Radtour durch die Hauptstadt Auf den Spuren der Berliner Mauer

Berlin · Es ist nicht mehr viel übrig vom einstigen Todesstreifen. Doch selbst 25 Jahre nach ihrem Fall prägt die Berliner Mauer immer noch das Stadtbild. Bei einer geführten Radtour zeigen sich Spuren, die das Bauwerk in der Geschichte und in den Erinnerungen der Menschen hinterlassen hat.

Mit dem Rad entlang der Berliner Mauer
8 Bilder

Mit dem Rad entlang der Berliner Mauer

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Sascha Möllering erinnert sich gut an den 9. November 1989. "Ich saß mit meiner Mutter vor der Glotze", erzählt er. "Sie sagte: Was machst du noch hier?" Möllering, damals 15 Jahre alt, rief seine Freunde an. Sie setzten sich in die S-Bahn und fuhren zum Brandenburger Tor. "Wir haben auf der Mauer getanzt, "give peace a chance" gesungen und so'n Quatsch." Heute ist Möllering radelnder Stadtführer. Die Tour entlang der Mauer beginnt er an dem Ort, der nach dem historischen Datum benannt ist.

Historischer Startpunkt der Radtour

Der "Platz des 9. November 1989" war damals der Grenzübergang Bornholmer Straße. Ein Stück Mauer, bunt besprüht, ist alles, was davon geblieben ist. Hier strömten in jener Nacht vor 25 Jahren Zehntausende zusammen, die die "Tagesschau" gesehen hatten. Sie hatten Günter Schabowskis berühmt gewordene Stammelei gehört, dass die Reisefreiheit "sofort, unverzüglich" gelte. Sie wollten keinen Tag länger warten. Große Fotos auf Informationsstelen zeigen die Massen, denen sich der diensthabende Offizier Harald Jäger gegenüber sah. "Der wusste, die gehen nicht wieder heim", sagt Möllering. Auf Stahlschwellen ist verewigt, wie sich die Ereignisse entwickelten und irgendwann verselbstständigten. Um 23.30 Uhr schickte Jäger die Meldung raus: "Wir fluten jetzt. Wir machen alles auf."

Unter der Brücke, über die die Menschen damals jubelnd in den Westen rannten, wachsen heute Kirschbäume. Sie waren das Geschenk eines japanischen TV-Senders, der zu Spenden aufrief. 9000 Bäume wurden gepflanzt. "Es ist wahnsinnig schön, die Kirschblüte am Mauerweg zu erleben", sagt Möllering.

Wir überqueren den Schwedter Steg und gelangen in den Mauerpark: Hier steht eines der längsten erhaltenen Mauerstücke. Heute ist es so etwas wie eine 120 Meter lange Leinwand. Graffiti-Künstler kommen aus ganz Europa angereist, um ihre Werke auf die Hinterlandmauer zu sprühen. Ihr Ruhm ist kurzlebig: "Derzeit wird die Mauer alle zwei Tage komplett übersprüht", sagt Möllering. "Da sind sicher zwei Zentimeter Farbe drauf."

Gedenkstätte an der Bernauer Straße

Die 1,4 Kilometer lange Gedenkstätte Berliner Mauer beginnt erst auf der anderen Straßenseite. An Stelen aus verrostetem Stahl erklären Texte und Audioschnipsel die Zeit der Trennung. "Hier an der Bernauer Straße gab es die besondere Situation, dass die Häuser Ost-Berlin waren und der Bürgersteig schon Westen", erklärt Möllering. Fotos zeigen die herzzerreißenden Szenen, die sich damals hier abspielten. Ein junges Paar hält seine Babys in die Höhe, damit die Großeltern auf der anderen Seite ihre Enkel zumindest einmal sehen können.

In den Boden sind Zebrastreifen aus Stahl eingelassen. Sie markieren, wo die Flüchtlinge damals Tunnel gruben. Der berühmteste, Tunnel 57, verläuft durch die Gedenkstätte an der Bernauer Straße. Er war mit 145 Metern der längste, denn die Mauer, das war nicht nur die Betonwand mit Röhre drauf, die die Wessis zu sehen bekommen haben. "Es gab überall mindestens zwei Mauern, zum Teil drei, plus Zaun."

Das Zentrum selbst wird derzeit renoviert und erst am 9. November mit einer neuen Ausstellung wiedereröffnet. Es wird doppelt so groß sein wie bisher und nicht mehr nur den Bau der Mauer, sondern auch die Gründe für den Fall und ihren Einfluss auf das Leben der Berliner erklären: zerrissene Familien, Fluchtversuche, Todesfälle.

Wachturm als Mahnmal

An den ersten Mauertoten erinnert ein Wachturm am Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal. Günter Litfin sprang am 24. August 1961 in den Kanal und wurde erschossen - einen Tag, nachdem der Schießbefehl ausgegeben worden war. "Sein Bruder Jürgen Litfin hat in den 1990er-Jahren einen Obdachlosen in dem Turm einquartiert und damit verhindert, dass er abgerissen wird", erzählt Möllering. "Und er hat ihn aus eigener Tasche renoviert. Für ihn ist es sein Turm."

Am Potsdamer Platz posieren junge Touristen vor Mauerstücken, fotografieren sich gegenseitig - und kleben ihre Kaugummis auf den Beton. "Das hat vor drei Jahren angefangen", sagt Möllering. Mittlerweile bedeckt eine dicke Kaugummischicht "die Ekelmauer", wie manche sie nennen. Möllering versucht bei seiner Tour, die schlimmsten Touristenfallen zu meiden. Vor allem den "Snackpoint Charlie" wie er ihn nennt, der eigentlich "Checkpoint Charlie" heißt. Wo sich heute die Massen fröhlich mit Statisten in Uniform fotografieren lassen, standen sich am 27. Oktober 1961 Panzer von Ost und West gegenüber - die Welt bangte vor dem Ausbruch eines 3. Weltkriegs.

Vorbei am Springer-Hochhaus und dem Luisenstädtischen Kanal, der zu Mauerzeiten ein Stück Todesstreifen war und heute ein Lustgarten mit künstlichem See ist, geht es zu einem Kuriosum des Kalten Kriegs mitten in Kreuzberg: Auf einer winzigen Verkehrsinsel wuchern Gemüsebeete und Obstbäume. Vor einer von mehreren Gartenlauben sitzt Mustafa Akyol. "Ich hab in dem Haus dahinten gewohnt", sagt der 68-Jährige. Im Sommer sei es unerträglich heiß gewesen. "Da hab ich meiner Frau gesagt: Machen wir einen Garten." Akyol zeigt auf Fotos, wie er das Stück Land umgrub, das damals ein Stück Ost-Berlin außerhalb der Mauer war. "Das ist Niemandsland, das gehört niemandem, wir bleiben hier", sagte er. Dass er vertrieben wird, muss er nicht befürchten. Sein Garten ist längst auch ein Stück Berliner Mauergeschichte.

(dpa)
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