Manuel Möglich Auf der Suche nach deutscher Identität

Ob auf dem Oktoberfest in Brasilien, beim Liederkranz in New York oder in der Brauerei in China - Deutsche und ihre Kultur findet man überall. Reporter Manuel Möglich ist der Frage nachgegangen, was uns Deutsche ausmacht.

Bekannt geworden sind Sie durch die Reportage-Reihe "Wild Germany", für die Sie Menschen in Deutschland besucht haben, die man nicht gerade als typisch deutsch bezeichnen würde. Auch in Ihrem Buch "Deutschland überall" geht es um deutsche Identität. Genauer: Sie waren an Orten, die eng mit der deutschen Geschichte verbunden sind. Wie kamen Sie auf die Idee?

Manuel Möglich Eigentlich durch einen Nebensatz in einem alten Spiegel-Artikel. In dem Text ging es um die Stadt Lüderitz in Namibia. Es hieß, dass es dort Leute geben soll, die immer noch den Geburtstag von Adolf Hitler feiern.

Waren Sie als Journalist eher enttäuscht oder erleichtert, dass Sie am Ende dann doch niemanden gefunden haben?

Möglich Beides. Als Reporter, der darüber eine Geschichte schreiben wollte, war ich enttäuscht. Trotzdem kann ich mir durchaus vorstellen, dass es Leute gibt, die den 20. April feiern. Aber die wird es auch in Deutschland geben. Als Manuel Möglich war ich jedoch froh, dass ich keinen dieser Menschen getroffen habe.

Sie haben sieben Länder auf fünf Kontinenten besucht. Wo fanden Sie es besonders deutsch?

Möglich Wenn ich von Berlin nach Tschechien fahre, dann ist der Kulturschock natürlich nicht so groß, als wenn ich fast 20 000 Kilometer nach Samoa in die Südsee fliege. Trotzdem haben mich die Aufenthalte in Brasilien und Namibia am meisten an zu Hause erinnert, obwohl man das gar nicht richtig zusammen kriegt, weil dort alles anders ist: das Wetter, die Menschen, die Natur. In Brasilien bin ich in den Bundesstaat Santa Catarina gereist, wo sehr viele deutsche Nachkommen leben und wo die deutsche Sprache gepflegt wird, genauer: ein Dialekt, der vom Pommerschen gefärbt ist. In diesen Ländern hatte ich wirklich das Gefühl, das könnte jetzt auch eine Ecke in Münster oder Bamberg sein.

Kennen Sie das Gefühl, dass man sich im Ausland nicht gerne als Deutscher outet?

Möglich Und ob, aber diese Hürde musste ich für das Buch überwinden, etwa in Namibia, als ich in einer Bar saß, die Schützenhaus heißt. Ich habe mir ein Bier bestellt und auf eine Deutschlandfahne gestarrt. Im Urlaub wäre ich nie auf die Idee gekommen, mich so offensiv als Deutscher zu erkennen zu geben.

Wie ist denn Ihrer Meinung nach der Ruf der Deutschen im Ausland?

Möglich Absolut positiv. Die BBC erstellt jedes Jahr ein Ranking der beliebtesten Nationen. Und Deutschland liegt wieder auf Platz eins. Auch die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, waren total begeistert. Der Einzige, der Probleme damit hatte, mit dem Lob umzugehen, war ich selbst. Vor allem, wenn wir auf das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu sprechen kamen, die Jahre zwischen 1933 und 1945. Ich hörte dann Sätze wie: "Die Zeiten sind vorbei." Oder: "Die Deutschen müssen nach vorne blicken." Ich persönlich bin anderer Meinung. Ich finde, dass es die Pflicht gerade von jungen Leuten ist, weiterhin an dieses Kapitel zu erinnern. Nach vorne schauen kann man ja auch, wenn man das Erinnern nicht vergisst. Das haben viele meiner Gesprächspartner nicht nachvollziehen können. In Brasilien hieß es: "Vielleicht liegt es daran, dass wir nie einen Krieg im eigenen Land erlebt haben." Irgendwann kam mir der Gedanke, dass wir Deutschen vielleicht in dem Sinne vorbildlich sind, dass wir uns mit der eigenen Geschichte intensiv auseinandersetzen.

Im Vorwort schreiben Sie, dass allen Deutschen eine gewisse Unsicherheit gemeinsam ist. Was genau meinen Sie damit? Möglich Deshalb habe ich das Beispiel mit der Fußballweltmeisterschaft und dem "Gaucho-Gate" eingefügt. Ich finde, dass man an den Reaktion der Leute sehr gut ablesen konnte, dass wir immer noch nicht wissen, wie wir uns verhalten sollen und dürfen. In anderen Ländern ist es kein Problem, Flagge zu zeigen. Aber dieses Unsicherheitsgefühl, wenn es um Patriotismus geht, hat meiner Meinung nach immer noch mit unserer Geschichte zu tun.

Sind Sie stolz darauf, Deutscher zu sein?

Möglich Ich lebe wahnsinnig gern in Deutschland, und ich weiß zu schätzen, dass wir ein funktionierendes Gesundheitssystem haben, dass Frauen und Männer zumindest theoretisch die gleichen Chancen haben, dass man studieren kann, wenn man will, und dass es ein Grundgesetz gibt, dass man als Bürger mitgestalten kann. All das sind Dinge, die mich stolz auf mein Land machen. Aber ich kann nicht sagen, dass ich stolz darauf bin, Deutscher zu sein. Ich finde, um Stolz zu empfinden, müsste ich etwas geleistet haben. Sonst könnte ich auch sagen: Ich bin stolz, ein Mann zu sein.

Haben Sie auf Ihren Reisen eine Antwort auf die Frage gefunden, was typisch deutsch ist?

Möglich Natürlich gibt es viele Klischees: Deutsche sind pünktlich, Deutsche sind fleißig, sie lieben Ordnung und Struktur und bauen gute Autos. Für mich ist die Zerrissenheit, von der ich sprach, etwas typisch Deutsches. Nicht zu vergessen: die Sprache. Dass wir Deutsch sprechen, verbindet uns. Gerade in China wurde mir das schmerzlich bewusst, nachdem ich nicht mal auf Englisch kommunizieren konnte. Ich habe es wahnsinnig vermisst, Teil einer Gesellschaft zu sein.

Inwieweit hat sich durch das Reisen Ihr Bild von Deutschland verändert?

Möglich Man muss sich nur die Infrastruktur in Mittelamerika oder Afrika vor Augen führen, um zu verstehen, dass es nicht schlimm ist, wenn sich die Deutsche Bahn mal wieder um ein paar Minuten verspätet. Natürlich funktioniert auch in Deutschland nicht alles, aber die perfekte Welt gibt es nun mal nicht. Reisen erweitern den eigenen Horizont.

Heißt das, Deutschland ist für Sie der schönste Ort der Welt?

Möglich Zuhause ist es nicht am unschönsten. Es ist in erster Linie der vertrauteste Ort, weil ich in Deutschland sozialisiert wurde. Lassen Sie es mich so sagen: Es gibt auf jeden Fall Orte auf der Welt, an denen ich mich weniger wohl gefühlt habe als in Deutschland.

DIRK WEBER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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