Costa Rica Die Meeres-Riesen kommen

Die Dörfer Parismina und Tortuguero an der abgeschiedenen Karibikküste Costa Ricas sind einmal im Jahr Zeuge eines beeindruckenden Schauspiels: der Eiablage riesiger Meeresschildkröten. Im Dunkel der Nacht können Urlauber dabei sein.

Costa Rica - Wenn die Meeresriesen kommen
Foto: shutterstock/ Willyam Bradberry

Sie schnaubt, keucht und pustet. Bäuchlings liegt die Grüne Meeresschildkröte am Karibikstrand zwischen dem tosenden Meer und den im Wind rauschenden Kokospalmen. Mit ihren großen Vorderflossen gräbt sie den Sand unter ihrem Kopf hervor, schleudert ihn nach hinten, auf den Panzer, den Stummelschwanz und den Boden daneben. Das gut einen Meter lange, 200 Kilogramm schwere Reptil zieht sich mühsam nach vorn, senkt den Kopf, schnaubt. Dann gräbt es weiter.

Seit einer Stunde verscharrt die Schildkröte ihre Eier im karibischen Sand. Mehr als Hundert Stück, golfballgroß, hat sie in der Nacht in die Mulde gelegt. Nun ist sie spät dran, die Sonne geht auf. Wenn Fressfeinde das Tier erspähen, ist sein Gelege verloren. Es setzt zum letzten Schwung an, dreht sich mühsam Richtung Meer und robbt im Morgenlicht zurück ins Wasser.

Jedes Jahr von Juni bis September versammeln sich am Karibikstrand von Costa Rica zwischen den Orten Parismina und Tortuguero Tausende Schildkröten zur Eiablage. Dass sie dabei weitgehend ungestört sind, verdanken sie dem besonderen Schutz des Nationalparks Tortuguero, der neben einer 750 Quadratkilometer großen Lagunenlandschaft im Nordosten Costa Ricas auch die dortige Küste umfasst. Die amerikanische Tierschutzorganisation Sea Turtle Conservancy hat festgestellt, dass Touristen die Grünen Meeresschildkröten, die wegen ihrer früheren Verwendung als Suppenzutat auch Suppenschildkröten genannt werden, nirgendwo sonst auf der Welt so zahlreich und nah bei der Eiablage beobachten können wie an diesem 30 Kilometer langen Küstenstreifen.

Die lokale Nationalparkverwaltung bewacht den Küstenabschnitt von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens. Nur in Begleitung eines lizenzierten Guides sind die nächtlichen Strandbesuche zur Brutzeit möglich. Dann warten kleine, in Schwarz gekleidete Grüppchen auf dem Pfad hinter den Palmen mit einem ausgebildeten Turtle-Scout. Stockfinster ist es, nur die Sterne funkeln am Himmel. Erst wenn der Scout sein Okay gibt, dürfen die Touristen an den Strand: gemeinsam, unparfümiert, ohne Taschenlampe, ohne Fotoapparat - denn all dies würde das Reptil ablenken. "Wir Dorfbewohner sind begeisterte Schildkrötenschützer. Das Turtle-Watching ist für uns aber gleichzeitig auch eine tolle Einnahmequelle", erzählt Guide Richard und winkt seine Urlaubergruppe herbei.

Das war nicht immer so. Bis 1975, dem Gründungsjahr des Nationalparks, wurden die trägen Tiere unerbittlich gejagt, ihr Fleisch in Suppen, der Panzer zu Schmuck und Brillenfassungen verarbeitet - über Jahrzehnte ein illegales, aber äußerst lukratives Geschäft für die Einheimischen. Tortuguero bekam zu dieser Zeit seinen Namen: Schildkrötenfänger-Dorf. Außer Fischfang gab es für die Menschen in dieser Gegend nicht viel zu tun. Keine Straße verband die Dörfer mit dem Festland. Auf der einen Seite das karibische Meer, auf der anderen der Süßwasser-Urwaldfluss, waren sie nur per Flugzeug oder Boot erreichbar. Bis heute ist das so. Bei den Touristen sind die Touren zu den Schildkröten dennoch heiß begehrt. Die meisten kommen im Rahmen einer dreitägigen Tour von der Hauptstadt San José aus. Doch manch einer bliebe gern länger - bei maximal 350 gestatteten Besuchern pro Tag kein leichtes Unterfangen.

In Tortuguero am Rande des Nationalparks werben selbst-gemalte Plakate für Schildkröten-Touren. Die himmelblau getünchten Häuser des 700-Seelen-Ortes stehen links und rechts einer schmalen Sandpiste, die mitten durch den Ort führt. Kinder in Schuluniform fahren mit ihren Rädern auf und ab, die Mütter schauen dem Treiben entspannt zu. Im angrenzenden Tortuguero-Kanal paddeln Touristen im hölzernen Kanu vor dem beeindruckenden Urwald. Im Astgewirr springen Kapuzineraffen umher, Tukane flattern in den Baumwipfeln. 375 Vogelarten soll es hier geben - nicht alle ungefährlich für das Gelege der Schildkröten.

Das halb so große Parismina ist vom modernen Tourismus noch ziemlich weit entfernt. Hier locken Gastfamilien und Schildkröten-Freiwilligenprogramme der lokalen Organisation Asociacion Salvemos las Tortugas de Parismina zum Schutze der grünen Reptilien die wenigen Besucher in die Region. Kinder laufen barfuß im Sand, Ältere spielen auf dem Rasenplatz Fußball. So vergehen hier Tage und Monate zwischen zahlreichen Strandpatrouillen zum Schutze der gefährdeten Riesen.

Bis zum Dezember. Dann gibt es ein weiteres touristisches Highlight zu bestaunen. Hunderte Grüne Meeresschildkröten schlüpfen dann aus ihren Eiern und bevölkern in großen Scharen den Strand. Für die Einheimischen beginnt dann wieder eine neue Saison, mit Feldarbeit und Flussfischerei, bis im folgenden Juni die nächsten Schildkröten an den Strand kommen - und wieder zahlreiche Touristen anlocken.

(RP)
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