Nordsee Frischluftpeeling an der Winterküste

Die Nordsee ist kalt, der Wind weht heftig, die Sonne scheint selten. Warum machen Menschen im Winter Urlaub an der Nordsee? Genau deswegen.

Die Nordsee aus der Vogelperspektive
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Die Nordsee aus der Vogelperspektive

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Foto: Martin Elsen

Ein böiger Südwestwind treibt zerrissene Wolken und Sprühregen über den Deich. Das Watt vor Burhave, dem kleinen Hauptort der Halbinsel Butjadingen, glänzt grau und feucht. In der Ferne hinter dem großen Priel ist der Übergang zum Himmel kaum auszumachen. Jenseits der Wesermündung wachsen die Kräne des Containerterminals von Bremerhaven schemenhaft aus dem Meer.

Obwohl das Wetter ungastlich scheint und es an diesem Wintertag kaum richtig hell wird, spazieren Pärchen mit und ohne Hund, Familien und ganze Gruppen auf dem Deich, durch das Vorland und hinaus auf den Wattsteg. Ein bunter Kinderdrachen flattert im Wind. Nicht trotz des Wetters kommen Touristen im Winter an die Butjenter Nordseeküste zwischen Weser und Jade, ist Tourismus-Chef Robert Kowitz überzeugt. "Der Reiz ist das Wetter."

Der jod- und salzhaltige Wind prickelt als Frischluftpeeling auf der Haut, das Atmen in der staubfreien Luft fällt leicht. Nach einem ordentlichen Marsch am Wasser steuern viele Gäste schnurstracks auf die Spezialitäten der Nordsee zu: am Nachmittag Tee, Kaffee - gerne auch mit Rum - und Friesentorte, am Abend frischer Fisch in allen Variationen.

Auf dem auch im Winter geöffneten Butjenter Campingplatz in Eckwarderhörne herrscht überraschend viel Betrieb. "Die Leute mögen den Wind und das Wetter", bestätigt der Norddeutschland-Manager der Knaus-Campingparks, Wilhelm Has. Anders, wenn Schnee fällt: "Dann nehmen die Ankünfte auf der Stelle ab." Bei Schnee und Eis wollten die wenigsten Camper mit ihren Fahrzeugen auf die Straße.

Kowitz weiß, dass die Natur aber nur ein Teil des Angebots ist. Gerade Familien mit Kindern, die Mehrheit der Gäste, brauchen Alternativen. Der 41-Jährige zeigt auf die neben seiner Tourismus-Zentrale hinter dem Deich gelegene Spielscheune. "Das war die erste dieser Art an der Küste." Trampolin, Bowlingbahn oder Rutschen bieten Abwechslung an Tagen mit ganz und gar scheußlichem Wetter.

Ein paar Kilometer weiter im Westen birgt der kleine Ort Tossens die zweite und vielleicht wichtigste Attraktion. Der Ferienpark Center Parcs Nordseeküste ist eine eigene Urlaubswelt, aber nicht abgeschottet. Chef Christoph Muth hält das tropische Erlebnisbad, die Restaurantmeile, Sauna und Sporthalle für alle Urlauber in Butjadingen offen. Der Manager aus Bayern hat vor etwa zehn Jahren einen Arbeitsplatz am sonnenverwöhnten Roten Meer gegen die niedersächsische Provinz eingetauscht, weil er Butjadingen für attraktiv und unterschätzt hält. "Das ist ein Rohdiamant", sagt er.

Ganz unrecht kann er nicht haben, denn inzwischen gehört der Ferienpark in Tossens zu den am besten ausgelasteten der Center-Parcs-Gruppe. Rund 100.000 Gäste verschaffen seinem Haus etwa 400.000 Übernachtungen im Jahr. Ganz Butjadingen kommt auf etwas mehr als eine Million. Genug, um die etwas versteckt liegende Region wirtschaftlich zu stärken. Muth engagiert sich nicht nur im Gemeinderat von Butjadingen, sondern auch in der Entwicklungsgesellschaft JadeBay, die die Region um die Jadebucht über Orts- und Kreisgrenzen hinweg nach vorne bringen möchte. "Butjadingen ist ursprünglich geblieben, das ist der Charme", sagt Muth. Gerade im Winter.

In der kurzen Hochsaison um den Jahreswechsel wagen sich jedes Jahr rund 100 Abgehärtete beim Neujahrsschwimmen in die Nordsee. Der drahtige Manager gehört dazu. Warm verpackt am sicheren Ufer verfolgen Tausende das Spektakel. Ansonsten nutzen die Gäste die Nähe zu den größeren Städten. In Bremerhaven bieten Klima- und Auswandererhaus Attraktionen für einen ganzen Tag. Oldenburg lockt als Einkaufsparadies mit seiner zauberhaften Fußgängerzone. Auch Bremen ist mit dem Auto in etwas mehr als einer Stunde zu erreichen.

In Langwarden führt ein Bohlenweg in eine Salzwiesenentwicklungsfläche und ermöglicht faszinierende Einblicke in die Tier- und Pflanzenwelt des Wattenmeeres. In einen kleinen, durch einen Vordeich geschützten Groden (Koog) soll künftig das Wasser der Nordsee hineinfließen können, damit sich dort eine Salzwiesenlandschaft entwickelt. Damit wird der Natureingriff durch den Bau des in Sichtweite gelegenen Hafens JadeWeserPort in Wilhelmshaven ausgeglichen.

Ganz in der Nähe liegt eine auf den ersten Blick unscheinbare, aber absolut einmalige Attraktion. Vor dem Jadedeich in Sehestedt gibt es ein Stückchen Moor, das bei Sturmfluten samt Bäumen vom Wasser angehoben wird und schwimmt. Ein Holzbohlenweg führt zu einem Aussichtspunkt. Ein Schmuckstück bietet Butjadingen in Fedderwardersiel. Dort liegt eine kleine Kutterflotte im hübschen Hafen. Binnenländer staunen über die Veränderung durch die Gezeiten. Bei Ebbe läuft fast das gesamte Wasser aus dem Becken, nur ein schmales Rinnsal bleibt übrig. Weder Kutter noch das kleine Rettungsboot der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger können sich dann vom Fleck bewegen.

(RP)
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