Baskische Tapas in San Sebastian

Eine Wucht, diese Bucht! Strahlend blaues Wasser, umsäumt vom sichelförmigen Sandstrand und weißen Belle-Epoque-Wohnpalästen als Kulisse dahinter, reich verziert mit Blumendekor und verspielten Balkonen: Ja, dieser Blick vom Berg Monte Igueldo ist der schönste auf San Sebastian und auf "La Concha", so der Name dieser Bucht: die Muschel. Ihre Perle mittendrin heißt Santa Clara.

Diese Felseninsel sorgt wie ein Pfropfen mit dafür, dass Gischt und atlantische Wellenberge sich draußen vor San Sebastian austoben. Weswegen man in "La Concha" gerade mit Kindern wie in der Badewanne planschen kann. Das wissen die Menschen in der 183 000-Einwohner-Stadt zu schätzen: Familien mit Kinderwagen, Hip-Hopper mit Sound-Stöpseln in den Ohren sowie jede Menge Baskenmützen-Träger flanieren an Spaniens schönstem Stadt-Strand. Und bewundern Ramon. Der Skulpteur formt bereits seit Stunden aus Sand ein lebensgroßes Krokodil. Gefährlich funkeln dessen rote Tennisball-Augen, gefräßig scheint das Maul mit Muschelzähnen. Das Beste an "La Concha": Trotz Eins-a-"Innenstadtlage" befindet sich kein Sandkorn in Privatbesitz, weder stören Zäune noch "Betreten verboten"-Schilder das Strandleben.

Ein paar Schritte weiter beim kleinen Fischerhafen wartet ein echtes "Hai-light": das Aquarium mit Glastunnel. Rochen segeln über die Besucher in einer künstlichen Unterwasserwelt hinweg, Fisch-Schwärme zischen durchs Mini-Korallenriff, und ein Hai kreuzt bedrohlich durchs Riesenbassin. Die sehenswerte Walfänger-Ausstellung im Obergeschoss zeigt, wie solche Moby Dicks mit Harpunen zur Strecke gebracht wurden.

"Doch heute", sagt Hans Harms, ein Deutscher, der seit Jahren in San Sebastian lebt, "greifen die Menschen viel lieber zu kleinen Spießen aus Holz, an denen meist keine Fische, sondern äußerst lecker belegte Brothäppchen hängen, sogenannte Pinchos." Diese baskische Variante der spanischen Tapas steht in den gemütlichen, schachbrettartigen Altstadtgassen auf nahezu jeder Kneipentheke. Harms führt seine Gäste zunächst ins "Casa Alcalde". Zum Gläschen Txakoli, einem milden Weißwein dieser Gegend, gibt's ein paar Spieße mit der pikanten Paprikawurst Chorizo und dem Idiazabal-Schafskäse,

Auf dem Weg zur nächsten Bar wollen die Gäste von Harms natürlich wissen, wie der Friese ausgerechnet im Baskenland strandete: Vor fast 30 war es, da gondelte der Student mit einem VW Bully aus Jever nach San Sebastian, machte seinen Doktor der Philosophie und blieb als Berater für soziale Projekte hier "hängen – in der seiner Meinung nach schönsten Stadt der Welt. Wie zum Beweis nimmt Harms einen kurzen Umweg über die "Plaza Constitution", ein wunderbares, von Arkaden-Häusern umgrenztes Rechteck, das früher die Stierkampfarena war. Die ursprüngliche Nutzung kann man nur noch an den Nummern über den Balkons erkennen. "Die nämlich haben die Bewohner damals an Zuschauer als Logen vermietet", sagt Harms. Heute ist die Plaza eine Mischung aus Open-Air-Museum, Café und Fußball-Talentschuppen: Überall kicken Jungs in der Feierabend-dämmerung und nutzen die Arkaden als Tore.

Mit großem Hallo wird Hans Harms in der Bar "Zeruko" begrüßt, von Marili und Joseán Calvo, den Gewinnern des Pinchos Preises 2008. "La Hoguera" (das Lagerfeuer) hieß ihre Kreation: Serviert wird ein umgedrehtes Cidre-Glas. Erst wenn man es lüftet, ist der Pinchos-Name klar: Darunter qualmt es, damit man den Kabeljau am Spieß räuchern kann – ganz nach eigenem Geschmack.

Beinahe täglich überbieten sich die Wirte der Stadt mit der Erfindung neuer Pinchos-Varianten. Doch ob Blutwurst mit Pistazie oder Ei am Stiel – jeder muss auch den Klassiker und vermutlich ersten Pincho aus den späten 1940er Jahren auf dem Tresen stehen haben, erklärt Hans Harms: "Gilda" heißt dieser Peperoni-Anchovis-Oliven-Spieß, benannt nach den Kurven einer Tänzerin aus dem gleichnamigen Film mit Rita Hayworth von 1946.

(RP)
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