Neue Serie Unser Rhein

Düsseldorf · Was liegt näher als der Rhein? Wir leben an seinem Ufer, bestaunen das Hochwasser und zählen Schiffe. Der Rhein ist unser Lebensraum, der verbindet und trennt. Wir Rheinländer haben den Strom zu unserer Identität werden lassen. Den Auftakt zu unserer Serie über den Rhein finden Sie heute auf der Nordrhein-Westfalen-Seite in der Rheinischen Post und auch bei RP Online.

Impressionen aus dem Oberen Mittelrheintal
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Die merkwürdigste Rhein-Legende dürfte die über Odysseus sein, den listenreichen Heerführer der Griechen, den es auf seiner Irrfahrt auch an den Niederrhein verschlagen hat. Immerhin ist davon beim antiken Geschichtsschreiber Tacitus in seiner Schrift über das barbarische Germanien zu lesen.

Danach soll Odysseus an den niederrheinischen Gestaden gelandet sein und dort einen Gedenkstein zu Ehren seines Vaters Laertes aufgestellt haben. Einfach sagenhaft, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Zumindest eine seiner fatalen Sirenen scheint in rheinischer Variante zu existieren, gut bekannt als Loreley, eine goldig-hübsche Nixe, die von einem Felsen bei St. Goar die Schiffer erst um den Verstand und oft auch ums Leben brachte.

Clemens Brentano hat sie erfunden, aber erst mit Heinrich Heine (1797—1856) wurde sie wirklich berühmt; und wer die Zeile "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" auf den Lippen hat, wird der Melodie Friedrich Silchers verfallen.

Das müssen Sie in Koblenz sehen
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Die Rhein-Romantik lässt Menschen das Herz übergehen. Vielleicht gibt es deshalb so viele Verse und Lieder über den Rhein, der sich trefflich auf Wein reimen lässt. Aber nicht immer kann dazu so weinselig geschunkelt werden wie bei Willy Schneiders unfrommem Wunsch, dass das Wasser im Rhein goldener Wein wär'. Denn der Rhein hat immer auch zu düsteren Texten ermuntert.

Einer davon ist Max Schneckenburgers "Wacht am Rhein" aus dem 19. Jahrhundert, in dem das Vaterland mit "Schwertgeklirr" und "Heldenblut" todesmutig beschworen wird. Da wird der Rhein zum nationalistischen Mythos, über den Kaiser Wilhelm I. am Deutschen Eck bei Koblenz und einige Kilometer stromauf die Germania zwölfeinhalb Meter groß wachen. Für wen eigentlich?

Großmythen werden gefährlich, wenn sie lebendig werden. Wenn sie an eine imaginierte Vergangenheit gemahnen sollen, um die Gegenwart zu begründen und die Zukunft zu beschwören. In Worms zeigt ein Denkmal, wie Hagen von Tronje den Schatz der Nibelungen im Rhein versenkt. Die mittelalterliche Nibelungensage ist eine klassisch rheinische Geschichte — mit der Rheinreise des Xanteners Siegfried, seinem Drachenkampf bei Königswinter und seiner Ankunft am Hof der Burgunder zu Worms. Und sie ist eine der für Deutschland vielleicht verhängnisvollsten Rheinsagen.

Unesco-Weltkulturerbe: Das Mittelrheintal
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Die Geschichte von Heldentum, Treue und Größe, von Niedertracht, Verrat und Untergang hat etlichen Machthabern gedient, ihre Absichten legendenhaft zu beglaubigen. Den Soldaten im Ersten Weltkrieg wurde eine Ausgabe des Nibelungenliedes in den Tornister gepackt, auf dass sie zeitig mit der sogenannten Nibelungentreue sinnloses Sterben vor Verdun lernen sollten. Und als das große Schlachten 1918 verloren war, diente den Kriegstreibern noch die nibelungische Dolchstoßlegende zum mythischen Faustpfand. Bis die Nazis den Rhein mit viel Pathos zum nationalen Strom erklärten und instrumentalisierten.

Der Rhein aber ist nicht allein ein mythischer Fluss — wie etwa der Styx. Der Rhein ist auch ein Strom voller Geschichten und Legenden, weil seit Jahrtausenden Menschen von ihm und an seinen Ufern leben. Der Rhein trennt die Menschen und scheidet manchmal Kulturen voneinander. Er ist somit auch eine Grenzerfahrung, und sein Schlagbaum ist das Wasser. Aber: Grenzen können eigensinnig machen, starrköpfig, intolerant.

Der Rhein jedoch verbindet auch die Menschen miteinander. Es gibt einfach kein stärkeres Symbol für Verständigung als den Brückenbau, weil dafür stets zwei Seiten nötig sind. Das hat die Rheinländer geprägt und ihre Toleranz geschult. Wer das Rheinland verstehen will, muss darum auch seine Menschen kennen. Rheinland, das sind wir selber, hat der Düsseldorfer Dichter Harry Heine mit Blick auf Deutschland gesagt.

Rheinradweg: Europa mit dem Rad erleben
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Schon die Frage nach dem vermeintlichen "Rheinländer an sich" müsste jedes übertriebene Nationalgeschrei verstummen lassen. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer (1896—1977) nannte das Rheinland sehr überzeugend eine "große Völkermühle".

Und in seinem Drama "Des Teufels General" ergründet der Flieger Harras das Rheinische auf diese Weise: "Was kann da nicht alles vorgekommen sein in einer alten Familie. Vom Rhein — noch dazu … da war ein römischer Feldmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, der war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubünder Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flößer … — das hat alles am Rhein gelebt, geraubt, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt."

Was für ein verwegenes, hoffnungsloses Unterfangen wäre es also, den Rhein und das Rheinland vollends auszuloten! Jeder Versuch, den Strom mythologisch zu ergründen, wäre eine Form von Selbstermächtigung. Der Fluss selbst erzählt uns viele Sagen und Legenden. Das sind immer Geschichten von Menschen. Von Rheinländern.

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