Island Auf der Halbinsel der Trolle

Abgeschieden ist es im Norden Islands, im Winter besonders einsam und ruhig. Die ewige Landschaft der Westfjorde aber ist dafür umso eindrucksvoller.

Der direkte Weg zum Bad in der heißen Quelle ist ein kleines Abenteuer. Zuletzt hat es in den isländischen Westfjorden stark geregnet, und viel Schnee ist geschmolzen. Die Steine, die sonst eine mühelose Überquerung des Flusses ermöglichen, werden nun überströmt vom eiskalten Wasser. Wie eisig das ist, wird spätestens ab Stein Nummer vier klar: Es fühlt sich in den Füßen an, als würden tausende Stecknadeln stechen. Doch auf halbem Weg gibt es kein Zurück, schon gar nicht mit der heißen Quelle am anderen Ufer im Blick. Daher: Zähne zusammenbeißen, noch ein paar Meter über die Schneereste tänzeln, schnell ausziehen und dann selig ins angenehm heiße Wasser der kleinen Badestelle eintauchen. Die existiert angeblich schon seit dem Mittelalter und bietet einen grandiosen Ausblick: auf das kleine Landhotel im isländischen Nirgendwo und die menschenleere Landschaft bis runter zum Fjord.

"Wer im Winter hier her kommt, der mag Einsamkeit und Stille, die Natur und die Dunkelheit", sagt Stella Gudmundsdottir. Die ältere Dame kaufte mit ihren Söhnen vor 16 Jahren den alten Bauernhof und eröffnete dort ihr Landhotel Heydalur. Wie abgeschieden, wie weit weg das von allem ist, dafür bekommt man noch ein stärkeres Gefühl, wenn man die Tour fortsetzt und tiefer in die Westfjorde fährt. Es kommen einem auf dem Weg nur wenige andere Autos entgegen. Einmal kreuzt in der Felslandschaft ein kleiner, durch sein Fell pummelig wirkender Polarfuchs die Straße, der sehr empört aussieht, dass er aufgeschreckt wurde. Die Natur hier ist rau. Das Wetter unberechenbar. Und es fühlt sich nach Abenteuer an in dieser von der Eiszeit geformten Landschaft, die wie ein Organismus brodelt, schwitzt und dampft und fließt.

Entlang der Meeresarme steigen die Berge dort wie baumlose Brocken auf, die weiß befleckt oder ganz bedeckt sind vom Schnee. Immer wieder schieben sie sich neu ins Blickfeld, ganz wie mächtige Finger, die sich ins Meer legen und in denen die Lavaschichten die Millionen Jahre zurückliegenden Ausbrüche herauslesen lassen. Im Westen, am äußersten Zipfel der Halbinsel, findet man das älteste Stück Erde Islands: Vor etwa 16 Millionen Jahren soll es aus dem vulkanischen Hotspot herausgesprudelt sein.

Diese abgeschiedene, geheimnisvolle Landschaft mit ihren langen, dunklen Wintern befeuert natürlich den Glauben an Legenden und geheimnisvolle Wesen, an Trolle, Elfen und den Winterbullen. ",Zieh dich im Winter warm an oder der Winterbulle frisst deinen Penis'" - wenn dir deine Oma das sagt, die unter harschen Bedingungen die ersten Jahrzehnte ihres Lebens in einem Torfhaus wohnte, dann hast du daran keinen Zweifel", sagt Touristen-Guide Gulli Disco, ein bäriger Bilderbuch-Isländer mit Vollbart, bei einer Schneeschuhwanderung an einem dieser Fjordberge. Straßen würden in Island bis heute umgeleitet wegen Elfen und Trollen. Es gäbe sogar eine Frau, die man engagieren kann und die mit Elfen verhandelt. Auch, dass es sich bei den Westfjorden um eine Halbinsel handelt, sei die Schuld dreier Nachttrolle. Die wollten der Legende zufolge eigentlich eine Insel daraus machen und gruben einen Kanal. Allerdings wurden sie nicht rechtzeitig fertig und erstarrten im Sonnenlicht zu Stein. "Und seht ihr das dort drüben?", fragt Disco einmal und deutet auf den Berg gegenüber. Das sei ein Trollsitz: Ein Troll wollte sich die Füße im Wasser kühlen und hinterließ die tiefe Mulde.

"Es gibt natürlich auch eine wissenschaftliche Erklärung mit Endmoränen, deren Tauwasser nach und nach das Gestein ausgewaschen hat, doch wer will die schon hören?", fragt er und wandert weiter. Sieht man mal von den Resten eines alten Skilifts ab, geraten die letzten Anzeichen der Zivilisation beim Blick nach vorn schnell außer Sichtweite. Beim Blick zurück allerdings eröffnet sich ein schönes Panorama der Bucht von Ísafjördur, der Hauptstadt der isländischen Westfjorde.

Dort hat man bei gerade einmal 2600 Einwohnern fast schon Großstadtgefühle. Hier gibt es sogar ein halbes Dutzend Restaurants, Cafés, eine Einkaufsstraße, etwas Industrie und einen Fischereihafen, der nach großen Veränderungen in den 1980er Jahren wieder an Bedeutung gewonnen hat. Im Sommer fallen die Tagestouristen der Kreuzfahrtschiffe ein. Im Winter ist es in den Straßen ungleich ruhiger. "Die Westfjorde waren nicht immer so fern ab von allem. Ísafjörur war lange Zeit eines der wichtigsten Handelszentren", sagt Helga Hausner, die es vor vielen Jahren aus Berlin in die Westfjorde verschlug. Bei ihrer Stadtführung wird sie im historischen Kostüm allerdings zur Fisch-Frau Sigrun.

Nach Ísafjördur haben die nächstgrößeren Städtchen Patreksfjörur und Bolungarvík schon unter 1000 Einwohner. Meist handelt es sich bei den wenigen Orten um Fischerdörfer. Im Winter ist es in diesen Siedlungen, die vor der oft spektakulären Naturszenerie noch einmal mikroskopisch kleiner wirken, sehr ruhig. Meist spielen nur ein paar Kinder auf der Straße. Viele Restaurants und Geschäfte haben geschlossen.

Auch Drangsnes ist eines dieser Dörfer, eher unscheinbar, mit Hafen - und direkt an der Straße mit drei öffentlichen, kleinen Pools in drei Temperaturen: kalt, warm und heiß. Gegenüber kann man sich umziehen, muss dann nur noch schnell über die Straße laufen und schließlich ab in den Pool. Vorn lauern die Möwen auf Fischabfälle über dem Meer, während sich die Wolken einen Spalt weit öffnen und einen Teil des Wassers mit weichem Licht fluten. Was für ein fantastischer Ausblick, denkt man sich - und diesmal geht es auch ganz ohne Eiswasser-Abenteuer

Die Redaktion wurde von Visit Iceland, Iceland Farmholidays, und WOW Air zu der Reise eingeladen.

(RP)
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