Stadtgefühle Mit Streetart-Touren die etwas andere Kunst entdecken

Berlin · Nicht jeder empfindet Graffiti als Kunst. Doch in manchen Städten gehören sie einfach dazu. An vielen Häuserwänden finden sich gar echte Kunstwerke. Kein Wunder, dass auch Touristen auf den Geschmack kommen und Städte von ihrer etwas raueren Seite kennenlernen wollen.

Berliner Streetart entdecken
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Foto: dpa, nau

Touristen ist das klassische Sightseeing nicht mehr genug. Zumindest legt das ein Blick auf die vielen touristischen Angebote nahe. Neben Klassikern wie Stadtrundfahrten oder Museumsbesuchen scheinen Aktivitäten mit Einheimischen immer beliebter zu werden. Sie sollen das Lebensgefühl einer Stadt erlebbar machen. Das Angebot reicht von Kochkursen mit Einheimischen bis hin zu Stadtführungen von Locals. Aber auch Kunst abseits großer Museen und Galerien interessiert Reisende. Streetart-Touren gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Besonders in Berlin gibt es einiges an Streetart zu sehen. Noch in diesem Jahr soll die Hauptstadt sogar ein Museum eigens für Streetart bekommen - das "Museum für Urban Contemporary Art". Doch Berlinbesucher stolpern - zumindest noch - fast an jeder Straßenecke über Graffitis. Nicht jeder sieht sie unbedingt als Kunst an - und sie sind es auch nicht immer.

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Foto: Hans-Juergen Bauer

Leonardo Leckie, der seit sieben Jahren für Sandemans New Europe Streetart-Touren durch Berlin leitet, sagt: "Die Hälfte meiner Touristen nimmt Streetart zunächst als Schmiererei wahr." Erst im Laufe der Tour entdeckten sie den künstlerischen Aspekt und fingen an, es zu mögen.

Auch Christian Tänzler von Visit Berlin gibt zu bedenken: "Die Entscheidung zwischen Vandalismus und Kunst liegt oftmals im Auge des Betrachters." Während Tags im öffentlichen Raum und das sogenannte Bombing von Zügen klar als Vandalismus gedeutet werden können, verschwimmt die Grenze, je künstlerischer die Streetart ist. Einige Werke werden toleriert, obwohl sie rein rechtlich illegal sind.

"Jegliche Art von Veränderung oder Beschädigung an einem Objekt, das dem Künstler nicht gehört, ist Sachbeschädigung", sagt auch Hendrik auf der Heidt, der bei Urban Artists Graffiti-Workshops anbietet. So wird selbst die schönste Streetart ohne Genehmigung zur Straftat. Er bezeichnet Streetart als "jegliche kreative Veränderung des urbanen Raums". Diese Beschreibung umfasst alle möglichen Formen der Umgestaltung. In Deutschland übersetzt man den Begriff oft mit Straßenkunst. Sogenannte Streetperformer, also Menschen, die gegen ein kleines Trinkgeld Musik spielen, singen oder jonglieren, sind damit jedoch nicht gemeint.

Streetart hat sich aus der Graffiti-Kultur entwickelt und ist "expressionistischer, kreativer und individueller", sagt auf der Heidt, der in der Szene ein bekannter Graffiti-Künstler ist. Neben Graffitis gibt es heute viele weitere Arten von Streetart. Dazu zählen Kreidenmalereien genauso wie Tape Arts und Paper Arts, bei denen vorgefertigte Kunstwerke an öffentliche Wände geklebt werden. Zu dieser vorbereiteten Streetart-Kunst zählen auch die Street Yogi. Das sind kleine Korkmännchen, die kaum sichtbar auf Straßenschildern platziert werden. Erfunden hat die kleinen Figuren ein Berliner Yoga-Lehrer.

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Foto: gms

Zu entdecken sind die Yogi auf Streetart-Touren, die von den meisten Veranstaltern von Sightseeingtouren angeboten werden. Angebote für Touristen finden sich in Berlin bei Alternative Berlin Tours, Freetours by foot, Berlin on Bike oder auf Buchungsportalen wie Get Your Guide, Expedia oder Tripadvisor. Touren für Schulklassen, Lehrer und Forscher in den Städten Berlin, Hamburg und Stuttgart bietet das Archiv der Jugendkulturen auf graffitiarchiv.org.

Mit dem Fall der Mauer 1989 entstand in Berlin eine ganz neue Graffiti-Bewegung. Gangs starteten mit Sprühdosen und Graffitistiften mit der Verbreitung ihrer Kürzel, sogenannter Tags. Seitdem zählt Berlin neben New York und London zu den bekanntesten Streetart-Metropolen der Welt. Tänzler führt das auf das kreative Potenzial der Stadt und die hohe Anzahl unsanierter Objekte zurück. "Jeder Künstler will mit seiner Kunst etwas ausdrücken. Die Geschichte Berlins geht einher mit der Verarbeitung von Angst und Emotionen. Das hat Streetart in der Hauptstadt groß gemacht", sagt er.

Am bekanntesten ist wohl die East Side Gallery. 118 Künstler aus fast zwei Dutzend Ländern gestalteten 1990 das längste erhaltene Stück der Berliner Mauer. Ein weiteres Beispiel ist der von Victor Ash geschaffene Astronaut in der Mariannenstraße im Stadtteil Kreuzberg. Er symbolisiert den Wettlauf im All zwischen den USA und Russland während des Kalten Kriegs. Als Sinnbild für den Faschismus gilt der pinke Riese "Leviathan" vom italienischen Künstler BLU hinter der Oberbaumbrücke.

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Foto: Shiutterstock.com/Andreas Sell

Aber auch die Gegenwart wird von Streetart thematisiert. So erlangte BLU mit seinen Graffiti in der Berliner Cuvrystraße, ebenfalls in Kreuzberg, großes Aufsehen. Er kritisierte 2008 mit dem "Handschellenmann" den Zeitdruck der Konsumgesellschaft. 2014 wurden seine Werke schließlich als Zeichen des Widerstands gegen die Gentrifizierung mit schwarzer Farbe übermalt.

Streetart vermittelt oftmals einen Eindruck vom Lebensgefühl einer Stadt. Auf die Frage, warum sie an einer Streetart-Tour teilnimmt, antwortet eine Touristin: "Weil wir den Lifestyle der Stadt erkunden wollen". Auch Tänzler meint: "Berlin ist bunt, multikulturell. Genau das gilt es bei solchen Touren zu entdecken, die Menschen wollen den Berliner Charme kennenlernen."

Am beliebtesten sind Tourguide Leckie zufolge jene Orte in Berlin, an denen Streetart vorhanden ist und der dazugehörige Lifestyle gelebt wird. Als Beispiele nennt er das Friedrichshainer RAW Gelände mit seinen zahlreichen Clubs, Bars und Künstlern oder das mittlerweile geschlossene Kunsthaus Tacheles. An diesen Orten treffen Streeart, Musik und ein hohes Bewusstsein für eine nachhaltige Lebensweise zusammen. Leckie sieht "Streetart als Ergänzung des klassischen Sightseeings". Viele seiner bis zu 40 internationalen Touristen am Tag machen vorher die klassischen Sightseeingtouren mit. Erst an zweiter und dritter Stelle steht eine Streetart-Tour. Das bestätigt ein US-Amerikaner, der mit seiner Frau an der Tour teilnimmt, "weil wir die anderen Touren schon gemacht haben".

In den letzten sieben Jahren hat Leckie gemerkt, dass es immer schwieriger wird, Streetart in Berlin zu entdecken. "Die Stadt entwickelt sich schnell. Es wird viel saniert, die Preise steigen und der sozioökonomische Strukturwandel hält an", sagt er. Weniger Streetart entsteht und alte Werke gehen verloren. Wie seine Zukunft als Guide für Streetart-Touren aussieht, ist ungewiss. Zumindest die Kunstwerke der East Side Gallery werden Berlin wohl erhalten bleiben. Sie werden in regelmäßigen Abständen saniert.

(dpa)
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