Deutschland Reise Zudar - Rügens ruhige Seite

Zudar · Den meisten Rügenurlaubern ist Zudar kaum bekannt. Daher sind die Strände am Südzipfel der Insel bislang noch vom Massentourismus verschont geblieben. Erfahren Sie hier, was das traumhafte Städtchen außer Steilküsten und riesigen Feldern zu bieten hat.

Rügen - im Sommer entdecken
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Foto: dpa, ah

Die schmale Landstraße führt vorbei an Äckern und Kornfeldern. Ganz plötzlich ist dann der kleine Hafen von Stahlbrode zu sehen. Von hier aus, gut 20 Kilometer von Stralsund entfernt, starten die Fährschiffe nach Glewitz. Schon nach zehn Minuten legen sie auf der Halbinsel Zudar an, in Rügens äußerstem Süden. Trotzdem kommen die meisten Urlauber heute mit dem Auto über die Brücke auf Deutschlands größte Insel. Dabei ist es viel schöner, den Seewind schon auf der Fähre zu spüren.

Im Mittelalter kamen jedes Jahr Hunderte von Pilgern über den Strelasund ins gleichnamige Dorf Zudar. Das lag an St. Laurentius, einer Wallfahrtskirche mit einem Marienbild, von dem es hieß, es könne Wunder wirken. Nachdem 1372 etliche Wallfahrer bei der Überfahrt ertranken, waren sich viele da nicht mehr so sicher. Die Pilgerfahrten nahmen ein jähes Ende.

Die Kirche steht aber noch und direkt davor Susanne Falk. Sie ist in Ost-Berlin aufgewachsen, als das noch die Hauptstadt der DDR war. "Aber ich habe mich in Rügen verliebt", sagt sie, "die Landschaft ist so traumhaft schön, die Steilküste, die riesigen Felder, die Buchenwälder." Seit 15 Jahren arbeitet sie als Reiseführerin auf der Insel. Und sie kennt auch die stillen Seiten Rügens, wie eben Zudar. Bis hierhin ist der Massentourismus noch nicht gekommen. Und bis St. Laurentius schon gar nicht: Die Kirche an der Route der Backsteingotik mit ihren schmalen Kirchenbänken und ihrer spätbarocken Kanzel kann man sich in aller Ruhe ansehen.

Spaziergänger auf Zudar laufen vorbei an Feldern mit Mais und Raps, neben denen Margeriten und Kornblumen blühen. Und auch die Strände sind noch einsam, anders als in Binz oder Sellin. Falk läuft, wie um das zu beweisen, voraus an den Strand von Grabow. Der Himmel ist blau, das Wasser glasklar. Zwei Schwäne lassen sich auf dem Wasser schaukeln, ein Mann geht zusammen mit seinem Hund ins flache Wasser, das wie in Zeitlupe ans Ufer schwappt.

Nach Rügen mit Caspar David Friedrich
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Foto: dpa, ah

Kaum Muscheln liegen hier, aber es knirscht bei jedem Schritt unter den Füßen. Ein Flintstein reiht sich an den anderen, darunter auch Hühnergötter, wie die Feuersteine mit rundem Loch genannt werden. Früher wurden ihnen magische Kräfte zugeschrieben. Donnerkeile finden sich mit etwas Glück ebenfalls, versteinerte Tintenfischschwänze, Fossilien aus längst vergangenen Erdzeitaltern. Der Legende nach waren es die Spitzen der Blitze, die der germanische Donnergott zur Erde geschleudert hatte.

Schnell ist Rügens südlichster Punkt erreicht, eine kleine Landzunge, Palmer Ort. "Manchmal sieht man sie gar nicht, wenn der Wind das Boddenwasser reindrückt", sagt Susanne Falk. Baden ist hier im flachen Boddenwasser nicht so einfach, zum Spazierengehen ist der Strand aber ideal.

Einer, der den Süden Rügens immer geliebt hat, war Fürst Wilhelm Malte (1783-1854). Er hat das nördlich von Zudar gelegene Putbus gegründet und zum Urlaubsort gemacht. Das Badehaus Goor im Ortsteil Lauterbach erinnert an diese Zeit, 1818 in seinem Auftrag erbaut, später mit einer Reihe eindrucksvoller Säulen versehen. Damals brachte man das Ostseewasser in Fässern dorthin, erwärmte es, füllte es in Wannen für die Badegäste - Planschen in der Ostsee galt noch als verrückte Idee. Heute ist das Badehaus Goor ein Wellness-Hotel.

Zum Hafen von Lauterbach sind es zu Fuß nur fünf Minuten. Hier hat inzwischen Rügens größte Marina mit 400 Liegeplätzen ihren Platz. Von Lauterbach starten aber auch die Fahrten mit der Reederei Lenz zur Insel Vilm: leichte Brise, Sonnenschein - "Julchen" überholt elegant ein Segelboot. Nach nur einer Viertelstunde Überfahrt ist der Inselhafen zu sehen. Die "Ina II" vom Bundesamt für Naturschutz liegt dort vor Anker.

Die schönsten Reiseziele an der Ostsee
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Foto: Shutterstock.com/ Frank Wasserfuehrer

Andreas Kuhfuß von der Reederei Lenz ist schon an Land gegangen und wartet auf die Passagiere. Alleine dürfen sie die Insel nicht erkunden. Vilm ist Teil des Biosphärenreservats Südost-Rügen. Mehr als 60 Besucher pro Tag sind nicht erlaubt. Der Süden der Insel, der Kleine Vilm, ist komplett gesperrt. Und auch den übrigen Teil darf niemand einfach erkunden. Kuhfuß übernimmt die Führung auf einer rund drei Kilometer langen Tour, die gut zweieinhalb Stunden dauert. "Vilm ist nur so groß wie Helgoland, nicht mal ein Quadratkilometer", erklärt er.

Noch in den 1950ern kamen regelmäßig Touristen, 1959 auch DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl und war begeistert. Er ließ anschließend mehrere Ferienhäuser für Minister der DDR-Regierung bauen. Bald darauf wurde die Insel für Otto-Normalbesucher gesperrt, und das blieb sie bis zur Wende. Dass mancher anschließend hier gerne das ein oder andere Hotel gebaut hätte, kann man sich vorstellen. Doch heute wohnt auf Vilm niemand mehr.

Die zweistöckigen, gelb gestrichenen Reetdachhäuser, in denen früher die Minister entspannten, stehen noch. Kuhfuß macht direkt davor Halt: "In Haus eins hat Walter Ulbricht gewohnt, in Haus zwei daneben Honecker." Genau gesagt das Ehepaar Honecker, denn Erich selbst war kein Minister und kam offiziell nur als Begleiter seiner Frau Margot. Der Staatsratsvorsitzende ist wohl nur zweimal zum Urlaub auf Vilm gewesen. Hilde Benjamin, Haus 6, war öfter da. Die "rote Hilde" war Justizministerin. Die Häuser nutzt heute die Internationale Umweltakademie für Kongresse und Seminare.

Kuhfuß biegt gleich hinter den Ministerhäusern rechts in den Wald ab. Die Besuchergruppe folgt ihm durch dichtes Grün. Manche der Bäume hier sind mehrere hundert Jahre alt, eine Eiche mit voluminösem Stamm soll 400 Jahre hinter sich haben. Baden ist auf Vilm verboten. Aber Kuhfuß zeigt den Strand, den die Minister bevorzugten. Am gegenüberliegenden Festland sind zwei Kirchtürme zu erkennen - in Greifswald, 26 Kilometer entfernt. Und die Schornsteine gehören zum KKW Lubmin, einem stillgelegten Kernkraftwerk aus DDR-Zeiten.

Wer auf Vilm über den federnden Waldboden spaziert, zwischen Eichen, Ulmen, Birken und üppigen Farnen, hat bald wieder vergessen, dass es Kernkraftwerke überhaupt gibt. Die Insel ist ein Naturreservat erster Güte. Mehr als 400 Pflanzenarten sind belegt, 65 Brutvogel- und sogar 48 Schneckenarten. An der Westseite lässt sich der seltene Eisvogel beobachten, seit 1996 sind Seeadler wieder auf Vilm heimisch. "Wir haben Steinmarder, Baummarder, eine Dachsfamilie, drei Füchse und 20 Rehe", sagt Kuhfuß. Maulwürfe gibt es auch. Mücken bekommen die Besucher ebenfalls einige zu sehen oder zu spüren - und sogar eine Blindschleiche, die sich über den Waldweg schlängelt.

Und als Kuhfuß am höchsten Gipfel der Insel Halt macht, 30 Meter über dem Meeresspiegel, da schweben Dutzende von Seeschwalben direkt vor der Inselküste. Gegenüber ist Rügen gut zu erkennen - aber eigentlich möchte man jetzt gar nicht zurück.

(dpa)
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