"Jung und voller Hass" Besuch im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen

Berlin · Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen war die zentrale Untersuchungshaftanstalt der Stasi. In dem ehemaligen Gefängnis erfahren Besucher vom Unrechtssystem der DDR. Doch sie verstehen es erst, wenn Zeitzeugen erzählen - so wie Karl-Heinz Richter.

Bilder aus dem Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen
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Das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen

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Wie eine graue Glocke liegt der Himmel an diesem Wintertag über dem Berliner Osten. Es ist frisch. Karl-Heinz Richter, 68, trägt seine dünne Lederjacke trotzdem offen. Er war immer hart im Nehmen. Hinter ihm steht ein trostloser Bau, den man kaum für ein Gefängnis halten würde, dabei war das Gebäude die zentrale Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in der DDR. 1994 wurde daraus die Gedenkstätte Hohenschönhausen. Richter ist einer der Zeitzeugen, die durch den Komplex führen. Er will daran erinnern, für welches System dieser Ort steht. Er sagt: "Die hatten alle Macht der Welt."

"Die", damit meint Richter die Stasi, aber auch die politischen Entscheider in der DDR, die Hohenschönhausen möglich gemacht haben. Das Gelände war damals Sperrgebiet, niemand in der Nachbarschaft wusste, was hinter den Mauern geschah: Politische Gefangene wurden hier ohne Anklage eingesperrt, gedemütigt und gefoltert. Sie wussten jahrelang nicht, wo sie sich befanden, existierten nur noch als Nummer, wurden in Dunkelkammern gesteckt, bis sie langsam wahnsinnig wurden. Richter sagt: "Das haben die ausgesprochen geschickt gemacht."

Manchmal nähmen ehemalige Stasi-Mitarbeiter an einer der Führungen durch das ehemalige Gefängnis teil, sagt Richter. "Die, die sich nicht trennen können." Dann gerate er etwas in Wallung: "Ich hatte ein Sportlerherz. Da komme ich auf ein normales Level." Zur Stasi kann Richter viel erzählen. Die Behörde hat - das kann man so sagen - sein Leben geprägt. Dabei saß Richter gar nicht in Hohenschönhausen ein, sondern in Pankow in der Kissingstraße. So geht es bei dem Rundgang durch die Gedenkstätte weniger um die Beschaffenheit der Räume als um eine persönliche Lebensgeschichte. Doch den Ort lernt man gerade dadurch sehr gut kennen.

Richter hat natürlich auch die Geschichte der Anstalt parat. Ein Leben galt dort von Anfang an wenig: Nach dem Zweiten Weltkrieg war Hohenschönhausen ein sowjetisches Gefängnis, das "Speziallager 3", in dem bis Oktober 1946 rund 20 000 Menschen inhaftiert waren. Teilweise hausten in den Kellerbaracken 4000 Menschen unter elenden Bedingungen, viele überlebten die Zeit nicht.

Nach seiner Schließung wurde das Speziallager ein offizielles Gefängnis der sowjetischen Geheimpolizei. Die Gefangenen waren schlecht ernährt, wurden isoliert und gefoltert. Das Ministerium für Staatssicherheit übernahm das Gefängnis 1951. 1961 wurde der U-förmige, dreigeschossige Neubau errichtet, Vernehmertrakt und Zellen lagen direkt nebeneinander.

Wie es in einem Stasi-Gefängnis zuging, weiß Richter, und erzählt, wie das kam: Von der Schule abgegangen und im Innern ein Gegner des Systems, beschloss der junge Mann 1964 mit Freunden, aus der DDR zu fliehen. Sie fanden eine Stelle, an der sie auf einen Nachtzug aufspringen konnten, der in den Westen fuhr. Zwölf Kameraden habe er so zur Flucht verholfen, sagt Richter. "Als ich selbst rüber wollte, haben die Grenzer schon auf mich gewartet."

Um nicht entdeckt zu werden, floh Richter und sprang dabei eine sieben Meter hohe Mauer hinunter. Er brach sich die Knochen, schleppte sich aber noch nach Hause. Eine Woche später klingelte die Stasi, Richter kam ins Gefängnis. Medizinisch behandelt werden durfte er nicht, was Erich Mielke damals persönlich angeordnet hat. "Man wollte mich umbringen", sagt Richter heute. Doch dazu kam es nicht: Nach einigen Monaten im Gefängnis durfte der Gefangene in die Charité, wo er 15 Mal operiert wurde.

Die ersten acht Wochen in Haft seien schlimm gewesen, erzählt Richter im Keller des alten Gefängnistraktes. "Ich habe gestunken wie ein Puma, weil ich meine Wunden mit Urin behandelt habe." Richter ist stolz darauf, dass er bis zum Schluss kein Geständnis abgelegt hat. Er sagt: "Ich war kein Held. Ich habe Angst gehabt ohne Ende." Aber auch: "Ich war so ein richtig arrogantes Arschloch. Diese Arroganz hat mir geholfen."

Der Mann mit Boxerstatur und Schnauzbart führt die Besucher jetzt in den Neubau, lässt sie einen Blick in die Zellen werfen, auf die Alarmdrähte an der Wand. Er erklärt die Räumlichkeiten und ihre Funktion, aber vor allem immer wieder sein Leben. Er kann das gut, er hat es schon oft getan, in Zeitungsartikeln, in seinem Buch "Moskau-Paris-Express" und natürlich auf vielen Führungen.

Nachdem Richter damals aus dem Gefängnis entlassen wurde, hätten alle gedacht, er sei ein Spitzel, erzählt er. Nur sein Vater nicht. "Der hat immer zu mir gehalten." Als der Vater dann einen Herzinfarkt hatte, gingen bei Richter die Sicherungen durch. Er stieg auf ein Dach, rasend vor Wut, und brüllte über Berlin: "Ihr Kommunistenschweine!" Die Folge: sechs Monate Isolationshaft.

Heute sagt Richter: "Ich war jung, und ich war voller Hass. Ich habe in jeder Uniform einen Killer gesehen." Aber Richter war auch zäh. Der Dunkelarrest sei hart gewesen. Viele Kameraden seien in solchen Zellen verrückt geworden. "Du verlierst nämlich die Zeit. Du schläfst ein, wirst wach, aber du weißt nicht, ob nach einer oder nach fünf Stunden. Von da an hast du ein Problem."

Die vorletzte Station der Führung ist das Verhörzimmer. Dort seien die Gefangenen verprügelt worden bis zur Bewusstlosigkeit, sagt Richter. Er setzt sich hinter den Schreibtisch, so wie es damals der Stasi-Beamte getan hat, und erzählt weiter: 1975 habe er mit Frau und Tochter in den Westen ausreisen dürfen. Dort habe er als Fluchthelfer weiter Menschen über die Grenze gebracht. Doch irgendwann ging Richter mit seiner Familie ins Ausland, aus Angst vor Entführungen.
Irgendwann kam er wieder, engagierte sich, schrieb. Heute ist er allein.

Zu seiner Tochter hat er keinen Kontakt mehr, sagt Richter. Seine Frau sei seit fünf Jahren in der Psychiatrie. Keiner der Besucher spricht ein Wort. Richter macht eine kurze Pause. Dann sagt er: "Wen man nicht vergisst, der stirbt nie. Deshalb mache ich das hier." Es geht noch einmal in den Hof, dann ist die Führung zu Ende, eineinhalb Stunden hat sie gedauert. Richter - so scheint es - ist ein weiteres Mal durch sein ganzes Leben gelaufen.

(dpa)
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