Tölzer Land Klein-Kanada im Karwendel

Vorderriß/Wallgau · Die Maut auf deutschen Straßen bleibt ein Aufreger. Bayern hat sie längst - auf einem halben Dutzend gebührenpflichtiger Strecken. Im Tölzer Land führt die landschaftlich schönste von Vorderriß in das obere Isartal, eines der letzten wilden Flusstäler Deutschlands.

Unterwegs im Tölzer Land
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Foto: dpa, pla

Wenn Thomas Michl frühmorgens zur Arbeit fährt, hängen noch Nebelfetzen über dem Isartal. Hin und wieder springen Rehe über die Fahrbahn. Michl ist Mautner an der Forststraße zwischen Vorderriß und Wallgau. Über zwölf Kilometer windet sich die Forststraße am Berghang entlang, an manchen Stellen nur als einspurige Fahrbahn. Vorsichtig sollte man fahren, weil die Motorradfahrer gerne die engen Kurven schneiden.

Die Route entlang der Isar ist eine von etwa einem halben Dutzend Mautstraßen in Südbayern. In der Nachbarschaft führt eine weitere gebührenpflichtige Strecke im Tölzer Land vom Walchensee nach Jachenau. Wie viele Mautstraßen in Bayern insgesamt existieren? Die genaue Zahl kennt weder das Bayerische Staatsministerium für Verkehr noch der ADAC. Einige Straßen gehören zu den Bayerischen Staatsforsten. Andere wie die anlässlich des G-7-Gipfeltreffens 2015 breit ausgebaute Zufahrt zum Luxushotel "Schloss Elmau" werden von Staatsforst, der Gemeinde Krün und Hotels betrieben.

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Foto: Manfred Steinbach/Shutterstock

Erst seit den 1960er Jahren ist die Isarstrecke ausgebaut und wird seitdem als gebührenpflichtige Forststraße geführt, erzählt Rudolf Plochmann, Leiter des Forstbetriebs Bad Tölz. "Die Verbindung entlang der Isar zwischen Mittenwald und Lenggries ist allerdings viel älter, sicherlich so alt wie die ersten Ansiedlungen am Oberlauf der Isar." Pferdegespanne waren vor Jahrhunderten auf der unbefestigten Piste unterwegs. Handelswaren aus Österreich und Italien wurden außerdem mit Holzflößen auf der Isar flussabwärts bis München transportiert.

Das Isartal erlebte im 19. Jahrhundert wilde Zeiten. Davon zeugt heute ein Gemälde samt Schrifttafel im "Gasthof Post" in Vorderriß. "Bauernsöhne aus Lenggries (...) hatten bei Mittenwald gewildert und wollten ihre Jagdbeute auf ihrem Floß Isar abwärts nach Lenggries oder Tölz bringen", schilderte der bayerische Schriftsteller Ludwig Thoma das Geschehen im Jahr 1869. An der Rißer Brücke wurden die Männer von Förstern entdeckt: "Es kam zum Feuern - heraus und hinein." Ein Wilderer habe sein Leben gelassen, zwei andere seien verwundet worden.

Die Isarstrecke liegt zwischen den Kocheler Bergen und dem Karwendelgebirge, das zu den am dünnsten besiedelten Gebieten in Mitteleuropa zählt. Reisende erleben dort Natur pur. "Wir sind hier in Klein-Kanada", sagt Mautner Michl. Der Fluss rauscht durch das Tal, breit und ausladend.

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Foto: dpa

Das Tal gilt als eine der letzten wilden Flusslandschaften in Deutschland. Von den schäumenden Fluten werden Bäume und Sträucher entwurzelt und mitgerissen, bei sinkendem Wasserstand bleiben sie am Ufer liegen. Die entwurzelten Bäume erinnern daran, wie wild die Wasser zur Schneeschmelze im Frühjahr tosen.

Plochmann rät, an der Mautstraße auch mal Pause zu machen und hinunter zum Fluss zu gehen. "Lassen Sie die Natur auf sich wirken. Entdecken Sie die unterschiedlichen Farben des Wassers, seine Strömungen und die stillen Seitenarme." Von zehn Parkplätzen entlang der Route ist der Zugang für Besucher zum Wildfluss möglich. Weitere Trampelpfade durch den Auenbereich haben die Forstleute mit Findlingen abgesperrt. So soll das empfindliche Ökosystem im Naturschutzgebiet Oberes Isartal bewahrt werden, das als alpine Wildflusslandschaft von Fachleuten auch europaweit als einzigartig bezeichnet wird.

"Ab Ostern kommen die ersten Besucher ins Tal", sagt Michael Schödl vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern. Der Biologe aus Ohlstadt erinnert an die sensible Natur: "Im Frühjahr sind die Kiesbänke Brutgebiet der gefährdeten Flussregenpfeifer und der vom Aussterben bedrohten Flussuferläufer." Deshalb sei zu dieser Zeit besondere Umsicht geboten, um dort keine Vogelnester zu zerstören. Neben den gefiederten Raritäten hat der Naturexperte um die 8000 Exemplare der Pionierpflanze Deutsche Tamariske gezählt, die auf den Kies- und Schotterflächen ihr größtes deutsches Vorkommen hat. An heißen Sommertagen fliegt die seltene Gefleckte Schnarrschrecke über die Steinlandschaft, ein paar Meter weit, laut schnarrend.

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Foto: Michael Thaler /Shutterstock.com

So reizvoll es auch sein mag, mit einem Wohnmobil über Nacht in der Wildnis zu bleiben oder sein Zelt aufzuschlagen wie in kanadischen oder schwedischen Wäldern - beides ist im Naturschutzgebiet strikt untersagt. Für die Caravaner gibt es ausgewiesene Nachtparkplätze in Fall und am Walchensee im Weiler Einsiedl.

Natur pur im Oberen Isartal - so ganz stimmt das nicht. Ein Teil des Isarwassers und mehrerer Gebirgsbäche werden über ein komplexes System von Kanälen und Wassertunneln in den Walchensee abgezweigt.
"Nur ein Fünftel der Isar gelangt in den meisten Monaten bis in das wilde Flusstal", berichtet Biologe Schödl.

Der große Rest des Wassers sorgt für den ausreichenden Pegelstand des Walchensees, dessen Wasser die Turbinen eines Wasserkraftwerks antreibt. Die 1924 errichtete Stromzentrale ist bis heute mit ihrer Leistung von 124 MW eines der größten Hochdruck-Speicherkraftwerke in Deutschland und seit 1983 geschütztes Industriedenkmal. Von einer Galerie aus blicken Besucher in die imposante Turbinenhalle. Sie wird auch Kathedrale der Technik genannt.

(dpa)
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