weil in Frankreich mehr Angehörige als in Deutschland entschädigt werden. Wahrscheinlich ist aber, dass es nicht mehr als 100.000 Euro Schmerzensgeld für einzelne Betroffene gibt.

Höhere Beträge könnten dann fällig werden, wenn bei betroffenen Familien tatsächlich entstandene Schäden ausgeglichen werden müssen. "Da wird ausgerechnet, wie viel Geld eine Witwe oder ein Witwer und die Waisen auf längere Frist brauchen", erklärt Ex-Minister Baum. In diesem Fall könnten Beträge von mehr als 100.000 Euro zusammenkommen. Bei Rechtsprechung nach US-Recht wären Experten zufolge sogar Millionen als Schmerzensgeld fällig.

Spielt die Unglücksursache eine Rolle bei der Entschädigung?

Ja, falls es Fehler bei der Wartung, technische Schwächen oder einen Pilotenfehler gab, spricht dies für relativ hohe Entschädigungen. Falls weder Germanwings noch Airbus bei einem Absturz nachweislich ein Fehler unterlief - beispielsweise bei Abschuss durch eine Rakete von Terroristen -, haben die Betroffenen es schwer, hohe Zahlungen durchzusetzen.

Wer zahlt die Entschädigungen?

Versicherungen werden wahrscheinlich komplett für den Schaden aufkommen. Die Allianz ist Hauptversicherer von Germanwings. Anwälte der Betroffenen werden mit Anwälten von Germanwings und der Versicherer verhandeln. "Es wird sicher schwierige Gespräche geben", sagt Jurist Wellens. Die Airlines versuchten regelmäßig, berechtigte Ansprüche abzuwehren.

Können Bürger nun eine Reise bei Germanwings, einer anderen Airline oder in ein Hotel ohne Stornogebühr absagen?

Rein juristisch gibt es wegen der Katastrophe kein Rücktrittsrecht. Anwalt Wellens geht dementsprechend von einer harten Linie von Fluggesellschaften und Hotels aus, um keine Präzedenzfälle zu schaffen, auf die sich andere Reisende berufen können. Gerhart Baum hält es für möglich, dass Luftfahrtgesellschaften oder Hotels in Einzelfällen aus Kulanz akzeptieren, wenn Menschen eine Reise nun aus Sorge vor einem Absturz absagen.

(RP)
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